Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
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§ 54 Abs. 2 Nr. 1a. § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG erweitert den Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ganz erheblich, da hier bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe genügt, ungeachtet ihrer Höhe und/oder der Frage einer Strafaussetzung; es reicht bereits die Verhängung einer kurzeitigen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Daneben wird – anders als in Abs. 2 Nr. 1 – auch die Jugendstrafe erfasst.
Hinweis
Soweit § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat verlangt, ist beim Zusammentreffen von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten auch hier zu prüfen, ob der auf die Vorsatztat entfallende Strafteil ermittelt werden kann (vgl. oben Rn. 25 f.); gleiches gilt, soweit der Ausweisungstatbestand die Verurteilung wegen einer bestimmten Tat fordert, z.B. einer solchen wegen eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit. Trifft die Tat tateinheitlich mit einem anderen Delikt zusammen, welches in § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG keine Erwähnung findet – z.B. (gefährliche) Körperverletzung in Tateinheit einem Verstoß gegen das WaffG – ist ebenso zu prüfen, ob der auf das benannte Delikt entfallende Strafteil ermittelt werden kann. Ist dies nicht möglich, findet der Ausweisungstatbestand keine Anwendung (vgl. Rn. 25 f.).
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Angesichts der erheblichen Verschärfung gegenüber der alten Rechtslage ist der Verteidiger daher insbesondere im Bereich der (drohenden) kurzzeitigen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB) gefordert, vor allem dann, wenn diese – wie so oft im Bereich des Ausländerstrafrechts – auf die Notwendigkeit der „Verteidigung der Rechtsordnung“ gestützt werden soll.
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§ 54 Abs. 2 Nr. 2. Die Regelung in § 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfasst die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr, die in § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht genannt wird. Anders als § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setzt die Regelung eine Verurteilung ohne Strafaussetzung zur Bewährung voraus.[18] Der Tatbestand ist also nur erfüllt, wenn die Vollstreckung der Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Eine Aussetzung der Vollstreckung in diesem Sinne ist nur bei einer Entscheidung nach § 21 JGG gegeben, nicht jedoch bei einer an andere Voraussetzungen anknüpfenden Aussetzung gemäß § 88 JGG[19].
Hinweis
Hat das Strafgericht die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt, ist der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn diese Entscheidung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung widerrufen worden ist.[20]
Im übrigen kann auf die Ausführungen zu § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwiesen werden (Rn. 23 ff.).
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§ 54 Abs. 2 Nr. 3. Hat der Ausländer als Täter oder Teilnehmer eine in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtmG genannte Tat verwirklicht oder versucht, liegt der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vor. Durch den Verweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtmG ist also der Anwendungsbereich eröffnet, wenn der Ausländer ohne Erlaubnis Betäubungsmittel anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ohne Handel zu treiben, ein- oder ausführt, veräußert, an einen anderen abgibt oder sonst in Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft.
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§ 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG erfasst – anders als das alte Ausweisungsrecht – auch die Beschaffung zum Eigenkonsum, nicht aber den unerlaubten Besitz von Drogen oder deren Konsum.[21] Im Übrigen wird aber jeder Verstoß gegen das BtmG – einschließlich Anstiftung und Beihilfe (!) – vom Tatbestand erfasst. Die Erfüllung des Tatbestandes setzt insbesondere nicht voraus, dass der Verstoß geahndet worden ist, so dass auch die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO in den Anwendungsbereich der Norm fällt,[22] erfolgt eine Einstellung mangels Tatnachweises (§ 170 Abs. 2 StPO) bzw. ein Freispruch tritt indes eine (faktische) Bindung ein, da die Ausländerbehörde in der Regel über keine besseren Erkenntnismöglichkeiten verfügt.[23]
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§ 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG setzt also auch keine rechtskräftige Verurteilung voraus (vgl. 54.3.1 Anwendungshinweise zum AufenthG)[24]. Auch kommt es – anders als bei § 53 Nr. 2 1. Alt. AufenthG a.F. – nicht darauf an, ob der auf das Betäubungsmitteldelikt entfallende Strafanteil ausgeschieden werden kann, da bereits der Verstoß gegen das BtmG die Ausweisung rechtfertigt.
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Da § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG somit wenig Handlungsspielraum lässt, gilt es vorrangig das für die Gesamtabwägung ebenso bedeutsame Bleiberecht (Rn 65 ff.) sowie die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Gefahrenprognose zu beachten (Rn. 81 ff.).
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§ 54 Abs. 2 Nr. 4. Einen Ausweisungsgrund stellt auch der Konsum von Heroin, Kokain oder eines vergleichbar gefährlichen Betäubungsmittels dar, sofern der Ausländer zu einer erforderlichen, seiner Rehabilitation dienenden Behandlung nicht bereit ist oder sich dieser Maßnahme entzieht; vergleichbar gefährlich i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG sind die in Anlage I, II und III zum BtmG aufgeführten Stoffe, nicht jedoch Canabisprodukte.[25]
Hinweis
Macht der Verteidiger den Drogenkonsum seines Mandanten strafmildernd geltend, sollte er zuvor sicherstellen, dass eine entsprechende Therapiebereitschaft vorhanden ist; andernfalls gerät der Mandant „vom Regen in die Traufe“.
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§ 54 Abs. 2 Nr. 5. Hindert der Ausländer eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Drohung von Gewalt, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, ist der in § 54 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG genannte Tatbestand erfüllt.
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Angesichts der erheblichen Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten hat die Vorschrift keine praktische Relevanz[26].
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§ 54 Abs. 2 Nr. 6. Der Fall der sog. „Zwangsehe“ wird von § 54 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erfasst. Da die „Zwangsehe“ häufig schwer von der nicht erfassten arrangierten Ehe abzugrenzen ist[27] und zudem der entsprechende Straftatbestand zahlreiche weitere Rechtsprobleme aufwirft (vgl.