Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
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Anlass für die Schaffung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO war der sogenannte „Gemeinschuldnerbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes, in dem aus dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ ein verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot für jene Informationen abgeleitet wurde, die im Insolvenzverfahren vom Schuldner erzwungen werden können.[1191] Auch in nachfolgenden Entscheidungen[1192] hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass sich ein verfassungsunmittelbares Beweisverwertungsverbot ergibt, wenn in strafrechtlicher Hinsicht selbstbelastende Auskünfte zwangsweise durchgesetzt werden können. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO geht mit der Statuierung eines „Beweisverwendungsverbotes“ über diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sogar noch hinaus. In der Gesetzesbegründung hieß es dazu: „Entsprechend einem Anliegen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wird damit zum Ausdruck gebracht, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf.“. Daraus hat die Literatur zum großen Teil gefolgert, dass jedwede Nutzung der Informationen, die der Schuldner nach § 97 Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO erteilt hat, außerhalb des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen sein soll.[1193] Sie sollen nicht zur Begründung eines Anfangsverdachtes[1194] herangezogen werden können; darüber hinaus soll auch eine (mittelbare) Fernwirkung[1195] eingreifen. Einige Autoren verneinen auch die Möglichkeit, hypothetische Ermittlungsverläufe insoweit zu berücksichtigen.[1196] Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Rechtspraxis eine solch weitgehende Wirkung dieses Beweisverwendungsverbotes nicht anerkannt hat. Dort wird einhellig davon ausgegangen, dass jedenfalls die erzwungene Vorlage von Geschäftsunterlagen wie Handelsbüchern und Bilanzen, die der Schuldner ohnehin kraft gesetzlicher Verpflichtung führen muss, nicht von dem Beweisverwendungsverbot erfasst wird.[1197]
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Würde man diese letztgenannte Rechtsprechung auf § 630c Abs. 2 S. 3 BGB übertragen,[1198] dann dürften jedenfalls die nach § 630f BGB anzufertigenden Behandlungsdokumentationen als Urteilsgrundlage verwendet werden.[1199] Die oben angesprochene Wortlauteinschränkung „zu Beweiszwecken“ müsste dann sogar noch dazu führen, dass die Informationen nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zumindest als Ermittlungsansatz genutzt werden dürften, da diese Wendung allgemein[1200] und bspw. für § 477 StPO ausdrücklich auch vom Gesetzgeber[1201] so verstanden wird.[1202] Das würde auch dazu führen, dass keine Fernwirkung einträte, da es inkonsequent wäre, den Ermittlungsansatz erst zu legalisieren, um die darauf beruhenden Ermittlungsergebnisse dann für unverwertbar zu halten.[1203]
3. Ratio legis
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Ein derartiges Verständnis dieser Vorschrift dürfte die Ärzteschaft kaum dazu motivieren, ihrer Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB nachzukommen.[1204] Dies stünde aber im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers, der durch diese Informationspflicht ja gerade die Patientenrechte stärken wollte.[1205] Deshalb ist der Anwendungsbereich von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB nicht mit dem der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO gleichzusetzen. Er ist vielmehr vom Ansatz her so zu bemessen, dass die vom Behandelnden erteilten Informationen nicht als Anknüpfungspunkt für Ermittlungen genutzt werden dürfen.[1206] Ferner ist eine umfassende Fernwirkung dergestalt anzuerkennen, dass alle in der Offenbarung des Behandelnden enthaltenen Informationen als Urteilsgrundlage auszuscheiden haben. Dieses Ergebnis lässt sich durch mehrere Argumente stützen: Zunächst ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung der Worte „zu Beweiszwecken“ überhaupt eine Einschränkung zum Ausdruck bringen wollte. In der Gesetzesbegründung wird hierauf nämlich gar nicht eingegangen. Das legt ein redaktionelles Versehen nahe. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber schon in der Entwurfsbegründung[1207] ausdrücklich klargestellt hat, dass der Arzt vor unmittelbaren[1208] straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteilen bewahrt werden soll. Wenn die Erfüllung der Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB aber (mittelbar) ursächlich für eine Verurteilung werden kann, dann stellt diese Verurteilung einen unmittelbaren Nachteil für den Arzt dar. Die Urteilsfolgen sind nicht weniger beeinträchtigend, wenn die vorgeschriebene Informationserteilung sie nur mittelbar möglich gemacht hat. Auch der Vergleich mit der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und ihrer Interpretation ist keineswegs zwingend. Jene Vorschrift wurde im Gesetzentwurf nämlich noch gar nicht in Bezug genommen. Dies geschah erst in der Stellungnahme[1209] des Bundesrates. Dies sollte aber nicht die grundsätzliche Reichweite der Vorschrift konkretisieren, sondern lediglich die Einbeziehung der Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO in ihren Anwendungsbereich begründen.
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Gegen dieses Ergebnis kann allerdings angeführt werden, dass ein gut beratener Arzt durch eine möglichst frühzeitige und umfassende Offenbarung sich praktisch seiner Bestrafung entziehen kann.[1210] Diese goldene Brücke sollte ihm aber – jedenfalls grundsätzlich (s. Rn. 202) – im Interesse des Patientenwohles[1211] eröffnet werden. Das Strafrecht kennt auch in anderem Zusammenhang Konstellationen, in denen nachträgliches Verhalten den Weg aus der Strafbarkeit selbst dann ermöglicht, wenn der Erfolg schon eingetreten ist. Zu denken ist bspw. an die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht oder die Möglichkeiten zur tätigen Reue im Strafgesetzbuch.[1212]
4. Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe
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Allerdings ist es auch in vorliegender Konstellation zulässig, hypothetische Ermittlungsverläufe zu berücksichtigen. Zwar bleibt die erteilte ärztliche Auskunft als unmittelbares Beweismittel unverwertbar. Auch dürfte angesichts des von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB verfolgten Schutzzwecks (Stärkung des Patientenwohls) eine Fernwirkung dieses Beweisverwertungsverbotes anzunehmen sein, da andernfalls der Arzt durch seine Pflicht zur Auskunft zu seiner eigenen Überführung beigetragen hätte. Hätte dieses Beweismittel (bspw. die Patientenakte[1213]) aber auf einem – hypothetisch bleibenden – Ermittlungsweg zulässig erlangt werden können, so spricht doch vieles dafür, dass der Arzt durch seine Auskunft nicht eine Beweiskette blockieren kann, die unabhängig von seiner Auskunft von den Ermittlungsbehörden erfolgreich hätte geknüpft werden können.[1214] Um aber die Fernwirkung des Beweisverbots nicht zum bloßen Lippenbekenntnis werden zu lassen, sind mit Beulke[1215] für die Wahrscheinlichkeit dieses hypothetischen Ermittlungsverlaufs diejenigen Anforderungen zu verlangen, die an die Gewissheit des Richters für eine Verurteilung zu stellen sind: Eine Verwertung darf also nur dann erfolgen, wenn der Richter zu der Überzeugung gelangt, dass das fragliche Beweismittel nach menschlichem Ermessen sowieso erlangt worden wäre (bspw. im Falle eines schweren Behandlungsfehlers mit bereits zu Tage getretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen, für die nicht nur aus Patientensicht keine andere Erklärung als ein ärztlicher Behandlungsfehler in Betracht kam).
5. Weiterreichende Wirkung
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Zweifelhaft ist auch, ob das Beweisverwendungsverbot außerhalb des Straf- und Bußgeldrechtes Wirkung entfaltet. Behandlungsfehler haben für einen Arzt auch in anderen Zusammenhängen erhebliche Bedeutung. In diesem Bereich sind die Folgen der in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB statuierten Aufklärungspflicht noch gänzlich ungeklärt.[1216]