Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
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1. Zulässige Stammzellgewinnung102, 103
2. Stammzellgewinnung aus Embryonen in Deutschland104 – 106
3. Import von Stammzellen107 – 111
4. Klonen zu Forschungszwecken112 – 115
VII. Korruptionsstrafrechtliche Risiken im Kontext der Humanforschung116 – 118
A. Einleitung
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Aufgabe der medizinischen Forschung – im Sinne einer methodengeleiteten Suche nach verallgemeinerbaren Erkenntnissen[1] – ist es, neue (verbesserte) Standards zu entwickeln und für die ärztliche Praxis nutzbar zu machen.[2] Staatliche Regulierung (auch die strafrechtliche) trifft hier auf vielfältig konfligierende Interessen: Die Würde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Grundrecht der Studienteilnehmer auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), die Forschungs- und Berufsfreiheit der professionellen Akteure (Art. 5 Abs. 3 S. 1, 12 Abs. 1 GG) sowie das Interesse der Allgemeinheit an medizinischem Fortschritt geraten in ein unübersichtliches Spannungsverhältnis und bedürfen – soweit nicht die abwägungsfeste Menschenwürdegarantie betroffen ist – eines möglichst schonenden Ausgleichs, der jedoch stets den grundsätzlichen Primat der Autonomie und Integrität des Individuums zu wahren hat (vgl. dazu etwa Art. 7 S. 2 IPbpR, sowie Ziff. 8, 25 ff. DvH).[3] Die vorbezeichnete Abwägungsnotwendigkeit hat ihren Niederschlag in den zahlreichen Spezialvorschriften gefunden, welche den Bereich der medizinischen Forschung regeln.
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Das Strafrecht der medizinischen Forschung ist akzessorischer Natur; es ist geprägt durch Blankettstraftatbestände (vgl. §§ 95, 96 AMG) und auch dort, wo es auf die Delikte des Kernstrafrechts zurückgreift, in erheblichem Maße abhängig von außerstrafrechtlichen Wertungen. Es weist damit zentrale Merkmale des modernen (Medizin- und Wirtschafts-)Strafrechts auf.[4] Eine Darstellung des Strafrechts der medizinischen Forschung kommt daher nicht umhin, diese außerstrafrechtlichen Wertungen in einem gleichsam „vor die Klammer gezogenen“ Abschnitt zu würdigen.[5] Nach einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Rechts der medizinischen Forschung (Rn. 3 ff.) sollen daher im Folgenden die für die medizinische Forschung maßgeblichen Rechtsquellen vorgestellt (Rn. 5 ff.) und die verschiedenen Formen ärztlichen Versuchshandelns einer systematischen Betrachtung zugeführt werden (Rn. 20 ff.); darüber hinaus soll die besondere Rolle der Ethikkommissionen bei der Genehmigung medizinischer Forschungsvorhaben thematisiert werden (Rn. 51 ff.). Erst auf dieser Grundlage erscheint sodann eine Auseinandersetzung mit den spezifisch strafrechtlichen Risiken der Forschung am Menschen möglich (Rn. 54 ff.).
B. Historische Entwicklung des Rechts der medizinischen Forschung
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Die Ursprünge der medizinischen Forschung reichen bis weit in die Antike zurück. So wiesen etwa bereits aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. berichtete Giftexperimente einen versuchsartigen Charakter auf.[6] Systematisch angelegte Versuchsreihen begegnen sodann vor allem seit dem 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Inokulation von Krankheitserregern. Beispielsweise wurde 1722 in England zum Tode Verurteilten die Möglichkeit eröffnet, an einer Impfung mit Pockenviren teilzunehmen und im Erfolgsfalle begnadigt zu werden.[7] In Preußen machte ein Zirkular des Innenministeriums aus dem Jahr 1891 die Behandlung von Gefangenen mit dem von Robert Koch entwickelten Tuberkulin ausdrücklich von deren Zustimmung abhängig;[8] eine Anweisung des Kultusministeriums aus dem Jahr 1900 unterstellte medizinische Forschungsvorhaben der Aufsicht des Klinikvorstehers, untersagte die Einbeziehung minderjähriger oder aus anderen Gründen geschäftsunfähiger Personen und verlangte eine „sachgemäße Belehrung“ sowie die Zustimmung der Teilnehmer.[9] Den Anlass für die Verabschiedung der letztgenannten Anweisung bildete der Fall des Venerologen Neisser (1855–1916), der 1892 im Rahmen einer Testreihe für ein von ihm entwickeltes Syphilis-Impfserum acht (zum Teil minderjährige) Patientinnen ohne deren Wissen den Syphiliserreger injiziert hatte, woraufhin vier der Frauen an Syphilis erkrankten.[10] Die durch das preußische Kultusministerium erlassene Anweisung vermochte allerdings das Vorgehen der Ärzteschaft bei der Erforschung neuer therapeutischer Verfahren kaum zu beeinflussen, wie beispielsweise die – häufig ohne Zustimmung der Betroffenen oder an Einwilligungsunfähigen vorgenommene – Erprobung des Syphilis-Präparates Salvarsan zu Beginn des Jahrhunderts zeigte.[11]
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Erhebliches öffentliches Aufsehen erregte sodann der Lübecker Impfskandal, in dessen Verlauf im Februar 1930 aufgrund eines unreinen Bacillus-Calmette-Guérin-Vakzins 77 der 256 mit dem Impfstoff inokulierten Kinder an Tuberkulose verstarben. Im Nachgang zu diesem Skandal, der eine breite juristische und politische Aufarbeitung nach sich zog,[12] erließ das Reichsministerium des Innern im Jahr 1931 (freilich schon zuvor auf den Weg gebrachte) „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“.[13] Die Richtlinien, die der Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in die Forschung am Menschen dienen sollten, verlangten eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung und setzten voraus, dass neue Heilmethoden „in ihrer Begründung und ihrer Durchführung mit den Grundsätzen der ärztlichen Ethik und den Regeln der ärztlichen Kunst und Wissenschaft im Einklang stehen“. Normiert wurde auch ein grundsätzlicher Vorrang der Forschung an Tieren, die Verpflichtung zur Aufklärung der Probanden sowie eine Dokumentationspflicht; wissenschaftliche Versuche an Minderjährigen wurden stark eingeschränkt.[14] Im denkbar größten Kontrast zu den skizzierten Bemühungen um eine regulatorische Einhegung der medizinischen Forschung standen die verbrecherischen und menschenverachtenden Experimente in der Zeit des Nationalsozialismus, von denen u.a. der 1946–1947 vor dem 1. Amerikanischen Militärtribunal