Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter
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Gegen die Verjährungseinrede nach der mehr als drei Jahre später erhobenen Klage hat der Patient versucht, seine Behandlungsfehlervorwürfe als Vermutungen zu relativieren. Erst ein über die Krankenkasse eingeholtes MDK-Gutachten habe eine ausreichend sichere Kenntnis über das behandlungsfehlerhafte Vorgehen ergeben.
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Dem hat der BGH entgegengehalten, dass eine Gewissheit, wie sie sich der Kläger durch dieses Gutachten verschaffen zu können hoffte, für die Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. nicht erforderlich sei. Der Verjährungsbeginn setze keineswegs voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand habe, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Es müsse dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt sei, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit eines schadensursächlichen ärztlichen Fehlverhaltens. Dabei war für den BGH auch von Bedeutung, dass der Anwalt des Klägers mit den Behandlungsfehlervorwürfen bereits eine Klagerhebung in Aussicht gestellt hatte.
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Mit ähnlicher Argumentation hatte das OLG München in einer Entscheidung vom 6.2.1992[22] den Vorwurf der Patientin gegen Unfallchirurgen, deren unzureichende Reaktion auf Schmerzen nach einer Radiustrümmerfraktur habe zu einem Morbus Sudeck geführt, ausreichen lassen, von Kenntnis i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. auszugehen.
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Die bereits für sich in Anspruch genommene Kenntnis und entsprechende Behauptung, durch Behandlungsfehler geschädigt zu sein, führt auch in anderen obergerichtlichen Entscheidungen zur Annahme einer Kenntnis der Patientenseite.[23] In dem am 2.7.2014 vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall[24] hatte die Klägerin im Januar 2007 gegen die ihre Schwangerschaft betreuenden Gynäkologen anwaltlich vertreten Schadensersatzansprüche geltend gemacht und diese auf den Vorwurf gestützt, sie hätten es versäumt, sie zur Durchführung einer Sectio in stationäre Behandlung einzuweisen. Hierdurch sei es zum Tod ihres Kindes gekommen. Die Nichteinweisung sei grob behandlungsfehlerhaft gewesen. Im etwa zeitgleich durch ihre Strafanzeige eingeleiteten Ermittlungsverfahren hatte sie weiter ausgesagt, auch sie selbst hätte sterben können, wenn weiter gewartet worden wäre. Die Vorwürfe wurden – differenzierter mit der Annahme unzureichender CTG-Befundung – durch den Gutachter im Ermittlungsverfahren im Jahr 2011 bestätigt. Das OLG sah hierin jedoch lediglich eine Bestätigung der schon im Jahr 2007 vorliegenden Kenntnis. Der im Jahr 2013 eingereichte Prozesskostenhilfeantrag war damit in verjährter Zeit gestellt worden.
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Genauso hat der BGH in seiner Entscheidung vom 8.11.2016[25] Kenntnis spätestens unterstellt, nachdem mit einem Anwaltsschreiben vom August 2007 deutlich Behandlungsfehlervorwürfe angesprochenen wurden.
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Dass Unmutsäußerungen eines Patienten nicht gleich auf Kenntnis von einem Behandlungsfehler schließen lassen, hat das OLG München in seiner Entscheidung vom 23.1.2014[26] in einem Fall unterstrichen, in welchem es um die Auslegung der Weigerung eines Patienten ging, die Eigenanteil-Rechnung eines Hautarztes zu begleichen. Der Patient hatte gegen die Rechnung eingewandt, dass „nach Aussagen mehrerer Ihrer Kollegen das Ausmaß des operativen Eingriffs an meinem Rücken weit überzogen“ gewesen sei. Das OLG München sah darin noch nicht die Behauptung eines Behandlungsfehlers und auch noch keinen Hinweis auf ausreichende Kenntnis, da dem Patienten diverse Unterlagen zur Beurteilung fehlten.
3. Verhältnis von Kenntnis und herabgesetzter Substantiierungslast
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Die geringen Anforderungen an die Substantiierung einer Klage in Arzthaftungsprozessen können nicht dazu führen, der Patientenseite zur Vermeidung der Einrede der Verjährung zuzumuten, schon gestützt auf bloße Vermutungen eine Klage zu erheben.[27] Was als Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 BGB anzusehen ist, kann nicht durch herabgesetzte Substantiierungsanforderungen bestimmt werden. Wer erst klagen will, wenn er einigermaßen weiß, dass Ursache der Erkrankung ein Behandlungsfehler ist, dem kann nicht erklärt werden, eine solche medizinische Kenntnis benötige er gar nicht.[28] Wenn die Patientin/der Patient schon aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Behandlung und Schädigung gestützt auf ihre/seine Vermutung eines Behandlungsfehlers eine hinreichend schlüssige Klage erheben kann, heißt dies nicht, dass sie/er auch nur annähernd die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen kann. Auf diesem Kenntnisstand kann eine (Feststellungs-)Klage nicht als zumutbar angesehen werden.[29]
4. Rückschluss auf Kenntnis aus Behandlungsfehlervorwürfen im Klagverfahren
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Wir finden in einzelnen Entscheidungen die Überlegung, der Patient trage zum Behandlungsfehlervorwurf etwas vor, was er schon vor Jahren in verjährungsrelevanter Zeit hätte vortragen können. So schließt das OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 24.2.2015[30] aus Vorwürfen des Patienten, die in verjährungsrelevanter Zeit gar nicht erhoben worden waren, sondern erst in seiner Klagschrift vom Juni 2013, deshalb auf Kenntnis in verjährungsrelevanter Zeit, weil der Erkenntnisstand des Klägers mit Blick auf mögliche Behandlungsfehler sich in den letzten 3 Jahren vor der Klagerhebung nicht verbessert habe, der Kläger also mit derselben Begründung wie im Jahr 2013 auch schon 2009 hätte Klage erheben können. Es ging in diesem Fall um diverse Komplikationen nach der Versorgung von Unfallverletzungen im Jahr 2007. Der Vorwurf in der Klagschrift ging dahin, die Unfallchirurgen hätten Schäden im rechten Knie zu spät erkannt und dann fehlerhaft nicht operativ versorgt und sie hätten eine Femurfraktur unsachgemäß operiert und den Heilungsverlauf falsch beurteilt. Was konkret standardwidrig gewesen sein sollte, ging aus der Klagschrift nicht hervor. Welche Verstöße gegen den fachärztlichen Standard dem Kläger schon in verjährungsrelevanter Zeit bekannt gewesen sein sollen, geht aus der Entscheidung des OLG Koblenz ebenfalls nicht hervor.
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Damit konnte, wie Jaeger in seiner Anmerkung[31] zutreffend herausarbeitet, der Ablauf der Verjährungsfrist nicht begründet werden. Zu der vom Schuldner darzulegenden und zu beweisenden Kenntnis vor dem Jahr 2010 fehlen der Entscheidung des OLG Koblenz tragfähige Feststellungen, zumal auch die Klagschrift (in zulässiger Weise) nicht auf konkrete Standardabweichungen, sondern allein auf Vermutungen gestützt war.[32] Feststellungen zu einer Kenntnis von einem Verstoß gegen den medizinischen Standard wären jedoch Voraussetzung für die Annahme des Eintritts der Verjährung.
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In einer umstrittenen Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 28.10.2010[33], die noch näher zu beleuchten sein wird, ist der klagenden Patientin ebenfalls vorgehalten worden, es sei nicht deutlich geworden, welche konkreten Informationen zu Behandlungsfehlern sie erst in den letzten drei Jahren vor Klagerhebung erlangt habe. Jaeger unterstreicht in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung[34], dass es Sache der Beklagten gewesen wäre, darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin in verjährungsrelevanter Zeit Kenntnis hatte, und dass dazu auch in dieser Entscheidung Feststellungen fehlten.
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Auch wenn die vorstehend erörterten obergerichtlichen Entscheidungen nicht überzeugen, empfiehlt es sich für die Klägerseite deutlich zu machen, was wann zu einer für die Klagerhebung hinreichenden Kenntnis geführt hat. Mit der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016[35] ist jedoch geklärt, dass nicht wie in den vorstehend zitierten Entscheidungen des OLG Koblenz