Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter

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Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter

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Kenntnis vom schadenskausalen Fehler. Stellt sich z.B. im Verfahren gegen die mit der Schwangerschaftsbetreuung befassten Frauenärzte heraus, dass nach der Aufnahme der Schwangeren in die Frauenklinik auch dort grobe Fehler den Schaden nicht abgrenzbar verursacht haben können, beginnt der Lauf der Verjährung gegen die Frauenklinik und die dort beteiligten Ärzte und Hebammen erst mit dieser Kenntnis. Der BGH spricht zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. davon, dass dann, wenn mehrere als Ersatzpflichtige ernsthaft in Betracht kommen, die Verjährung erst mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem begründete Zweifel über die Person des Ersatzpflichtigen nicht mehr bestehen.[50]

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      Begeht ein Arzt bzw. ein Behandlungsträger sukzessive mehrere Fehler mit jeweils unterschiedlichen Beeinträchtigungen, müssen die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Hinblick auf jede einzelne Pflichtverletzung geprüft werden.[51] Fraglich ist jedoch, ob im Rahmen einer konkreten Behandlung, an deren Ende der Schaden steht, unterschiedliche Fehler zu unterschiedlichen Fristläufen führen können. Für den Fall mehrerer Fehler bei einer Anlageberatung hat der BGH in seiner Entscheidung vom 9.11.2007[52] erkannt, dass für jeden Fehler eigenständig der Ablauf der Verjährungsfrist zu prüfen ist. Dem Gläubiger müsse es unbenommen bleiben, ihm bekannt gewordene Aufklärungsfehler hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst unbekannt gebliebenen Aufklärungspflichtverletzungen zu verjähren beginnen.

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      Dem kann jedoch im Behandlungsfehlerbereich der Grundsatz der Einheit einer Behandlung entgegenstehen. So kommt es für den Erfolg der Klage der Patientenseite nicht darauf an, dass genau der Fehler, welcher bei Klagerhebung gerügt wurde, im gerichtlichen Verfahren bestätigt wird. Kommt das Gericht sachverständig beraten zu dem Ergebnis, dass ein anderer Fehler den vom Kläger geltend gemachten Schaden verursacht hat, führt dies zum Erfolg der Klage. Hier kommt dem Kläger die eingeschränkte Substantiierungslast zugute. Verjährungsrechtlich kommt dies dem Patienten in der Weise zugute, dass Streitgegenstand im gerichtlichen Verfahren die gesamte Behandlung ist und die Verjährung mithin auch für nicht ausdrücklich thematisierte Fehler gehemmt ist.[53] Der Nachteil für den Patienten liegt darin, dass im Falle der Klagabweisung von der Rechtskraft der Entscheidung auch Ansprüche aus erst später festgestellten Fehlern erfasst sind.

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      Das führt zugleich dazu, dass im Rahmen einer einheitlichen Behandlung nicht jeder, erst später durch Gutachter aufgezeigte weitere Fehler eine neue Verjährungsfrist auslöst. So sieht das OLG Saarbrücken nach einem substantiiert erhobenen und durch ärztliche Beratung unterlegten Vorwurf einer zu späten stationären Einweisung einer Schwangeren in verjährungsrelevanter Zeit keinen neuen Verjährungslauf, wenn dieser Vorwurf später im Ermittlungsverfahren durch gutachterliche Kritik an mangelnder Befunderhebung erweitert wird.[54] In diesem Fall hatten beide Fehler zu einer zu späten stationären Einweisung geführt mit der Folge eines Versterbens des Kindes.

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      Andererseits kann ein erst später erkannter Fehler zu einem entsprechend späten Zeitpunkt der Kenntnis führen, obwohl schon zu einem früheren Zeitpunkt Tatsachen auf andere Fehler hingedeutet hatten.[55] In dem vom BGH am 23.4.1985 entschiedenen Fall hatten die Eltern eines nach einem Herzstillstand verstorbenen Jungen dem behandelnden Arzt vorgeworfen, nach einer Blinddarmoperation und einem danach eingetretenen Darmverschluss zu lange mit der Nachoperation gewartet und durch Narkosefehler den Herzstillstand herbeigeführt zu haben. Während die Vermutung eines zu langen Abwartens mit der Nachoperation schon früher bestand, hatte sich der Vorwurf fehlerhafter Narkose erst im Strafverfahren gegen den Arzt herausgestellt. Der BGH weist auf folgendes hin: „Soweit es sich um mögliche Behandlungsfehler des Beklagten bei der zweiten Operation des Sohnes der Kläger handelt, die nicht die Narkose und die Wiederbelebung betreffen, kann den Klägern nicht eine frühere Kenntnis von der Person des Schädigers entgegengehalten werden. Die Operation ist ein einheitlicher Lebensvorgang, der im Hinblick auf die Verantwortung des Beklagten im Streitfall nicht sinnvoll in einzelne Handlungsabläufe mit verschiedenen Verjährungsfristen aufzuteilen ist. Deshalb darf der Umstand, dass die Kläger einzelne Tatsachen, die ebenfalls auf einen Behandlungsfehler des Beklagten hindeuten könnten, schon früher gekannt haben, nicht dazu führen, die Behauptung, es hätten auch insoweit Behandlungsfehler vorgelegen, nicht mehr zu prüfen. Die Vermutung des Geschädigten, der Arzt habe den Fehler bei der Operation schuldhaft verursacht, hat sich vielmehr in einem solchen Fall erst durch die weitere Kenntnis vom Operationsverlauf so verstärkt, dass der Geschädigte nunmehr mit einiger Aussicht auf Erfolg klagen kann. Zur Begründung der Klage muss er dann auch Tatsachen anführen dürfen, die bis dahin nicht auszureichen schienen, gegen den Schädiger gerichtlich vorzugehen.

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      Hatten jedoch Hinweise auf einzelne Behandlungsfehler schon das Gewicht, dass die Patientenseite aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage zu erheben in der Lage gewesen wäre, ist aber davor zu warnen, bei späterer Erkennung eines weiteren Fehlers die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis erst ab diesem späten Zeitpunkt anzunehmen.

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      Ein „negatives“ MDK-Gutachten wird für die Patientenseite verjährungsrechtlich problematisch, wenn das Gutachten Behandlungsfehler oder Befunderhebungsfehler aufzeigt, die Kausalität aber verneint, weil nicht nachgewiesen werden könne, dass der Schaden auf den/die Behandlungsfehler zurückgehe. Hier greifen medizinische und rechtliche Bewertung ineinander. Ergeben sich aus dem Gutachten hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür, dass dem Patienten Beweiserleichterungen zugutekommen, die einen vollen Kausalitätsbeweis nicht erfordern, dann sind wir bei der Frage der zutreffenden rechtlichen Einordnung. Die fehlerhafte rechtliche Einordnung verhindert den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Goehl vertritt die Ansicht, dass reduzierte Kenntnisanforderungen infolge einer Beweislastumkehr den Verjährungsbeginn nicht beeinflussen könnten, weil dem Patienten anderenfalls eine Klagerhebung zugemutet werde, „obwohl der Patient von den für eine laienhafte Einschätzung der Prozessaussichten essentiellen Umständen, aus denen sich die haftungsbegründende Kausalität ergibt, nicht einmal im Ansatz Kenntnis hat“.[56] Goehl vermengt dabei die Ebenen der Kenntnis von den haftungsbegründenden Umständen und ihrer (auch beweis-)rechtlichen Würdigung.

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      Zwar gehört zur verjährungsrelevanten Kenntnis grundsätzlich auch das Wissen davon, dass das schuldhafte Fehlverhalten des Anspruchsgegners als Ursache für den Schaden anzusehen ist. Wegen der Beweiserleichterungen im Arzthaftungsrecht ist aber nicht in jedem Fall der Vollbeweis der Kausalität des Fehlverhaltens für den Schaden erforderlich. Hier sind wir bei der zutreffenden rechtlichen Würdigung der bekannten Tatsachen, die nicht zu den subjektiven Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn zählt. Gerade bei schweren Schäden aus fehlerhafter Behandlung bleibt fast regelmäßig trotz umfassender Begutachtung vorprozessual und im Gerichtsverfahren die Kausalität der Standardunterschreitung für den Schaden ungeklärt. Dennoch wird wegen der (inzwischen gesetzlich verankerten) Beweiserleichterungen der Schadensersatzanspruch bestätigt. Zu der Einschätzung der Prozessaussichten gehört daher neben der medizinischen Bewertung der Behandlung die juristische Wertung (grob oder nicht, Befunderhebungsfehler oder Diagnosefehler) und diese juristische Würdigung gehört nicht zu den haftungsbegründenden Umständen (Tatsachen). Bleibt die Kausalität offen, ist aber von einem groben Behandlungsfehler auszugehen und weiß der Patient, dass der Fehler zumindest geeignet war, die Schädigung herbeizuführen bzw. nicht zu vermeiden, dann sind das die Umstände, die in die juristische Bewertung der Prozessaussichten einfließen.

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