Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter
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Auch innerhalb der Regressabteilung stellt der BGH auf die Kenntnis des jeweils zuständigen Regresssachbearbeiters ab. Das wird sehr deutlich an einer Entscheidung vom 15.3.2011[89] zur Kenntniszurechnung bei auf die gesetzliche Pflegekasse übergegangenen Ansprüchen. Bekanntlich verfügt die Pflegekasse über kein eigenes Personal. Die Verwaltung der Pflegekassenleistungen und sonstigen Angelegenheiten wird von den Mitarbeitern der Krankenkasse erledigt, bei welcher die Pflegekasse (als selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts) gebildet ist. Das gilt auch für die Regresssachbearbeitung. Und obwohl dieselbe Regresssachbearbeiterin im Falle der schädigungsbedingten Leistungspflichten für beide Kassen zuständig ist, wird deren Kenntnis der Pflegekasse erst dann zugerechnet, wenn diese erstmals Leistungen zu erbringen hat, was bei längeren stationären neurologischen Reha-Behandlungen durchaus erst im Folgejahr nach einem Schadensereignis sein kann. Denn erst dann ist diese Regresssachbearbeiterin für die Pflegekasse zuständig geworden.
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Zu der Frage, ob in der Regressabteilung die aus anderen Fallbearbeitungen erworbenen medizinischen Fachkenntnisse dem einzelnen Regresssachbearbeiter und über diesen dem Sozialversicherungsträger im Wege einer Art Wissenszusammenrechnung zugerechnet werden können, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 26.5.2020[90] mittelbar Stellung genommen, indem er mit Blick auf medizinische Fachkenntnisse in einer Anwaltskanzlei festgehalten hat, dass dem Sozius, der einen Patienten arzthaftungsrechtlich vertritt, das medizinische Fachwissen anderer Sozien aus vergleichbaren Fällen nicht zugerechnet werden könne, und zwar „nach der Rechtsprechung des Senats für Behörden und öffentliche Körperschaften, nach der auf die Kenntnis des nach der behördlichen Organisation zuständigen, mit der Vorbereitung und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen betrauten Bediensteten abzustellen ist“.
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Außerhalb des Behandlungsfehlerbereichs hat der BGH dann mit seiner Entscheidung vom 17.4.2012[91] den Aspekt der grob fahrlässigen Unkenntnis durch unzureichende Organisation der Informationsflüsse bei einem Sozialversicherungsträger herausgearbeitet. Der BGH unterstreicht auch hier wieder, dass es für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis auf die insoweit zuständigen Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit ankommt. Grob fahrlässige Unkenntnis kommt nach dieser Entscheidung aber auch in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können. Darüber hinaus erlegt der BGH bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben sei, dem SVT hinsichtlich der Einzelheiten der internen Organisation und der internen Abläufe eine sekundäre Darlegungslast auf. Der SVT ist jedoch nicht verpflichtet, auf ins Blaue hinein angestellte Vermutungen der Beklagtenseite seine Verwaltungsvorgänge vorzulegen, wenn er als Kläger darlegt, dass es Unterlagen mit dem vom Gegner vermuteten Inhalt nicht gibt.[92]
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Es ging in der Entscheidung des BGH vom 17.4.2012 um die Folgen eines Verkehrsunfalls. Die besonderen Anforderungen an die Kenntnis in Arzthaftungsfällen werden durch diese Entscheidung nicht relativiert. Mit einer Berufung auf diese Entscheidung kann z.B. einer Krankenkasse nicht als grob fahrlässige Unkenntnis angelastet werden, dass sie nicht ausreichend organisiert habe, dass bei negativem Ausgang einer Behandlung mit schweren Folgen die Regressabteilung nicht informiert wurde. Der Informationsfluss ist vielmehr nur für die Fälle zu organisieren, in denen im Rahmen der Leistungssachbearbeitung Umstände bekannt werden, die einen Regress begründen können. Und dazu reichen, wie die Entscheidung vom 28.2.2012[93] deutlich macht, der negative Ausgang der Behandlung, die Schwere der Erkrankung und die Höhe der Aufwendungen nicht aus.
II. Kenntnis durch Hinweise des Versicherten
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Da es auf die Kenntnis der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers ankommt, nicht auf die (vermeintliche) Kenntnis des Versicherten, und da sich ein SVT Vermutungen oder medizinisch nicht begründete Anschuldigungen des Versicherten nicht ohne weiteres zu eigen machen kann, wird Kenntnis des SVT durch Äußerungen oder Anfragen des Versicherten i.d.R. nicht begründet.[94] Vielmehr kann dem SVT Kenntnis erst dann zugerechnet werden, wenn er durch den Versicherten von einer entsprechenden medizinischen Bewertung z.B. durch ein nachvollziehbares Gutachten Kenntnis erhält.
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Eine Kenntnis oder zumindest Klärungsobliegenheit zur Vermeidung des Vorwurfs grob fahrlässiger Unkenntnis kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der Versicherte einen detaillierten Behandlungsfehlervorwurf ausformuliert, sich also nicht nur über den negativen Ausgang einer Behandlung beschwert. Das OLG Naumburg sieht in seiner Entscheidung vom 6.3.2014[95] einen solchen Fall der Kenntnis durch Behauptungen des Versicherten gegeben. Es reiche danach aus, dass die Krankenkasse Kenntnis davon habe, dass ein Klagverfahren des Versicherten überhaupt laufe, sie Kenntnis vom Inhalt der Klageschrift habe, mit dem hinter dem Beklagten stehenden Haftpflichtversicherer in Korrespondenz gestanden habe und dessen fehlende Bereitschaft, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, ebenfalls gekannt habe.
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Die Entscheidung mag im Ergebnis richtig sein. Nach den Entscheidungsgründen soll in der der Krankenkasse bekannten Klagschrift des Versicherten auf den Gesichtspunkt fehlender differentialdiagnostischer Maßnahmen ausdrücklich hingewiesen worden sein. Wie detailliert und durch medizinische Beratung unterlegt dies der Fall war, geht aus den Gründen jedoch nicht hervor. Allein der Umstand, dass ein Versicherter klagt und in der dem SVT bekannten Klage Vorwürfe erhebt, kann für eine Kenntnis des SVT jedoch nicht ausreichen. Die (nicht näher referierte) Korrespondenz mit dem Haftpflichtversicherer mag Hinweise auf eine Kenntnis der Krankenkasse enthalten. Es bleibt aber in der Entscheidung offen, welche Kenntnisse die klagende Krankenkasse hatte bzw. grob fahrlässig nicht hatte.[96] Die fehlende Bereitschaft des Schuldners bzw. seines Haftpflichtversicherers, einen Verjährungsverzicht auszusprechen, ist bei der Frage der Kenntnis irrelevant. Denn es kann zur Vermeidung von späteren Verjährungsdiskussionen durchaus angeraten sein, sich auch ohne hinreichende Kenntnis von einem schadenskausalen Behandlungsfehler bei dem Haftpflichtversicherer des Schuldners um einen Einredeverzicht zu bemühen.
III. Zumutbare Bemühungen um Klärung eines schadenskausalen Behandlungsfehlers
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Die Frage zumutbarer Bemühungen eines SVT ist schon nach altem Recht hin und wieder angeklungen, insbesondere wenn es darum ging, ob dem Sozialversicherungsträger vorgehalten werden kann, er habe sich einer leicht zugänglichen Erkenntnismöglichkeit verschlossen. So hat der BGH sich in seiner Entscheidung vom 9.7.1996[97] mit einem Fall zu befassen gehabt, in welchem der Sozialhilfeträger nach einer Unfallverletzung Wissenslücken hinsichtlich eines Unfallherganges durch Anforderung der Ermittlungsakten hätte ausfüllen können. Hier meinte der BGH, dass eine Aktenüberprüfung bzw. Aktenauswertung mit dem Ziel einer Feststellung der Voraussetzung eines deliktischen Schadensersatzanspruches von dem Geschädigten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter nicht verlangt werden könne. Es gehe hier nicht um eine ohne nennenswerten Aufwand zu erledigende Erkundigung wie etwa die Nachfrage nach dem Namen eines Unfallbeteiligten. Es handele sich also nicht um gleichsam auf der Hand liegende Erkundigungsmöglichkeiten.
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In einem Fall übergegangener Schadensersatzansprüche aus sexuellem Missbrauch hat es der BGH in seiner Entscheidung vom 14.10.2003[98] dem Sozialleistungsträger nicht als nachteilig angerechnet, dass nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die Sache sei in die Revision gegangen, nicht