Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter
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Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 8.11.2016[122] ein Ablehnungsschreiben des Haftpflichtversicherers ausreichen lassen, in welchem mit ausführlicher Begründung unter anderem mitgeteilt wurde, dass nach Auswertung und Überprüfung der Unterlagen ein die Haftung begründendes Fehlverhalten der Ärzte der Versicherungsnehmerin nicht festzustellen sei, dass sich vielmehr aus den Unterlagen ergebe, dass mit aller Sorgfalt vorgegangen worden sei und dass demnach eine Haftung bereits dem Grunde nach abzulehnen sei. Man bedauere, keine günstigere Mitteilung machen zu können, hoffe jedoch auf das Verständnis der Mandantschaft. Im Übrigen werde davon ausgegangen, dass etwaige Ansprüche bereits verjährt seien. Damit sei – so der BGH – mit der erforderlichen Deutlichkeit der Abbruch der Verhandlungen zum Ausdruck gekommen.
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Es fällt schwer, aus der zitierten Entscheidung des OLG Köln den qualitativen Sprung von einer abschließenden Höflichkeitsfloskel zum Abbruch der Verhandlungen nachzuvollziehen. Aber auch aus der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016 wird für den Praktiker nicht deutlich, woraus neben der zweifellos ersichtlichen Verneinung des Anspruchsgrunds auch auf den Abbruch der Verhandlungen geschlossen werden sollte.
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Es empfiehlt sich, bei ablehnenden Schreiben eines Haftpflichtversicherers kritisch zu prüfen und im Zweifel ausdrücklich durch Nachfrage zu klären, ob damit bereits die Verhandlungen abgebrochen sein sollten.
b) Einschlafen der Verhandlungen
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Noch unschärfer als der ausdrückliche oder deutlich zum Ausdruck gebrachte Abbruch von Verhandlungen stellt sich in der Rechtsprechung die Annahme eines Abbruchs der Verhandlungen durch Einschlafen dar.
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Der VI. Zivilsenat des BGH hatte einen Abbruch der Verhandlungen durch Einschlafenlassen in der Vergangenheit dann angenommen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt hatte, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen.[123] Er hat ein solches Einschlafenlassen der Verhandlungen z.B. in einem Fall angenommen, in welchem der Haftpflichtversicherer am 7.12.1983 eine detaillierte Stellungnahme zur Anspruchshöhe abgegeben und um Beantwortung von Fragen zur Höhe der geltend gemachten Pflegekosten gebeten hatte. In diesem Fall hielt der BGH die Reaktion der Klägerin erst am 17.3.1984 für verspätet, sodass die Hemmungswirkung noch vor diesem Zeitpunkt entfallen sollte.
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Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung war diskutiert worden, für das Einschlafen von Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB eine ähnliche Regelung wie in § 204 Abs. 2 für den Stillstand des Verfahrens einzuführen mit einer Nachhemmung von 6 Monaten nach der letzten Erklärung einer der Parteien. Auch war überlegt worden, ob die Schriftform für verhandlungsbeendende Erklärungen eingeführt werden sollte. Der Gesetzgeber hat sich jedoch gegen eine solche, sicher einfacher zu berechnende Regelung entschieden. Man entschied sich für die Fortführung der bisher durch die Rechtsprechung gefundenen flexiblen Lösung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. Das praktische Problem, dass Gläubiger und Schuldner im Zweifel unterschiedliche Zeitpunkte angeben werden, zu welchen der nächste Schritt hätte erwartet werden dürfen, bleibt damit bestehen.[124]
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Da der Sinn der Verjährung dahingeht, den Schuldner davor zu bewahren, nach längerer Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen konfrontiert zu werden, lässt sich die Annahme eines Einschlafens der Verhandlungen eher rechtfertigen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem er auf ein Schreiben des Verpflichteten hätte reagieren müssen. Bleibt dagegen bei laufenden Verhandlungen eine Reaktion des Schuldners aus, fällt es schwer, die Geduld des Berechtigten diesem als Einschlafenlassen der Verhandlungen zum Nachteil gereichen zu lassen.
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Einzelne Bemerkungen in Entscheidungen des VII. Zivilsenats des BGH[125] und des X. Zivilsenats[126] aus dem Bereich des Bauvertragsrechts waren jedoch so zu verstehen, dass ein Einschlafen der Verhandlungen auch durch unterbleibende Reaktionen des Verpflichteten eintreten kann. Das hat das OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 23.9.2015[127] bewogen, die Revision zuzulassen, nachdem es ein Einschlafen aufgrund ausbleibender bzw. später Reaktion des Haftpflichtversicherers des Verpflichteten nicht annehmen wollte. Das OLG Koblenz sah sich auf der Linie des VI. Zivilsenats, einen Abbruch der Verhandlung durch Einschlafenlassen nur dann zu unterstellen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem der Verpflichtete spätestens mit seiner Reaktion rechnen konnte und durfte.
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Der VI. Zivilsenat des BGH hat dem OLG Koblenz jedoch widersprochen und in seiner Revisionsentscheidung vom 8.11.2016[128] durch die in früheren Entscheidungen gewählte Formulierung, in denen es jeweils um eine nicht zeitnahe Reaktion des Gläubigers ging, sollte ein Einschlafenlassen durch den Schuldner nicht ausgeschlossen werden. Der BGH habe in keinem Fall ein Einschlafenlassen der Verhandlungen mit dem Argument abgelehnt, dass dies durch eine fehlende Reaktion des Schuldners nicht möglich sei.
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Wenig ergiebig ist diese Entscheidung, wenn es um die Frage geht, welche Zeitläufe der BGH bis zum Einschlafen ansetzt, was aber für die Entscheidung auch nicht erforderlich war, weil schon von einem ausdrücklichen Abbruch der Verhandlungen ausgegangen wurde, also ohnehin nichts mehr „einschlafen“ konnte.
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In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall ging es um fehlende Unterlagen, die die Patientenseite nach der Anspruchsablehnung durch den Haftpflichtversicherer bei diesem im November 2007 angefordert hatte. Die Antwort kam auf nochmalige Anforderung im August 2008. Es lag schon deutlich früher nahe zu überlegen, ob man überhaupt noch in Verhandlungen stehe, nachdem auf die Anforderung fehlender Unterlagen eine Antwort ausblieb.
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Geht es jedoch um die Prüfung des Anspruchsgrundes, werden in der Praxis nicht selten 9 Monate oder mehr Geduld abverlangt. Die Gefahr besteht jedoch, dass die vom Gesetzgeber als ausreichend angesehene, in der Rechtsprechung gefundene flexible Lösung den Realitäten der arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzungen nicht gerecht wird und Richter ohne Erfahrung mit vorgerichtlichen Verhandlungen schematisch von praxisfernen Zeitvorstellungen ausgehen. Man wird im Arzthaftungsbereich auch nicht Zeitvorstellungen, die die Rechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten entwickelt hat, übernehmen können.[129] Die Hinweise von Martis/Winkhart auf derartige Entscheidungen sind als Mahnung zur Vorsicht auf Aktivseite sicher nützlich.[130] Es kann entgegen der dort vertretenen Ansicht aber nicht schematisch „regelmäßig nach einmonatiger Untätigkeit“ vom Ende der Verhandlungen ausgegangen werden. Erinnert sei an eine Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 1.3.2005[131], in welcher es um einen Fall ging, in welchem der Kläger Schadenersatzansprüche aus fehlerhafter Behandlung geltend gemacht und der Haftpflichtversicherer des Universitätsklinikums eine Prüfung zugesagt hatte mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass das Archiv derzeit nicht zugänglich sei, er werde aber unaufgefordert weiter Stellung nehmen. Auf ein Erinnerungsschreiben des anwaltlich vertretenen Kindes 18 Monate nach dieser Prüfungszusage wurden Schadenersatzansprüche abgelehnt. Es sei unter diesen Umständen grundsätzlich Sache des Haftpflichtversicherers, die Initiative wegen einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zu ergreifen, wenn er die Hemmung einer Verjährung der Ersatzansprüche beenden wolle.