Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz

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Polizeigesetz  für Baden-Württemberg - Reiner Belz Polizeirecht kommentiert

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fast alle Lebensbereiche rechtlich erfasst sind. Außerdem kann ein Verhalten, das sich als rechtmäßige (Grund-)Rechtsausübung darstellt, niemals ein Verstoß gegen außerrechtliche Normen sein.

      Außerrechtliche Normen müssen allgemein anerkannt sein, d. h. von einer klaren, deutlichen Mehrheit getragen werden. Ob eine solche vorliegt, kann regelmäßig nur aufgrund von – subjektiv gefärbten – „Erfahrungswerten“ beurteilt werden. Ob der Begriff „öffentliche Ordnung“ damit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, muss bezweifelt werden. Erschwert wird die Feststellung einer Mehrheit noch dadurch, dass auf die jeweils geltenden außerrechtlichen Normen abzustellen ist, d. h. diese können sich im Laufe der Zeit ändern und auch – in gewissen Grenzen – lokal unterschiedlich sein. Diese zeitliche und eingeschränkte lokale Variabilität außerrechtlicher Normen ist ein weiterer Grund für den zunehmenden Bedeutungsrückgang dieses Tatbestandsmerkmals.

      Die Einhaltung der außerrechtlichen Norm muss eine unerlässliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben sein. Das bloße Anderssein oder das Leben außerhalb gewohnter Bahnen reichen also nicht aus, denn auch solche Verhaltensweisen sind durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt. Erforderlich ist ein sozial abträgliches Verhalten, welches das menschliche Miteinander nicht unerheblich beeinträchtigt und Gegenmaßnahmen geradezu zwingend macht. Dass auch diese Umschreibung im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot nicht völlig befriedigt, liegt auf der Hand.

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      Die meisten, früher im Zusammenhang mit der „öffentlichen Ordnung“ genannten Fälle werden heutzutage von der Rechtsordnung erfasst. Zunächst ist also sorgfältig zu prüfen, ob das vorliegende Verhalten oder der bestehende Zustand z. B. gegen Normen des Straf-, des Ordnungswidrigkeitenrechts oder des Verwaltungsrechts verstößt. Ist das der Fall, kann nur die öffentliche Sicherheit tangiert sein. Nur wenn ein (drohender) Normverstoß nicht festgestellt werden kann, darf ein möglicher Ordnungsverstoß untersucht werden. Bei genauer Auslegung dürfte es jedoch schwer sein, einen Anwendungsfall zu finden. Die folgenden Beispiele sind Belege dafür.

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      Die ungestörte Ausübung religiöser Betätigung wird durch Art. 4 Abs. 2 GG und zahlreiche Normen des Strafrechts (z. B. §§ 166 ff. StGB) geschützt, ebenfalls die Totenruhe (§ 168 StGB). Die Zulässigkeit von Betätigungen an Sonn- und Feiertagen, wie z. B. der Betrieb von Sonnenstudios oder Autowaschanlagen regelt das Feiertagsgesetz umfassend. In allen Fällen bleibt daher für einen Ordnungsverstoß kein Raum, da allenfalls die öffentliche Sicherheit tangiert sein kann. Ein Einschreiten gegen Veranstaltungen, die ihrem Charakter nach mit bestimmten Ereignissen (z. B. Staatstrauer, schweres Unglück mit vielen Opfern) im Widerspruch stehen, ist zum Schutz der öffentlichen Ordnung unzulässig, da es nicht Aufgabe der Polizei sein kann, einem nichtbestehenden Trauerbewusstsein Geltung zu verschaffen (BVerwG, DVBl. 1970, 504).

      Beispiel: Wenige Tage nach einem Amoklauf in einer Schule mit vielen Toten verbietet die Stadt S. eine zugelassene Waffenmesse (§§ 68, 69 GewO), u. a. mit der Begründung, es seien erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu befürchten (§§ 69 a Abs. 1 Nr. 3, 69 b Abs. 2 GewO). Dieses Verbot war rechtswidrig, da man die öffentliche Reaktion gegen die Veranstaltung nur als sehr verhalten bezeichnen konnte (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 13.3.2009 – 4 K 920/09).

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      Im Bereich der Sexualität ist der Wandel außerrechtlicher Normen besonders augenfällig. Die Liberalisierung des Strafrechts hat zur Straflosigkeit vieler Verhaltensweisen geführt, kein Grund also, sie über den Umweg „öffentliche Ordnung“ wieder zum Gegenstand polizeilichen Handelns zu machen. Straflos ist z. B. die einfache Homosexualität, die bloße Ausübung der Prostitution, der Betrieb eines Bordells, eines sogenannten Massagesalons oder eines Swinger-Clubs (vgl. BVerwG, DVBl. 2003, 741, 742; VGH BW, DÖV 2007, 348), sofern nicht besondere Umstände hinzukommen, wie z. B. die Ausübung der Prostitution in Gemeinden bis 35000 Einwohnern oder in Sperrbezirken der übrigen Gemeinden, §§ 1, 2 ProstitutionVO v. 3.3.1976 (GBl. S. 290), Art. 297 EGStGB, § 120 OWiG, § 184 d StGB (VGH BW, BWVBl. 1972, 138; NVwZ-RR 1990, 413) oder in jugendgefährdender Weise, § 184 e StGB. Nur in diesen Fällen kann zur Gefahrenabwehr gehandelt werden – allerdings zum Schutz der öffentlichen Sicherheit. Im gewerblichen Bereich können sexualbezogene Handlungen (z. B. Bedienung durch völlig nackte Barfrauen – VGH BW, GewArch 1976, 200 f.; Peep-Show – BVerwG, NVwZ 1990, 668; Geschlechtsverkehr vor Publikum – BVerwG, NJW 1982, 665) mit dem dort bestehenden spezialgesetzlichen Instrumentarium bekämpft werden (z. B. § 5 Abs. 1 GastG, § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO). Nacktheit in der Öffentlichkeit kann unter Umständen einen Straftatbestand (z. B. §§ 183, 183 a StGB) erfüllen, wird in Schwimmbädern oder Parks teilweise gestattet oder doch toleriert und kann ansonsten eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 118, 119 OWiG sein, deren Verhütung dem Schutz der öffentlichen Sicherheit dient (unzutreffend OVG Münster, NJW 1997, 1180).

      § 118 OWiG ist auch einschlägig für Handlungen, die gemeinhin als grober Unfug bezeichnet werden (z. B. das Versetzen von Parkbänken, Verrichten der Notdurft in der Öffentlichkeit). Ihre Unterbindung bezweckt den Schutz der Rechtsordnung und ist somit für die „öffentliche Ordnung“ ohne Belang.

      Der Betrieb eines Laserdromes „ist wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagatellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Menschenwürde unvereinbar“ (BVerwG, NVwZ 2002, 598). Folgt man dieser Auffassung, so wäre allein die öffentliche Sicherheit tangiert (vgl. auch EuGH, NVwZ 2004, 1471).

      Äußerst problematisch ist das generelle Verbot der Bettelei. Diese ist in ihrer „stillen Form“ i. d. R. weder Straftat (Bettelbetrug ist meist nicht gegeben, weil den üblichen Behauptungen der Bettler zumeist Skepsis entgegengebracht wird) noch Ordnungswidrigkeit nach § 118 OWiG, da der Gesetzgeber den früheren Straftatbestand Bettelei (§ 361 Nr. 4 StGB) ersatzlos gestrichen hat. Und dass nur durch ein Bettelverbot ein gedeihliches Zusammenleben möglich ist, wird niemand behaupten können. Ebenso wenig kann das Betteln als straßenrechtliche Sondernutzung angesehen werden. Ein Betteln in „aggressiver Form“, d. h. unter gleichzeitiger Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten (z. B. Beleidigung, Nötigung) kann jedoch polizeirechtlich relevant sein – dann aber unter dem Merkmal „öffentliche Sicherheit“ (VGH BW, VBlBW 1998, 428). In der Praxis teilweise anzutreffende Formulierungen, mit denen „das die körperliche Nähe suchende oder sonst besonders aufdringliche Betteln“ untersagt wird, sind nicht hinreichend bestimmt. Im Übrigen ist ein solches Verhalten allenfalls lästig (s. u. RN 41).

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      Die Beseitigung unfreiwilliger Obdachlosigkeit ist in erster Linie eine Aufgabe der Sozialbehörden (vgl. §§ 27, 68 SGB XII). Nach polizeirechtlichem

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