Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Polizeigesetz für Baden-Württemberg - Reiner Belz страница 29
Art. 5 Abs. 3 GG schützt die künstlerische Betätigung selbst (Werkbereich) und die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich). Die Kunstfreiheit unterliegt verfassungsimmanenten Schranken, wobei eine Begrenzung im Werkbereich strengeren Anforderungen unterworfen ist. Letztlich bedarf es bei einem Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern im Einzelfall einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter (BVerwG, NJW 1999, 304). Gewisse Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts durch ein Kunstwerk erlauben kein Verbot desselben, ebenso wenig der Umstand, dass ein Kunstwerk nicht dem Geschmack der Mehrheit entspricht. Polizeiliches Einschreiten – auch aufgrund der Generalklausel – ist dagegen zulässig, wenn das Eigentum Dritter beeinträchtigt wird (z. B. durch sog. Sprayer), das religiöse Bekenntnis anderer beschimpft wird (§ 166 StGB) oder das Leben von Mensch und Tier tangiert ist. Auch Straßenkunst unterfällt der Kunstfreiheit, für sie kann aber u. U. eine Sondernutzungserlaubnis gefordert werden (BVerwG, NJW 1990, 2011).
24
Art. 6 Abs. 1 GG schützt Ehe und Familie vor Eingriffen des Staates. Dieses Recht unterliegt verfassungsimmanenten Schranken.
25
Art. 6 Abs. 2 und 3 GG regeln das Elternrecht. Dieses ist – im Unterschied zu anderen Grundrechten – ein pflichtbezogenes Recht, das dem Wohl des Kindes zu dienen hat.
26
Eingeschränkt werden diese Grundrechte z. B. durch einen gegen den gewalttätigen Ehepartner ausgesprochenen Wohnungsverweis (s. u. § 30). Voraussetzung ist allerdings das Bestehen einer rechtsgültigen Ehe. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG nicht berührt.
4. Grundsätzlich nicht durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte
a) Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG)
27
Die Menschenwürde verbietet es, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektsqualität prinzipiell in Frage stellt. Dementsprechend gebietet § 34 Abs. 3, dass Personen grundsätzlich nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden, verbietet § 40 Abs. 1 die Anwendung von Zwang zur Herbeiführung einer Aussage bei Vernehmungen und setzt § 1 DVO PolG Mindeststandards bei der Durchführung des Gewahrsams fest. Polizeiliche Maßnahmen, welche die Menschenwürde verletzen, sind zumindest rechtswidrig, wie z. B. die Einweisung von Obdachlosen in eine menschenunwürdige Unterkunft (vgl. VGH BW, VBlBW 1985, 18; 1993, 304; NJW 1993, 1027; DVBl. 1996, 567, 568) oder die Anwendung von Folter, selbst dann, wenn es um den Schutz der Menschenwürde anderer Personen, z. B. einer entführten Person, geht (h. M.). Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung s. u. Vorbem. §§ 11-16, RN 2. Zur Würde des Menschen als polizeiliches Schutzgut s. o. § 1, RN 19.
Da nach h. M. (BVerfGE 30, 173, 194; NJW 1994, 783; VGH BW, VBlBW 2006, 186, 187) auch die Würde Verstorbener zu beachten ist, stellt sich die Frage, ob die Ausstellung von Plastinaten verstorbener Menschen Art. 1 Abs. 1 GG tangiert und sie deswegen verboten oder mit Auflagen versehen werden kann (s. o. § 1, RN 19).
b) Gleichheitssatz (Art. 3 GG)
28
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die speziellen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG binden die Polizei bei allen Maßnahmen. So darf eine Polizeiverordnung von mehreren gleichartigen Gefährdungen nicht willkürlich nur eine zum Regelungsgegenstand auswählen (VGH BW, NVwZ 1992, 1105, 1107; 1999, 1016 – sog. Kampfhundeverordnungen). Eine besondere Rolle spielt der allgemeine Gleichheitssatz bei Ermessensentscheidungen (s. o. § 3, RN 32).
c) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG)
29
Eingriffe, die sich gegen den Inhalt von Presseerzeugnissen (Bücher, Zeitschriften, Flugblätter, Plakate usw.) richten, sind nur im Rahmen des Landespressegesetzes (vgl. § 1 Abs. 2 LPresseG), nicht aber aufgrund des Polizeigesetzes möglich. Insofern sagt man, ist die Presse „polizeifest“. Ansonsten, z. B. bei der Herstellung und beim Vertrieb, ist die Presse den Gesetzen entworfen, die für jedermann gelten (§ 1 Abs. 5 LPresseG), sodass insofern auch Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes möglich sind (vgl. auch VwV IM über die Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei vom 8.2.2002 – GABl. S. 220).
Beispiel: Polizeibeamte stellen die Identität eines Pressefotografen fest (§ 27 Abs. 1 Nr. 1), wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser Lichtbilder von Polizeibeamten bei einem Polizeieinsatz in unzulässiger Weise (vgl. §§ 22, 23, 33 KunstUrhG) veröffentlichen werde (VGH BW, VBlBW 1995, 282; 1998, 109).
d) Vereinigungsfreiheit, Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG)
30
Das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden (Art. 9 Abs. 1 GG), kann zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nur nach Maßgabe des Vereinsgesetzes eingeschränkt werden (§ 1 Abs. 2 VereinsG). Vereinigungen können nur dann verboten werden, wenn die insoweit abschließenden Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG vorliegen (vgl. §§ 3 ff. VereinsG). Welche Behörden zur Ausführung des Vereinsgesetzes zuständig sind, regelt die gemeinsame Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über die Zuständigkeiten nach dem Vereinsgesetz.
31
Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) umfasst auch das Streikrecht. Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes gegen einen Streik sind daher nicht zulässig. Nach h. M. gelten die Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG auch für die Koalitionsfreiheit. Arbeitskampfmaßnahmen, die z. B. den Strafgesetzen zuwiderlaufen (Betriebsblockaden, -besetzungen, gewaltsame Behinderung von Arbeitswilligen, „Streiks“ von Beamten) können deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, gegen die mit den Mitteln des Polizeigesetzes eingeschritten werden darf (OVG Hamburg, NJW 1983, 605; VGH Kassel, NVwZ 1990, 386).