Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz
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Beispiel: Im Rahmen einer Durchsuchung nach § 34 wird der Betroffene auch nach Körpermerkmalen untersucht. Das sprengt den Rahmen des § 34, da diese Vorschrift körperliche Untersuchungen nicht erfasst.
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Von Ermessensausfall (Ermessensnichtgebrauch) spricht man, wenn ein vorhandenes Ermessen nicht ausgeübt wird, sei es aus Nachlässigkeit oder weil die Polizei meint, sie besitze kein Ermessen.
Beispiel: Polizeibeamter P lehnt ein Einschreiten gegen den Fahrer eines vor einer Garagenausfahrt widerrechtlich geparkten Kfz ab, weil er irrtümlich der Auffassung ist, er dürfe hier (wegen § 2 Abs. 2) nicht einschreiten, was im Hinblick auf § 12 LOWiG jedoch unzutreffend ist. Vgl. auch die – wenig überzeugende – Entscheidung des VGH BW, VBlBW 2002, 73.
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Ermessensmissbrauch (Ermessensfehlgebrauch) liegt vor, wenn das Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt wird, so etwa, wenn von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen wird (von mehreren Störern A und B wird A herangezogen, weil irrtümlich angenommen wird, B sei nicht erreichbar), wenn die Polizei sich von schlechthin unzulässigen Erwägungen leiten lässt (rein persönliche oder böse Absicht, Willkür) oder wenn sie sich von Motiven bestimmen lässt, die mit dem Zweck des Gesetzes nicht in Einklang stehen.
Beispiele: Bei der Entscheidung, ob eine Ausnahmebewilligung nach § 12 FTG erteilt werden kann, stellt die Behörde wettbewerbliche Argumente (z. B. Schutz eines Konkurrenten) in den Vordergrund. Das ist mit dem Zweck dieses Gesetzes (Feiertagsschutz) nicht vereinbar. Polizeiliche Kontrollen vor Beginn einer Versammlung, mit denen die Teilnahme an der Versammlung verhindert werden soll, sind mit dem Versammlungsgesetz und Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Welche Erwägungen im Einzelfall ermessensfehlerfrei sind, ist nicht immer ganz einfach zu ermitteln. Grundsätzlich werden im Polizeirecht polizeiliche, d. h. der Gefahrenabwehr dienende, Motive nicht zu beanstanden sein. Andere Motive sind daneben aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. So hat die Rechtsprechung (VGH BW, VBlBW 1990, 257, 259; BWVPr. 1995, 233) beim Abschleppen von Kfz u. a. – jedoch nicht allein – generalpräventive Gesichtspunkte als zulässige Ermessenserwägungen angesehen. In gleicher Weise können Maßnahmen zulässig sein, um (z. B. eine Drogenszene) zu verunsichern oder um (z. B. gewaltbereite Hooligans) zu beeindrucken. Selbst fiskalische Erwägungen können im Einzelfall die Ermessensentscheidung der Polizei zulässigerweise (mit-)bestimmen.
Ermessensfehlerhaft sind aber z. B. Maßnahmen, mit denen jemand gezielt angeprangert oder bloßgestellt werden soll.
Beispiele: Für eine Gefährderansprache (s. o. RN 19) wird bewusst der Arbeitsplatz ausgewählt, um den Betroffenen vor den Kollegen bloßzustellen. Dem Freier im Sperrgebiet (s. u. § 6, RN 12) wird die Anordnung des Platzverweises nach Hause zugestellt (vgl. § 2 Abs. 3 LVwZG), in der Erwartung, die Ehefrau erhalte hiervon Kenntnis.
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Als Ermessensfehler i. w. S. können auch Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. w. S. (s. u. § 5, RN 1 ff.) und gegen Grundrechte, vor allem gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen werden. Der Gleichheitssatz verbietet es z. B., dass die Polizei von ihrer ständigen Praxis ohne sachlichen Grund abweicht (Selbstbindung der Verwaltung). Eine Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde darf nicht willkürlich einzelne Hunde als sog. Kampfhunde aufnehmen, andere, bei denen sich diese Eigenschaft aber geradezu aufdrängt, unbeachtet lassen (VGH BW, NVwZ 1992, 1105, 1107; BVerfGE 110, 141). Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt jedoch nicht ohne Weiteres dann vor, wenn die Polizei in vergleichbaren Fällen nicht eingeschritten ist.
Beispiel: Die Polizei handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie nicht „flächendeckend“ alle verbotswidrig abgestellten Kfz abschleppt. Es ist zulässig, anlass-, zeit- oder ortsbezogen, z. B. wegen begrenzter personeller Kapazitäten der Polizei vorzugehen (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1992, 360; VGH BW, NJW 1989, 603; NVwZ-RR 1997, 465, 466). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wäre jedoch das Abschleppen einzelner Fahrzeuge, ohne dass ein sachlicher Grund für die Schonung der anderen erkennbar wäre.
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Ermessensreduzierung „auf null“ (beim Entschließungsermessen) bedeutet: Das gesetzlich eingeräumte Ermessen schrumpft so weit, dass nur noch eine Entscheidung, und zwar die zum Einschreiten oder die zum Nichteinschreiten, rechtmäßig ist. Der erste Fall wird aufgrund der bestehenden Schutzpflicht des Staates immer dann gegeben sein, wenn höchste Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit) bedroht sind. Auch wenn Rechtsgütern der EU Gefahren drohen, kann eine Ermessungsreduzierung auf null beim Entschließungsermessen vorliegen.
Beispiel: Aus Protest blockieren Bauern tagelang alle Grenzübergänge nach Frankreich. Hier muss die Polizei Maßnahmen treffen, um den freien Personen- und Güterverkehr zu gewährleisten (vgl. EuGH, EuZW 1998, 84).
Ansonsten sind die Umstände des Einzelfalles maßgebend. Dort kann die Höhe des zu erwartenden Schadens eine Pflicht zum Einschreiten begründen, ohne dass dieses allerdings zwingend wäre. Bagatellgefahren können grundsätzlich keine Ermessensreduzierung auslösen, es sei denn, das polizeiliche Einschreiten erfordert keinen hohen Aufwand und führt auch nicht zu einer Vernachlässigung anderer wichtigerer Aufgaben.
Beispiele: Die Ortspolizeibehörde ist verpflichtet, einem Obdachlosen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, in der er sich ganztägig aufhalten kann (VGH BW, VBlBW 1993, 304, 305). Es genügt eine „Notunterkunft“, nicht eine „Normalwohnung“ (VGH BW, VBlBW 1997, 187, 188). Die Polizei ist – zumindest vorübergehend – nicht verpflichtet, gegen Hausbesetzer einzuschreiten, wenn hierdurch schwerwiegende Ausschreitungen als Reaktion zu erwarten sind (VG Berlin, NJW 1981, 1748, 1749).
Ermessensreduzierung „auf null“ beim Auswahlermessen bedeutet: nur eine von mehreren möglichen Maßnahmen und/oder die Heranziehung nur eines von mehreren Adressaten ist rechtmäßig.
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Die Rechtsprechung hat zudem die umstrittene Rechtsfigur des sog. „intendierten Ermessens“ entwickelt. Diese Ermessensvorschriften bringen ausdrücklich oder zumindest nach Sinn und Zweck hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass im Regelfall eine bestimmte Rechtsfolgeentscheidung zu treffen ist (BVerwGE 105, 55).
Beispiel: Auslegung von § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO in dem Sinne, dass die Gewerbebetriebsschließung die vom Gesetzgeber vorgezeichnete Regelentscheidung ist, ein Absehen hiervon der zu begründende Ausnahmefall (VGH Kassel, GewArch 1996, 291).