Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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IV. Gesetzgebungswerkzeuge der EU zur Europäisierung
nationalen Verwaltungsvollzugs
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Legislative Mechanismen
Der dezentrale Vollzug des Unionsrechts hat die nationale Verwaltung massiv und tiefenwirksam verändert. Neben institutionellen Modifikationen[193] hat das erhebliche Verschiebungen in der Art und Weise nationaler Verwaltungstätigkeit mit sich gebracht. Um diese strukturellen Veränderungen zu erreichen, bedient sich das Unionsrecht einiger legislativer Instrumente. Zentrale Bedeutung kommt zunächst der Finalprogrammierung zu. Vorgaben für die nationale Verwaltung resultieren regelmäßig aus Richtlinien der EU, die den Mitgliedstaaten Spielraum in der Umsetzung der von der EU vorgegebenen Zielsetzungen lassen, aber oft Vorgaben für die Erreichung formulieren, die die Mitgliedstaaten veranlassen, der Verwaltung Spielräume zu gewähren, nicht zuletzt aufgrund einer Scheu vor Verletzung des EU-Rechts durch zu detaillierte, und damit angreifbare, nationale Umsetzung.[194] Die unionale Finalprogrammierung korreliert dann mit einer nationalen Umsetzung durch den Verwaltungsgesetzgeber, die die Verwaltung weniger in eine strenge Vorprogrammierung ihrer Entscheidungen führt, als vielmehr exekutive Spielräume belässt, indem der Gesetzgeber sich eher offener Rechtsbegriffe bedient[195], zumal wenn dies die Rechtsbegriffe aus dem Unionsrecht sind, die mit fachrechtlichen, nationalen nicht abgestimmt sind. Ein weiteres Instrument ist die bereits angesprochene Subjektivierung des Verwaltungsrechts durch Schaffung klagefähiger Rechtspositionen des Einzelnen, die zusätzlich noch durch alternative Streitbeilegung durchgesetzt werden können.[196] Hierzu zählen auch Informationsansprüche. Dadurch wird Verwaltungstätigkeit gerade im Anwendungsbereich des Unionsrechts vermehrt zum Gegenstand gerichtlicher Prüfung, was den Druck auf die Verwaltung erhöht, gerade unionsrechtliche Vorgaben zu beachten. Ein weiteres Instrument ist die Schaffung nationaler Kooperations- und Abstimmungspflichten nicht nur vertikal mit der EU-Ebene, sondern auch horizontal zwischen den einschlägigen nationalen Behörden. Ein besonderes Werkzeug des EU-Gesetzgebers insoweit sind gegenseitige Anerkennungspflichten bezüglich getroffener Verwaltungsentscheidungen (soweit diese nicht ohnehin mit transnationaler Wirkung ausgestattet sind), insbesondere Referenzentscheidungsmodelle.[197] Solche unmittelbar entscheidungsbezogene Kooperation führt oft zu Problemen in der klaren Zuordnung von Verantwortlichkeit.[198]
V. Institutionelle Veränderungen nationalen Verwaltungsvollzugs
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Fundamentale institutionelle Verschiebungen
Die für das nationale Verwaltungsrecht mittlerweile systemverändernde Kraft des Unionsverwaltungsrechts[199] äußert sich auch in fundamentalen institutionellen Verschiebungen, die den Modus der Aufgabenwahrnehmung und die nationale Verwaltungsorganisation verändern.
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Veränderung des Wahrnehmungsmodus
Das Unionsverwaltungsrecht hat erheblich zur Veränderung der Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Hand beigetragen und den Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat und -verwaltungsrecht und die Privatisierung öffentlicher Aufgaben mit angetrieben.[200] An die Stelle der unmittelbaren staatlichen Kontrolle und Überwachung ist gerade in gemeinschaftlich geprägten Materien die Akkreditierung und Zertifizierung[201] getreten. An die Stelle staatlich unmittelbarer Erfüllung tritt die Vergabe öffentlicher Dienstleistungen durch Ausschreibung.
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Veränderung der Verwaltungsorganisation
Die EU hat auch die Steuerungskraft der Verwaltungsorganisation erkannt und intensiv hierauf eingewirkt. Das Unionsverwaltungsrecht induzierte daher Modifizierungen der nationalen Verwaltungsorganisation[202], die auch nicht frei von Rückwirkungen auf nationale Verfassungsvorgaben bleiben; die Ausgangsvermutung in Art. 83 GG zugunsten der Landesverwaltung wird durch die Errichtung von Bundesbehörden konterkariert.[203] Die EU gibt die Errichtung neuer, unabhängiger – und damit dem nationalen Verwaltungsaufbau und seinen einem effektiven Vollzug von Unionsrecht teilweise gegenläufigen Interessen entkoppelter[204] – Aufgabenträger wie etwa nationaler Regulierungsbehörden oder -agenturen, Datenschutzbehörden oder anderer Verwaltungsstellen[205] vor und stellt Anforderungen an deren Ressourcenausstattung und Befugnisse.[206] Nationale Behörden werden in transnationale Netzwerke einbezogen.[207] Unionale Unabhängigkeitserfordernisse fordern tradierte Muster nationaler Verwaltungslegitimation heraus.[208]
VI. Allgemeine Verfahrensgrundsätze des Unionsverwaltungsrechts
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Geltungsgrund und Funktion, Kern des europäischen Verwaltungsrechts
Im Unionsrecht haben sich – maßgeblich durch die rechtsfortbildende Judikatur des EuGH[209] – allgemeine Grundsätze entwickelt, die Anforderungen an den Verwaltungsvollzug (auch den nationalen) stellen und als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze im Rang des Primärrechts Geltung und Anwendungsvorrang beanspruchen; sie resultieren aus einem gemeinsamen Bestand grundlegender Verfahrensstandards in den nationalen (Verfassungs-)Rechtsordnungen (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV), die auch in der EMRK Niederschlag fanden[210], und stehen einer modifizierenden Konkretisierung durch den EU-Gesetzgeber nicht entgegen. Diese Anforderungen sind in ihrer Auffang- und Vereinheitlichungsfunktion vor allem dort relevant, wo keine entsprechenden sekundärrechtlichen Vorgaben existieren[211], um die Durchführung des Unionsrechts an einheitlichen Maßgaben auszurichten, und auch nationales Recht diesen Mindestanforderungen nicht entspricht. Diese Grundsätze des Unionsverwaltungsrechts leiten die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts und können dieses modifizieren oder gar verdrängen; denn die Mitgliedstaaten sind nach der tradierten Rechtsprechung bei ihrem Verwaltungsvollzug nicht nur an die Grundrechte, sondern an alle allgemeinen Rechtsgrundsätze der EU gebunden.[212] Diese Grundsätze gleichen für die nationale Verwaltung somit denen für das EU-Eigenverwaltungsrecht und speisen sich aus der Erkenntnis grundsätzlicher rechtsstaatlicher Anforderungen an Verwaltungsverfahren; sie legen damit das Fundament für ein gemeinsames europäisches Verwaltungsrecht[213] und bilden den „Kern des europäischen Verwaltungsrechts“ (Jürgen Schwarze). Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze überschneiden sich mit anderen allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie etwa den Grundrechten, insbesondere im Bereich der Respektierung von Verfahrensrechten der von Verwaltungsverfahren nachteilig Betroffenen („Verteidigungsrechte“),