Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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2. Monografische Wende zur Europäisierung
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Denkströmungen: Habilitationsschriften der nächsten Generation
Zwischen 1995 und 1999 erschienen unabhängig voneinander vier Habilitationsschriften[234] und eine Monographie, die sich mit dem Verhältnis von europäischem Recht und Verwaltungsrecht befassen, und die das Ergebnis einer von den Autoren Jahre zuvor getroffenen Entscheidung sind, sich mit gerade diesem Thema zu befassen. Damit ist die „Europäisierung“ endgültig in den Qualifikationsschriften der Verwaltungsrechtswissenschaft angekommen – ein wichtiger Gradmesser für die Konjunktur von Themen, aus denen sich wissenschaftliche Karriereaussichten ergeben.[235] In der Gesamtschau fällt auf, dass die verwaltungsrechtswissenschaftlichen Denkströmungen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten entstanden waren, sich in den Schriften, bezogen auf ihre in den Rezensionen auch wahrgenommenen akademischen Entstehungsorte und Mentoren, wiederfinden und diese die begonnene Diskussion teilweise fortsetzen. Trotz der Unterschiede in den wissenschaftlichen Ansätzen und Bewertungen sind sich die Autoren einig in der Gegenwärtigkeit – wenn nicht sogar Unausweichlichkeit – von „Europäisierung“.
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Zunehmende Determinierung nationalen Rechts
Die 1994 in München angenommene Schrift von Michael Brenner sieht in der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Vertrag von Maastricht den Eintritt in „eine neue Phase der Herausbildung einheitlicher Wirtschafts- und Rechtsstrukturen“ und damit eine zunehmende Determinierung nationalen Rechts nach „Jahren der Stagnation.“ Der Integrationsprozess wird als „starke Gemeinschaftsverwaltung“ eingeordnet, wobei die Unionsebene der Verwaltung im Vergleich zum nationalen Recht eine durch den EuGH anerkannte größere Gestaltungsfreiheit einräume.[236] Der Autor widmet sich ausführlich der Europäisierung des Wirtschaftsverwaltungsrechts durch eine Zusammenführung der Rahmen- und Funktionsbedingungen von mitgliedstaatlicher und europäischer Rechtsordnung und möchte „einheitliche Kriterien für die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung wie auch für die Reichweite von deren Wirtschaftsgestaltungsauftrag [...] finden.“[237] Er verteidigt den von Kritikern in harten Worten dargestellten Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf gewachsene Rechtsstrukturen als Preis der tiefergehenden, fortschreitenden Integration.[238]
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Einwirkungs- und Reaktionsprozesse
Die zweite Habilitationsschrift, von der Bonner Fakultät im Wintersemester 1995/96 angenommen, stammt von Thomas von Danwitz und ist 1996 erschienen. Anlass für die Themenwahl ist die These von der systemverändernden Entwicklung des Europarechts auf das Verwaltungsrecht, die der Autor jenseits von einzelnen Einwirkungsfällen als solche überprüfen möchte.[239] Vieles sei im Verwaltungsrecht in der Dekade zwischen 1985 und 1995 in Bewegung geraten, was über Jahrzehnte als gesicherte Erkenntnis gegolten habe. Die zu Beginn der 1980er Jahre vermehrt erschienenen Werke und Einzelbeiträge zum europäischen Verwaltungsrecht betrachtet von Danwitz als „kopernikanischen Perspektivenwechsel“ auf ein Rechtsgebiet, das vorher dafür stand, die nationalen Eigenarten am stärksten zum Ausdruck zu bringen.[240] Die Schrift beschreibt die Einwirkungs- und Reaktionsprozesse, die zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem deutschen Verwaltungsrecht in den genannten zehn Jahren stattgefunden haben.[241] Im Gesamtbefund sieht von Danwitz eine Veränderung der EuGH-Rechtsprechung, welche die Einwirkung auf das mitgliedstaatliche verwaltungsrechtliche System intensiviert. Die Entwicklung sei aber noch nicht so flächendeckend, dass sie eine systematische Entwicklung eines Gemeinschaftsverwaltungsrechts ermöglicht hätte. Ausdrücklich wendet er sich gegen Manfred Zuleegs These, die Strukturen des nationalen Verwaltungsrechts besäßen keinen Eigenwert.[242] Die Vereinheitlichungstendenz und Verantwortungsübernahme für die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen durch den Gerichtshof wird als problematisch und unvereinbar mit der „Garantenstellung der Mitgliedstaaten im europäischen Einigungsprozess“ eingeordnet. Der Autor, der 2006 zum Richter am EuGH ernannt wurde, tritt deshalb für ein Modell gegenseitiger Anerkennung im Sinne einer dauerhaften, verflochtenen und zur Kooperation verpflichteten Fortexistenz der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen ein.[243] Das sei für das deutsche Verwaltungsrecht mit dem Auftrag verbunden, seine „mitunter vorbildhaft erscheinenden Lösungen nicht nur als erhaltenswert zu verteidigen, sondern sich ihrer besonderen Qualität bewusst zu werden und sie zu einem Ziel für den Ausbau und die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Europa zu machen.“[244]
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Zweiteilung des europäischen Verwaltungsrechts
Im Sommersemester 1996 nahm die Frankfurter Fakultät die Habilitationsschrift „Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß“ von Stefan Kadelbach an.[245] Kadelbach sieht den Grund dafür, dass der Prozess der Öffnung des Verwaltungsrechts erst Mitte der 1990er Jahre beginne, unter anderem in der Abgeschlossenheit des öffentlichen Rechts gegenüber anderen Rechtsordnungen – angesichts der geschilderten Ereignisse und Äußerungen eine pauschale These. Der Autor fasst Verlustängste und Kritik an der Einwirkung auf nationale „Bestände“ zusammen und kritisiert mittelbar von Danwitz‘ Schrift: „Soweit dieser Prozeß auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zurückgeht, sieht er sich zuweilen auch herber Kritik ausgesetzt, die weitgehend vor dem Hintergrund des nationalen Verwaltungsrechts und nicht selten ohne vertiefte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis beider Rechtsordnungen zueinander geübt wird.“[246] Seine eigene Schrift soll einen Beitrag dazu leisten, unter Bewahrung der „nötigen Distanz“ zu „beiden Systemen“ die „erforderliche Vermittlungsleistung zu erleichtern“, um die dogmatische Verarbeitung der europäischen Integration auf diesem Gebiet anzuschieben. Die Leitthese steht für eine Perspektivenumkehr: „[…] daß es sich hierbei um Konflikte innerhalb eines zwischen zwei verschiedenen Arten von Rechtsordnungen etablierten föderalen Systems handelt.“[247] Das „europäische Verwaltungsrecht“ teilt der Autor konzeptionell in das rein europäische, die Gemeinschaftsorgane betreffende, und das europäisch-national durchmischte im indirekten Vollzug, wobei er nicht ausschließt, dass beide in fernerer Zukunft zu einem einheitlichen europäischen Verwaltungsrecht zusammenwachsen.[248] Unscharf bleibt dabei die Frage der Legitimationsvermittlung durch die Primärstellung der Mitgliedstaaten, auf die von Danwitz′ Argumentation abzielt. Am Schluss steht der Befund einer (verfassungsrechtlich zulässigen) tendenziellen Zweiteilung des allgemeinen Verwaltungsrechts in eine europäisch beeinflusste und eine rein innerstaatliche Sphäre.[249]
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Verwaltungsrecht im gemeinschaftlichen Verfassungssystem