Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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Europäisierung als Fortschrittsmetapher
Die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft bemüht sich, ihr Denken in die Evolution des Unionsrechts einzubringen, den Systemgedanken zu entfalten,[278] und ist – teilweise – auch um die Kodifikation zumindest von Elementen des europäischen Verwaltungsrechts bemüht.[279] Kritik an der „Europäisierung“ wird heute systemimmanent geäußert. Obwohl die Gemeinschaften seit ihrer Gründung auch Verwaltungsrechtsgemeinschaften waren,[280] haben sich die europarechtlichen Rahmenbedingungen über das Verfassungsrecht hinaus durch den Vertrag von Lissabon weiter in Richtung auf die Kooperation verändert. Für die „offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung“, auf die sich die EU bei der Ausübung ihrer Aufgaben stützt, kann Sekundärrecht erlassen werden (Art. 298 Abs. 2 AEUV). Ein eigener Titel im AEU-Vertrag regelt die Verwaltungszusammenarbeit der Union und der Mitgliedstaaten, die noch einmal auf die effektive Durchführung des Unionsrechts verpflichtet werden und Verwaltungshilfe der Union in Anspruch nehmen können (Art. 197 AEUV). Die Grundrechte-Charta kennt ein Recht auf gute Verwaltung und wirksamen Rechtsschutz (Art. 41, 47 GRC). Werden die Vertreter der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft also zu Vertretern einer europäischen Verwaltungsrechtswissenschaft oder sind sie das möglicherweise bereits? Es scheint Einigkeit zu bestehen, dass das Trennungsprinzip, d. h. der im Grundsatz bei den Mitgliedstaaten liegende Vollzug des Unionsrechts, der Regelfall und die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen ausgeschlossen ist. Das ist nicht wenig, jedoch bleibt viel Raum für Veränderung und Umgestaltung, für Innovation und Reflexion über Inhalte und Methoden, den verschiedene Denkströmungen auszufüllen suchen.[281] Möglicherweise bietet es sich deshalb an, die „Europäisierung“ aus der Gegenwartsperspektive als Teil und Chiffre zugleich für die Bemühungen um eine modernisierende Veränderung des Verwaltungsrechts, also als eine Fortschrittsmetapher zu verstehen.[282] Im Grunde aber ist die Staatsrechtslehre noch immer mit den Fragen befasst, die ganz am Anfang der europäischen Integration erkannt und formuliert worden sind: Welches Schicksal haben die nationalen Verfassungen mit ihrer demokratisch legitimierten, rechtsstaatlichen Bindung hoheitlicher Gewalt und welchen Maßstäben muss die europäische öffentliche Gewalt genügen? Auf der Staatsrechtslehrertagung in Speyer 2015, auf der sich die Vertreter der Staatsrechtslehre zuletzt über diese Fragen vergewisserten und nach Antworten suchten, kam einer der mit diesem Thema betrauten Referenten zu dem Ergebnis, dass ein europäisierungsbedingter Bedeutungsverlust des Grundgesetzes nicht von der Hand zu weisen sei, das Grundgesetz sich gleichwohl behaupten könne.[283] Ein Widerspruch in der Aussprache ist nicht verzeichnet.
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Ferdinand Wollenschläger, Verfassung im Allgemeinen Verwaltungsrecht, in: VVDStRL 75 (2016), S. 187–264.
G. Abstract
1. | This article examines the Europeanisation of administrative law scholarship in Germany. It focuses on statements from the early 1950s onwards concerning the influence – in the sense of establishment, transformation, effect, and reinterpretation – of European supranational law on German administrative law (par. 3 et seq.). |
2. | The article considers the contribution of an avant-garde of the 1950s, observers who also participated in the negotiating delegations for the newly established organisations or who were particularly sensitive to such promising new developments (par. 10 et seqq.). This first period was followed by an appropriation of Community law which, initially accompanied by positional struggles in the public law community, can be dated from the founding years of the European Economic Community and the Atomic Energy Community (1957/60) to the conclusion of the Single European Act (1986). It is characterised by an increasing number of publications (including formative monographs), efforts to promote comparative law and the determination of a position within the framework of academic conferences (par. 21 et seqq.). The third period of reception and creation (1985 to 2005), on which most studies in European legal history focus, is characterised by the idea of a European administrative law, the thematic differentiation and the broad recognition of the topos of Europeanisation (par. 38 et seqq.). |
3. |
Scholars of administrative law in the 1950s and 1960s, of whom there were far fewer than nowadays, recognised that the founding of the European Coal
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