Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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bezeichnet, das letztlich nur aus Anlass von Einzelfällen entsteht und bei dem sich Verallgemeinerungen i. d. R. verbieten.[268] Es gibt daher keinen abgeschlossenen Kanon dieses Durchsetzungsrechts, so wie es auch keinen allgemeinen selbstzweckhaften „effet utile“ des Unionsrechts gibt. Es gibt nur Vorgaben, wie einzelne Unionspolitiken auch von den nationalen Behörden auf Grundlage des nationalen Rechts effektiv durchzusetzen sind. Inhalt und Reichweite dieses Durchsetzungsrechts hängen deshalb sowohl von der nationalen Rechtsordnung ab, die „europäisiert“ wird,[269] als auch vom fachrechtlichen Kontext, in dem eine „europäisierte“ Verwaltungsentscheidung angesiedelt ist. Die Auswirkungen des Durchsetzungsrechts lassen sich deshalb nicht immer vorhersehen,[270] allenfalls beispielhaft aufzählen,[271] und können auf Durchsetzungshindernisse reagieren, die sich aus der nationalen Verwaltungsorganisation, dem nationalen Verwaltungsverfahrensrecht, dem Fehlerfolgenrecht der nationalen Handlungsformenlehre sowie dem Verwaltungsprozess- und Staatshaftungsrecht ergeben. Das Durchsetzungsrecht findet seine Grenze in den bei der Durchsetzung des Unionsrechts von der Union und den Mitgliedstaaten zu beachtenden Unionsgrundrechten (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh). Diese stellen (heute) rechtsverbindlich sicher, dass sowohl das Recht der EU-Eigenverwaltung wie das EU-Durchsetzungsrecht denselben Wertentscheidungen Rechnung trägt.[272]

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      Verwirklichung von Unionspolitiken durch deutsche Behörden

      All dies lässt sich kaum sinnvoll verarbeiten, wenn eine „mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie“ als „Gegenpol einer voranschreitenden Europäisierung der nationalen Rechtssysteme“ begriffen wird.[273] In derartigen Beschreibungen setzt sich die Abwehrhaltung der 1990er Jahre[274] fort. Die Rolle der nationalen – und damit auch der deutschen – Behörden im europäischen Integrationsprozess ist vielmehr ähnlich wie die des nationalen Gesetzgebers und der nationalen Gerichte zu definieren: Sie sind nach Art. 4 Abs. 3 EUV zur Verwirklichung der im Unionsrecht konkretisierten Unionspolitiken (unter Beachtung der sich aus der GRCh ergebenden Grenzen) verpflichtet. Für die Rolle der deutschen Verwaltung in der Europäischen Integration und das Thema „Europäisierung des Verwaltungsrechts“ sind daher weniger die Veränderung des deutschen Verwaltungsrechts aufgrund unionsrechtlicher Impulse und das Hinzutreten neuer Rechtsquellen europäischen Ursprungs bedeutsam als vielmehr die Auswirkungen, die sich daraus ergeben, dass in immer mehr Bereichen immer sichtbarer die von bestimmten Behörden wahrzunehmenden Aufgaben und die Art und Weise ihrer Erfüllung unionsrechtlich (insbesondere durch unionsrechtliches Fachrecht) determiniert werden.[275] Dies bedeutet eine Indienstnahme der nationalen Verwaltung (aber auch des nationalen Verwaltungsrechts) durch die Union zu Erfüllung ihrer Zwecke. Dadurch schwinden die Möglichkeiten der nationalen Politik und Gesetzgebung, für „ihre“ Verwaltung selbst Verwaltungsagenden zu definieren und über die von den nationalen Verwaltungen einzusetzenden Zeit- und Personalressourcen zu bestimmen. Gerade dies erklärt die teilweise heftigen Abwehrreaktionen. Eine solche Abwehrhaltung nutzt aber zu wenig die Chancen der Mitgestaltung der Europäischen Integration durch die deutsche Politik und Verwaltung und die Chancen der Weiterentwicklung des deutschen Verwaltungsrechts zu einem wichtigen Bestandteil des „Europäischen Verwaltungsrechtsverbunds“.[276]

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      Unionsrecht und nationale Rechtsanwendungsroutinen

      Immer deutlicher wird auch, dass zahlreiche Probleme bei der Auslegung, Anwendung und Umsetzung des Unionsrechts darauf beruhen, dass die Reichweite und Bindungswirkungen der unionsrechtlichen Vorgaben vom nationalen Rechtsanwender über- oder unterschätzt werden und deshalb entweder unionsrechtliche Sanktionen drohen[277] oder Möglichkeiten nationaler Politikgestaltung wegen Unterschätzung der Reichweite der den Mitgliedstaaten vom Unionsrecht belassenen Spielräume vergeben werden.[278] So entscheidet der EuGH (anders als die deutschen Gerichte) i. d. R. ausschließlich über die in dem konkreten Verfahren aufgeworfenen Fragen, sodass die Begründungselemente seiner Entscheidungen i. d. R. keinen fallübergreifenden Informationsanspruch haben.[279] Ihnen sollten daher nicht vorschnell verallgemeinerungsfähige Grundsätze entnommen werden, wie dies gerade in Deutschland oft geschieht.[280] Problematisch ist jedoch vor allem, wenn der nationale Rechtsanwender die ihm vertrauten nationalen Rechtsanwendungsroutinen (also das in seiner Ausbildung und Berufspraxis erworbene, oft nur implizite Wissen, wie in seinem Mitgliedstaat Gesetzestexte, Gerichtsentscheidungen und rechtswissenschaftliche Texte zu lesen, zu verstehen und zu schreiben sind), unbesehen auch der Auslegung und Anwendung von Unionsrechtsakten (Verordnungen, Richtlinien) zugrunde legt. Deutsche Rechtsanwender neigen etwa typischerweise dazu, auch unionsrechtliche Vorschriften in Tatbestand und Rechtsfolge zu zerlegen und davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber jedes Wort eines Unionsrechtsakts bewusst und gezielt gewählt habe, um „punktgenau“ festzulegen, welche Sachverhalte von der jeweiligen Vorschrift erfasst werden sollen und welche nicht.[281] Hiervon ausgehend wird dann unter die einzelnen Tatbestandselemente des Unionsrechtsakts „subsumiert“, was auf der Grundidee beruht, dass Tatsachen und Rechtsfragen deutlich voneinander getrennt werden können. Dies alles erfolgt vor dem Hintergrund des „Ideals der einzig richtigen Entscheidung“ (genauer: Ideal der Existenz einer einzig richtigen Antwort auf eine konkrete Rechtsfrage), das in Deutschland der täglichen „Rechtsarbeit“ zumeist selbstverständlich – ungeachtet der hierzu existierenden rechtstheoretischen Diskussion – zugrunde gelegt wird.[282] Werden diese deutschen Rechtsanwendungsroutinen auf die Auslegung und Anwendung von Unionsrechtsakten angewandt, kann diese zu sehr kleinteiligen, am Wortlaut des jeweiligen Rechtsakts verhafteten Argumentationsweisen führen. Diese können nicht immer von Rechtsanwendern aus anderen Mitgliedstaaten nachvollzogen werden, weil dort ein ganz anderes Verständnis von den Funktionen und Steuerungswirkungen des Rechts insbesondere gegenüber der Verwaltung herrscht.

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      Multiple Rechtsanwendungsroutinen in der Union?

      Damit ist angesprochen, wie problematisch es sein kann, an das Unionsrecht mit denselben methodischen Instrumenten, Anwendungsroutinen und Prämissen heranzugehen, wie sie aus dem jeweiligen nationalen Recht bekannt sind.[283] Diese sind nicht allgemeingültig. Tatsächlich bestehen in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche „Methodenkulturen“[284] als implizites Wissen, das Grundlage der täglichen Rechtsarbeit ist. Dies ist auch durch unterschiedliche Ausbildungsziele der Juristenausbildung[285] und den unterschiedlichen Stellenwert der „Rechtsausbildung“ bei Führungskräften der Verwaltung bedingt. Dies wiederum ist Ausdruck unterschiedlicher Verständnisse von den Aufgaben und Funktionen des Rechts im Allgemeinen und des Verwaltungsrechts im Besonderen, des Verhältnisses und der Rollenverteilung zwischen Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit insbesondere in Bezug auf die Definition von Staats- und Verwaltungsaufgaben und die bei ihrer Erfüllung zu beachtenden Bindungen. Die sich hieraus ergebenden Unterschiede im (Verwaltungs-)Rechtsdenken zwischen den Mitgliedstaaten der Union sind erheblich.[286] Dies wirkt sich auch auf das Verständnis der Intensität der Bindungs- und Steuerungswirkung des Gesetzes gegenüber dem Verwaltungshandeln aus und schlägt gerade deshalb auf die täglichen Rechtsanwendungsroutinen durch.[287] Daraus folgt das bekannte Phänomen, dass derselbe Text von Rechtsanwendern unterschiedlicher Herkunft aufgrund unterschiedlicher Rechtsanwendungsroutinen unterschiedlich ausgelegt und auch seine Bindungswirkung für den Bürger, die Verwaltung und die Gerichte unterschiedlich bestimmt werden wird.

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      Fehlen unionsweit einheitlicher Rechtsanwendungsroutinen?

      Zur Gewährleistung eines unionsweit einheitlichen Verständnisses des Unionsrechts müssten deshalb die nationalen Gerichte und Behörden „an sich“ der Arbeit mit dem Unionsrecht unionsweit einheitliche Anwendungs- und Auslegungsroutinen zugrunde legen, die sich von denjenigen, die die Mitgliedstaaten jeweils für den Umgang mit ihrem eigenen Recht entwickelt haben, unterscheiden

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