Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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oder das Ausländerrecht betrifft,[238] sondern letztlich alle wichtigen „Referenzgebiete“ des besonderen Verwaltungsrechts erfasst. Das Gemeinschafts- bzw. Unionssekundärrecht kommt aber mit zunehmender Funktionsfähigkeit der 1998 in Betrieb genommenen EUR-Lex-Datenbank[239] auch immer mehr tatsächlich in der Praxis an: EUR-Lex machte das Unionsrechtsekundärrecht für viele deutsche Rechtsanwender erstmals mit zumutbarem Aufwand in einer Weise recherchierbar, die seine tatsächliche gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung ermöglicht. Zugleich wird betont, dass deutsche Behörden schon aufgrund des Art. 20 Abs. 3 GG an Unionsrecht gebunden sind.[240] Dies alles hat zur Frage der Rolle der deutschen Verwaltung in der Europäischen Integration geführt.[241] Zugleich stellt sich zunehmend die Kernfrage, ob und in welchem Umfang der Anwendung und Auslegung von Unionsrecht durch den deutschen Rechtsanwender eigentlich dieselben Rechtsanwendungsroutinen zugrunde gelegt werden können wie der Anwendung von nationalem Recht.[242]

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      Fremdbestimmtes Verwaltungsrecht und Abwehrhaltung

      In den 1990er Jahren war die Europäisierungsdebatte im Verwaltungsrecht vor allem von einer weitgehend ablehnenden Haltung der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft gegenüber dem „Übergriff“ der Europäischen Gemeinschaften in das nationale Verwaltungsrecht (und damit auf die deutsche Verwaltungstätigkeit) geprägt.[243] Dies wird durch das berühmt gewordene Diktum von Jürgen Salzwedel von einer „besatzungsrechtsähnlichen Intervention [der Luxemburger Richter] in gewachsene Normstrukturen des nationalen Rechts“[244] veranschaulicht. Dieses ist natürlich besonders überzeichnet, aber dennoch für die damalige Wahrnehmung der Europäisierung durchaus charakteristisch. Die damalige Verwaltungsrechtswissenschaft ging i. d. R. von einem Gegensatz zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht aus und verstand das deutsche Recht als „Opfer der Europäisierung“.[245] Dies gab der Frustration der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft über einen Verlust der Deutungshoheit über in Deutschland anwendbares Verwaltungsrecht Ausdruck.

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      Eins-zu-Eins-Umsetzung und Spillover-Effekte

      Auf der politischen Ebene spielt sich bis heute Ähnliches in den Bereichen ab, in denen das politische Ziel eines umzusetzenden Unionsrechtsakts die für die Umsetzung politisch Verantwortlichen sowie die primär hiervon betroffenen Behörden, Unternehmen und Verbände und nicht zuletzt auch die auf eine bestimmte Rechtsmaterie spezialisierten und besonders „ausgewiesenen“ Anwälte, Richter und Hochschullehrer (mehrheitlich) nicht überzeugt. In diesen Fällen wird dann oft eine „1:1-Umsetzung“ des Unionsrechts gewählt, um den „Schaden“ für das überkommene Rechtssystem durch „systemsprengende“ unionsrechtlich gebotene Rechtsänderungen möglichst gering zu halten und „Spillover-Effekte“ zu vermeiden.[246] Diese „1:1-Umsetzung“ soll dann ganz bewusst die deutschen Umsetzungsgesetze als nicht verallgemeinerungs- oder gar analogiefähige Fremdkörper im Rechtssystem erscheinen lassen. Es wird allenfalls eine nur gerade noch unionsrechtskonforme Lösung angestrebt. Dies birgt das Risiko erheblicher Umsetzungsdefizite und Umsetzungsschwierigkeiten.[247] Die Leidensgeschichte des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes[248] wirkt insoweit leider nach wie vor nicht hinreichend abschreckend.

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      „Vollzug des Unionsrechts“ als irreführender Schlüsselbegriff

      Zu Missverständnissen trägt zudem bei, dass vom „indirekten Vollzug“ des Unionsrechts durch die mitgliedstaatlichen Verwaltungen gesprochen wird. Dies weckt falsche Assoziationen mit dem deutschen Exekutivföderalismusmodell der Art. 83 ff. GG. Tatsächlich sind mit der Situation der Art. 83 ff. GG vergleichbare Fälle, in denen das Unionsrecht nationalen Behörden konkrete Aufgaben zuweist, die sie auf Grundlage unionsrechtlicher Vorschriften (oder nationaler Umsetzungsgesetze) auch im Verhältnis zum Bürger zu erfüllen haben („echter Vollzug“), eher selten.[249] Im Regelfall haben nationale Behörden beim Vollzug nationalen Rechts unionsrechtliche Vorgaben (nur) zu beachten (sog. respektierender Vollzug).[250] Das Unionsrecht setzt hier den mitgliedstaatlichen Behörden Grenzen. Es regelt nicht, „ob“ bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, sondern „nur“ (mehr oder weniger weitgehend), wie sie zu erfüllen sind, wenn sie von den Mitgliedstaaten wahrgenommen werden. Diese Konstellation liegt selbst im Vergaberecht,[251] im Datenschutzrecht[252] oder im Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung[253] vor. Bei geteilter Mittelverwaltung (vgl. Art. 62 ff. VO [EU/EURATOM] 2018/1048 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union[254]) oder auch beim EU-Beihilferecht (Art. 107 ff. AEUV) liegen zudem Formen des indirekten Vollzugs des Unionsrechts vor, die auf der Grenze zwischen „echtem“ und „respektierendem“ Vollzug liegen.[255]

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      Unionsrecht als „Kodifikationsbrecher“

      Machte das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht somit bereits schon dadurch auf sich aufmerksam, dass seine querschnittsartigen Regelungen von immer mehr Behörden in immer mehr Zusammenhängen zu beachten (bzw. „respektierend zu vollziehen“) waren, so wurde ein weiterer „Europäisierungsdiskussionsschub“ im Verwaltungsrecht durch einzelne Entscheidungen des EuGH eingeleitet, die Auswirkungen im Anwendungsbereich der VwGO und des VwVfG hatten: Konkret ging es etwa um die Frage, inwieweit deutsche Behörden nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO verpflichtet sein können, die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegenüber Maßnahmen anzuordnen, die der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht dienten.[256] Vor allem aber ging es natürlich um die – durch die „Alcan-Saga“[257] zu „dem“ Europäisierungsthema[258] gewordene – Frage der „Verdrängung“ der Vertrauensschutztatbestände der § 48 Abs. 2 und 4 VwVfG im Fall beihilferechtswidrig gewährter Subventionen. In beiden Fällen wurde letztlich aus dem Umstand, dass hier ungeschriebenes (Rechtsprechungs-)Recht des EuGH den nationalen Kodifikationen vorgehen sollte, geschlossen, dass sich das Unionsrecht als „Kodifikationsbrecher“ erweise.[259] Dies ist nicht falsch, misst aber dem Umstand zu wenig Gewicht bei, dass es sich in den meisten Fällen dieser Art um eine Reaktion des EuGH auf unzureichende deutsche „Ausführungsgesetzgebung“ zu unionsrechtlichem Fachrecht handelte[260]: Es ging nicht um eine flächendeckende Umgestaltung des deutschen Rechts und darum, deutsche rechtsstaatliche Grundsätze auf dem Altar eines unionsrechtlichen effet utile zu opfern (z. B. durch Abschaffung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO[261] oder Nichtanwendung der deutschen Vertrauensschutzbestimmungen des § 48 VwVfG bei Fällen mit Unionsrechtsbezug[262]). Es ging vielmehr um Situationen, in denen der deutsche Gesetzgeber seiner aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Pflicht nicht nachgekommen ist, zum Zwecke der Durchsetzung fachrechtlicher unionsrechtlicher Vorgaben in bestimmten Bereichen Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen durch fachrechtliche Sondervorschriften einzuführen (die der deutsche Gesetzgeber ganz selbstverständlich eingeführt hätte und verfassungskonform hätte einführen können, wenn dies zur effektiven Umsetzung deutschen Fachrechts notwendig gewesen wäre).[263]

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      „Gemeinschafts- und Unionsverwaltungsrecht“ als irreführendes Konzept

      Dies ist zunächst nicht gesehen worden, sondern es wurden derartige Einwirkungen des Gemeinschafts- und Unionsrechts unter den Oberbegriff des „Gemeinschaftsverwaltungsrechts“[264] bzw. „Unionsverwaltungsrechts“[265] zusammengefasst.[266] Hierdurch entstand der Eindruck eines kodifizierbaren in sich abgeschlossenen „Regelungskomplexes“, dessen Regelungen aufeinander abgestimmt sind und einheitliche Grundsätze für das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht beim Vollzug des Unionsrechts aufstellen.[267] Tatsächlich ging es bei der hier in Bezug genommenen EuGH-Rechtsprechung jedoch um die Frage, wie die mitgliedstaatlichen Behörden dazu angehalten werden können, Unionsrecht auch dann entsprechend Art. 4 Abs. 3 EUV durchzusetzen, wenn das nationale Verwaltungsorganisations-, Verwaltungsverfahrens- oder Verwaltungsprozessrecht

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