Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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der Beschleunigungsdiskussion

      Die Beschleunigungsgesetzgebung war jedoch auch deshalb problematisch, weil ihr Konzept der Zulassungsbeschleunigung durch Verfahrens- und Rechtsschutzeinschränkungen teilweise schon in den 1990er Jahren im Gegensatz zum europäischen Umweltrecht stand, das eher auf eine Stärkung des Umweltschutzes auch und gerade durch Ausweitung des Prüfgegenstands von Genehmigungs- und Planungsverfahren, durch breite Öffentlichkeitsbeteiligung und großzügigen Gerichtszugang setzte.[87] Dennoch wurden durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9.12.2006[88] die „bewährten“ Instrumente der Verfahrensbeschleunigung weiter ausgebaut.[89] Diese Regelungen wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung des Planfeststellungsverfahrens vom 31.5.2013[90] in das VwVfG integriert. Dabei bekam das Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Proteste um „Stuttgart 21“ jedoch einen teils gegenläufigen „Dreh“ mit der Einführung der „frühen Öffentlichkeitsbeteiligung“ in § 25 Abs. 3 VwVfG.[91] Bereits zuvor hatte sich das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) vom 28.7.2011[92] an einer Kombination von Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Planungsbeschleunigung versucht – wohl eher mit mäßigem Erfolg.[93] Dass mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Mehr an Akzeptanz für ungeliebte Vorhaben führt, hat sich bisher jedenfalls nicht feststellen lassen.[94] Vielleicht gewinnt die Beschleunigungsdebatte deshalb seit 2018 wieder erneut an Fahrt. Konkret geht es um eine (weitere) Diskussion über das Beschleunigungspotenzial der Legalplanung, die (u. a.)[95] in das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgVG) vom 22.3.2020[96] mündete, das nunmehr ein Planungsverfahren für Legalplanungsgesetze vorsieht.[97]

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      Weiterer Abbau von Verfahrensrechten nicht zielführend

      Die eigentlichen Ursachen zu langsamer Realisierung von Großvorhaben in Deutschland werden bei alledem nur selten analysiert.[98] Auch insoweit kann die aktuelle Diskussion als Neuauflage der Debatte der 1990er Jahre gesehen werden. Zielführende Vorschläge zur Kodifizierung des Rechts der Eröffnungskontrollen (Genehmigungs- und Anzeigeverfahren) im VwVfG[99] sind deshalb bisher nicht aufgenommen worden. Mit dem Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI[100] ist jedenfalls anzunehmen, dass jenseits einer gesetzgeberischen Vereinheitlichung des Fach-Verwaltungsrechts, die eine Verfahrensstandardisierung ermöglichen würde, die gesetzgeberischen Möglichkeiten einer Beschleunigung von Planungs- und Zulassungsverfahren durch Abbau von Verfahrensrechten erschöpft sind.[101] Der Schwerpunkt ist auf eine hinreichende Ausstattung der Genehmigungsbehörden und auf eine Vereinfachung und Konkretisierung der materiellen Vorgaben zu legen.

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      Abbau des Widerspruchsverfahrens

      Ebenfalls im Kontext der Beschleunigungsdiskussion ist die durch die 6. VwGO-Novelle[102] erfolgte Streichung der Worte „für besondere Fälle“ in § 68 Abs. 2 S. 2 VwGO zu sehen. Dies ermöglicht den Ländern seit 1997, das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO in allen Fällen abzuschaffen, in denen das Land zuständig ist. Umfasst sind auch Fälle des Vollzugs von Bundesrecht. Seit Mitte der 2000er Jahre haben zahlreiche Länder in unterschiedlichem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.[103] In den jeweiligen Gesetzesbegründungen wurde insoweit auf eine fehlende bzw. nicht nachgewiesene Effizienz des Vorverfahrens, das Interesse der Verfahrensbeschleunigung und Kostenersparnis verwiesen.[104] Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben das Vorverfahren nahezu vollständig abgeschafft (und diese Abschaffung mit leichten Modifikationen als grundsätzlich „bewährt“ beibehalten).[105] Dagegen wird in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern das Vorverfahren in bestimmten Bereichen dem Bürger als „Option“ angeboten, was als interessantes Modell angesehen wird.[106] Die (rechts-)politische Diskussion über das Für und Wider der Abschaffung des Vorverfahrens greift vielfach auf nur unvollständiges bzw. wenig aussagekräftiges Zahlenmaterial zurück, das zudem i. d. R. unterschiedlich bewertet wird.[107] Da in der politischen Diskussion weitgehend übereinstimmende Argumente für die Abschaffung des Vorverfahrens vorgebracht wurden, ist es zudem erstaunlich, dass in den Ländern ganz unterschiedliche Bewertungen getroffen werden, in welchen Fällen dennoch das Vorverfahren für unverzichtbar erachtet wird: Teilweise wird etwa ein Vorverfahren in Baugenehmigungsverfahren für entbehrlich erachtet, während es in Kommunalabgabenangelegenheiten für unerlässlich gehalten wird; in anderen Ländern ist es genau umgekehrt.[108] In der (kommunalen) Praxis ist zudem mit verschiedenen Konstruktionen versucht worden, trotz Abschaffung des Vorverfahrens zu verhindern, dass betroffene Bürger zur Vermeidung der Bestandskraft verwaltungsgerichtliche Klagen erheben, ohne der Behörde Möglichkeiten der Selbstkorrektur zu geben.[109] Dies hat nunmehr den niedersächsischen Gesetzgeber dazu bewegt, in § 80 Abs. 3 des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG)[110], der Behörde zu ermöglichen, gegenüber Verwaltungsakten, die auf Grundlage abschließend aufgezählter Rechtsvorschriften erlassen werden, die Notwendigkeit eines Vorverfahrens anzuordnen (sog. „Behördenoptionsmodell“). Dabei wird angenommen, dass diese Anordnung bezogen auf vergleichbare Bescheide nur einheitlich ergehen kann.[111] Damit werden letztlich Art und Umfang des dem Bürger gewährten Rechtsschutzes von einer behördlichen Entscheidung abhängig gemacht. Zu begrüßen sind dagegen die Bemühungen einiger Bundesländer, die Befriedungsfunktion des Widerspruchsverfahrens u. a. durch mündliche Erörterungen zu stärken.[112]

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      Bürokratieabbau

      An die Diskussion zur Genehmigungsverfahrensbeschleunigung der 1990er Jahre knüpfte die Debatte zur Mittelstandsförderung durch Bürokratieabbau an, die 2003 mit der „Initiative des Bürokratieabbaus“ der rot-grünen Bundesregierung in die politische Umsetzung ging[113] und in das Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen vom 21.6.2005[114] mündete. Dieses hob mehrere Berichts- und Informationspflichten auf, liberalisierte aber auch etwa das Gaststättenrecht sehr weitgehend.[115] Das Projekt wurde von der großen Koalition mit dem „Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ aufgegriffen,[116] was zur Einsetzung des Nationalen Normenkontrollrats[117] und zu drei Gesetzen „zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere im Bereich der Mittelständischen Wirtschaft“[118] führte, die ebenfalls zahlreiche Melde- und Berichtspflichten reduzierten. Diese Initiativen nahmen damit die Deregulierungsaufträge der RL 2006/123/EG über die Dienstleistungen im Binnenmarkt[119] vorweg. Seit 2014 werden diese Bemühungen als „Arbeitsprogramm Bessere Rechtsetzung“[120] fortgesetzt, das in bisher drei „Bürokratieentlastungsgesetze“ mündete.[121] Insgesamt zeichnet sich die Bürokratieabbaudiskussion durch einen wesentlich pragmatischeren Ansatz im Vergleich zu der nahezu ideologisch geführten Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsdiskussion der 1990er Jahre aus. Sie führte damit (in Teilbereichen) zu einem Bewusstsein der Gefahren der Überregulierung, nicht aber zu Forderungen nach einer generellen Umstrukturierung des Verwaltungsrechts. Heute ist sie auch in Zusammenhang mit den Versuchen zu sehen, die Digitalisierung der Verwaltung (ernsthaft) voranzutreiben.[122]

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      Privatisierung und Regulierung

      In den 1990er Jahren wurde auch deutlich, dass die notwendigen Investitionen in die staatlichen Infrastrukturen auf herkömmliche Weise nicht mehr zu finanzieren waren.[123] Jedenfalls wurde eine herkömmliche Finanzierung für politisch nicht mehr darstellbar gehalten. Dies verbunden mit einem allgemeinen Misstrauen in die Innovationskraft öffentlicher Unternehmen führte zu einem nahezu vollständigen Umbau weiter Zweige der bisherigen Leistungsverwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Post– und Bahnreform von 1993/1994, aber auch das Aufbrechen bisheriger Stadtwerkemonopole waren insoweit das sichtbarste Zeichen. Hieraus entwickelte

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