Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band - Hugo Friedländer

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zu konstatieren. Wenn wir den Angaben des Grünewald Glauben schenken, daß er eine Einnahme von monatlich 500 Mark gehabt und davon 150 Mark an Moser, 120 Mark an Sponholz und noch je 60 Mark an 2 andere Mitarbeiter gegeben hat, so vermochte er mit seinen Redakteuren jedenfalls nicht ein solch luxuriöses Leben zu führen, Champagner zu trinken, wie ein früherer Mitredakteur, Herr Dr. Lipka, bekundet hat. Ich will sogar dem Moser Glauben schenken, daß Grünewald subventioniert worden ist; jedenfalls war doch die Subvention keine große. Sehen wir uns die Angeklagten einmal näher an. Moser und Sponholz, ehemalige Kaufleute, fühlten sich zu Redakteuren berufen, obwohl ihnen jede Vorbildung dazu fehlte. Ich will absehen, daß Sponholz nur die Reife für Untertertia in der Schule erlangt und Moser auch nur in ungenügender Weise das Gymnasium besucht hat; ich bin der Meinung, die Tüchtigkeit eines Menschen hängt nicht von der Menge der gemachten Examina ab. Es ist wohl möglich, daß sich auch ein Mensch, ohne die nötige Schulbildung, im späteren Leben etwas aneignen und es bis zu einer gewissen Fertigkeit bringen kann. Was aber den Angeklagten Moser und Sponholz fehlte und für einen Journalisten unentbehrlich ist, das ist der Takt, die Kunst, sich in anständiger Weise auszudrücken. Grünewald, der ehemalige Kellner, spätere Gastwirt, betrat im Jahre 1875 die journalistische Laufbahn oder richtiger gesagt, er trat in das »Zeitungsgeschäft« ein. Er wurde Sekretär der früheren »Eisenbahnzeitung«, späteren »Reichsglocke«, und man geht nicht fehl, wenn man den »Unabhängigen« eine Kopie jener »Reichsglocke« nennt. Nicht nur die äußere Form glich vollständig der »Reichsglocke«, auch das System ähnelt ihr in hohem Maße. Wie die »Reichsglocke« es sich zur Aufgabe machte, die hochgestelltesten Personen, wie den Fürsten v. Bismarck usw. in unflätigster Weise anzugreifen, so war es System des »Unabhängigen«, alle Privatpersonen in derselben Weise mit Kot zu bewerfen, wenn sie sein Schweigen nicht mit klingender Münze bezahlten. Nicht bloß Geschäftsunternehmungen wurden angegriffen, auch die innersten Familienverhältnisse wurden beleuchtet und die betreffenden Zeitungsexemplare an die Angehörigen der Angegriffenen gesandt. Man schreckte eben vor keinem Mittel zurück. Man unterließ es nicht, auch das Familienleben zu stören, um in den Besitz von Geld zu gelangen. Auf die Wahrheit der Angriffe kam es, wie wir gehört haben, den Herren gar nicht an. Es wurde, wenn die Briefkastendrohungen nichts fruchteten, frech darauf losgeschrieben, und zwar so lange, bis das Schweigen bezahlt wurde. Und in welcher Weise verfahren wurde, das haben wir von den Zeugen Mochmann und Jaroczynski am besten gehört. Mochmann wollte dem Grünewald eine Berichtigung bringen, dieser aber erwiderte: »Das kann mir alles nichts nützen, das Material kostet mich Geld, viel Geld, und wenn Sie mir das Material nicht abkaufen wollen, so muß ich es veröffentlichen.« Dem Jaroczynski sagte Moser: bei Grünewald hilft kein Bitten, kein Flehen, Grünewald kennt keinen Vater, keine Mutter, keine Kinder, kein Mitleid, kein Erbarmen, der kennt bloß Geld. Ja, ich gehe gewiß nicht fehl, wenn ich behaupte, der »Unabhängige« hatte lediglich den Zweck, Erpressungen auszuüben. Ich gebe zu, daß auch einige gute Artikel im »Unabhängigen« gestanden haben, diese dienten jedoch lediglich zum Verdecken des Treibens, das im anderen Teile dieser Zeitung vorgenommen wurde. Das Blatt wurde auch von niemandem gelesen der wenigen guten Artikel wegen, sondern lediglich wegen der in der Zeitung enthaltenen Skandalosa. Wir haben gehört, daß Jaroczynski und Fischer die Nr. 24 angekauft wegen der gegen sie enthaltenen Angriffe. Der Staatsanwalt ging alsdann in ausführlicher Weise auf die einzelnen Anklagepunkte ein und schloß: Wenn man erwägt, daß die Angeklagten sich nicht scheuten, selbst die innersten Familienverhältnisse in die Öffentlichkeit zu ziehen, wenn sie nicht Bezahlung erhielten, wenn man das planmäßige, schamlose Treiben der Angeklagten erwägt, wenn man in Betracht zieht, daß die Angeklagten gewerbsmäßig jahrelang die gemeinsten Erpressungen verübt haben, so wird man eine exemplarische Strafe wohl für notwendig erachten. Ich verkenne nicht, daß der schlimmste von der ganzen Gesellschaft Freiherr v. Schleinitz gewesen ist. Dieser, ein Mann, dem es vergönnt war, in den höchsten Kreisen zu verkehren, der außerdem die volle Befähigung besessen hat, sich in anständiger, ehrlicher Weise zu ernähren, dem es also ein leichtes gewesen wäre, sich in ehrenvoller Weise seinen Lebensunterhalt zu verschaffen, zog es vor, von Betrug, Unterschlagung und Erpressung zu leben. Ein solcher Mann hat es verwirkt, in anständiger Gesellschaft zu verkehren. Hätte Herr v. Schleinitz unserer Kompetenz unterstanden und wären wir seiner habhaft geworden, so hätte ich keinen Anstand genommen, das höchstzulässige Strafmaß gegen ihn zu beantragen. Aber auch die Strafen gegen Grünewald, Moser und Sponholz müssen, nach Lage der Dinge, dem Strafmaximum nahekommen. Ich beantrage gegen Grünewald 8 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht auf gleiche Dauer, gegen Moser, zusätzlich zu der im April d.J. vom Kgl. Landschwurgericht Berlin I erkannten Strafe von 1 1/2 Jahren Gefängnis wegen Notzucht, 6 Jahre Gefängnis, 4 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht von gleicher Dauer, gegen Sponholz 6 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht, gegen Lodomez 1 Jahr 3 Monate Gefängnis und 5 Jahre Ehrverlust. Die Angeklagten Vogelsang und Sawatzki beantrage ich freizusprechen, da die Beweisaufnahme nichts Belastendes gegen diese ergeben hat.

      Verteidiger Rechtsanwalt Wronker: Bekanntlich ist es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Anklage nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, während es die Aufgabe der Verteidigung ist, die Anklage zu entkräften. Über das Strafmaß vermag ich nach Lage der Dinge nicht zu sprechen, ich muß das dem hohen Gerichtshofe anheimstellen, indem ich des Spruches, der da oben an der Decke des Saales angeschrieben steht, eingedenk bin: »Das Gesetz straft, nicht der Richter.« Ich bin nicht der Meinung, daß es lediglich zu den Aufgaben des »Unabhängigen« gehörte, Erpressungen auszuüben. Von diesem Standpunkt aus wird der Gerichtshof sein Urteil nicht sprechen können, sondern lediglich die vorliegenden Fälle sachlich zu prüfen haben. Der Verteidiger ging alsdann des Näheren auf die einzelnen Fälle ein und suchte nachzuweisen, daß die meisten Fälle mild aufzufassen seien.

      Vert. Rechtsanwalt Saul: Daß durch die Verhaftung der Angeklagten im Publikum eine große Genugtuung hervorgerufen sei, möchte ich bestreiten. Das große Publikum hatte an der Verhaftung der Angeklagten ein nur sehr geringes Interesse genommen. Das größte Interesse an der Sache hat naturgemäß die anständige Presse und diese hatte allerdings die Verpflichtung, diese Ausgeburt von Presse in das rechte Licht zu stellen. Durch die Presse, die direkt mit dem Publikum verkehrt, ist das große Publikum hierbei erst in Mitleidenschaft gezogen worden. Bei Beurteilung der Sache wird man in Erwägung ziehen müssen, daß der Hauptbelastete, Herr v. Schleinitz, flüchtig geworden ist und nur die kleinen Schächer hier auf der Anklagebank stehen. Es ist charakteristisch, daß alles meinem Klienten Moser aufgebürdet wird. Ich muß leider hier die antisemitische Bewegung in die Diskussion ziehen. An wen sollten sich die angegriffenen Lewin, Seelig, Jaroczynski usw. wenden, um einen Ausgleich herbeizuführen? Etwa an den christlich-sozialen Agitator Grünewald? oder an den Antisemiten Lodomez? Am geratensten erschien es den genannten Herren, sich an den Juden Moser zu wenden. Und Moser sagte den Leuten: »Hier wird nichts weiter helfen, als zahlen, denn Grünewald kennt bloß Geld.« Damit hat aber Moser nur das getan, was Jaroczynski und Fischer auch getan haben. Eine Erpressung kann lediglich in dem Falle Seemann gefunden werden. Allein wenn diese Anklage auf zwei Augen ruht, so kann ich zu meinem großen Leidwesen nicht umhin, die Aussagen des Herrn Seemann in Zweifel zu ziehen. Der Verteidiger ging alsdann auf die einzelnen Fälle ein und bat, in Rücksicht auf die traurigen Verhältnisse, die Moser, einen ehemaligen, sehr wohlhabenden Bankier in Hannover, genötigt haben, Stellung beim »Unabhängigen« zu nehmen, diesem mildernde Umstände zuzubilligen.

      Vert. Justizrat Jenzitzki beantragte für Sponholz, der lediglich im Abhängigkeitsverhältnis bei Grünewald stand, und wie nachgewiesen, keinen Gewinn aus den Erpressungen gezogen hat, ein mildes Strafmaß.

      Vert. Rechtsanwalt Dr. Sello (für Lodomez): Bei meinem Antrage auf Freisprechung meines Klienten gehe ich nicht davon aus, für ihn etwa eine Ehrenerklärung zu erzielen. Aus den Verhandlungen haben wir erfahren, daß wir es bei Lodomez mit einem Prototyp eines modernen Hochstaplers zu tun haben. Nicht Uneigennützigkeit, sondern vornehmlich Gewinnsucht haben ihn zu den Schritten bewogen, die er gegangen ist. Aber diese fallen nicht unter irgendeinen strafrechtlichen Gesichtspunkt. Die Tathandlungen in der ersten Periode im Mai und Juni v.J. hat der Herr Staatsanwalt selbst nicht als strafbar erachtet; Lodomez hat sich nur als unberufener Vermittler in die Ottensche Streitangelegenheit eingedrängt,

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