Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band - Hugo Friedländer

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nicht angewendet wurde? Im Januar 1866 wurde in Berlin der Zuhälter Louis Grothe, der 1864 in einer Kellerwohnung am Oranienplatz den Lehrer der italienischen Sprache, Professor Gregy, ermordet und beraubt hatte, hingerichtet. Von da ab weigerte sich König Wilhelm I., ein Todesurteil zu unterschreiben. Erst am Morgen des 16. August 1878 wurde in Preußen wieder eine Hinrichtung, und zwar an dem 21jährigen Klempnergesellen Max Hödel vollzogen. Hödel hatte bekanntlich am Nachmittag des 12. Mai 1878, als Kaiser Wilhelm I. mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise von Baden im offenen Wagen aus dem Berliner Tiergarten die Straße Unter den Linden entlang fuhr, mit einem Revolver auf den greisen Monarchen geschossen. Obwohl der Schuß fehlgegangen war, zumal er, wie der Kgl. Hofbüchsenmacher August Barella begutachtete, mit diesem Sechsmark-Revolver gar nicht hätte treffen können, so wurde Hödel am 10. Juli 1878 vom Preußischen Staatsgerichtshof wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Der alte Kaiser war am 2. Juni 1878 von Dr. Karl Nobiling Unter den Linden mit Schrot in den Kopf geschossen worden und lag in sehr bedenklichem Zustande zu Bett. Er hatte die Regentschaft seinem Sohne, dem damaligen Kronprinzen, späteren Kaiser Friedrich, Vater des jetzigen Kaisers Wilhelm II., übertragen. Der Kronprinz weigerte sich, das Todesurteil wider Hödel zu unterschreiben. Der damalige Reichskanzler Fürst Otto v. Bismarck drang aber derartig in den Regenten, daß er sich schließlich zur Unterschrift herbeiließ. Seit dieser Zeit hat die Todesstrafe in Preußen und auch im übrigen Deutschland wieder praktische Gestalt angenommen. Jeder Kriminalist weiß, daß fast alle Mörder die Todesstrafe der lebenslänglichen Zuchthausstrafe vorziehen. Abgesehen von den vielen vorgekommenen Justizmorden, ist die Hinrichtung eine solch grausame Strafart, daß alle Gesitteten mit vollster Energie für die schleunige Aufhebung dieses mittelalterlichen Strafmittels eintreten müßten.

      Ich kehre nun zu meinem eigentlichen Thema zurück. Die heutige Gesetzgebung beschränkt sich nicht auf Gefängnisse und Zuchthäuser, sie hat auch »Fürsorgeerziehungsanstalten« und Arbeitshäuser geschaffen. Die Fürsorgeerziehungsanstalten sind als Erziehungsinstitute für jugendliche Personen beiderlei Geschlechts bis zum 21. Lebensjahre gedacht, sobald diese jungen Menschen der elterlichen und auch sonstigen Erziehung ermangeln und die Gefahr besteht, daß sie Schädlinge der menschlichen Gesellschaft werden könnten. Die Arbeitshäuser sind eine alte Einrichtung, in die ältere Leute beiderlei Geschlechts zur Besserung überwiesen werden, insbesondere Prostituierte, Zuhälter und Bettler. Bis zur Einführung des Fürsorgegesetzes kamen auch Kinder ins Arbeitshaus. Beide Einrichtungen sind keine Strafanstalten, sondern nur als Besserungsanstalten gedacht. Ob aber aus diesen Anstalten schon jemals ein Insasse gebessert hervorgegangen ist, kann mit Recht bezweifelt werden. Schuld hieran haben die Beamten dieser Anstalten, die zumeist ihre Aufgabe vollständig zu verkennen scheinen. Die Brutalitäten eines »Pastors« Breithaupt und anderer Hausväter mit ihren Schergen, genannt Aufseher oder gar »Erzieher«, bilden leider keine Ausnahme. Dies ist wohl auch die Ursache, daß die Angeklagten nicht das Gefängnis oder Zuchthaus, wohl aber die »Fürsorgeerziehungsanstalt« und noch mehr das Arbeitshaus fürchten. Lieber ins Zuchthaus, als in die »Fürsorgeanstalt« oder ins Arbeitshaus, diesen Ausspruch kann man fast täglich in den Gerichtssälen hören. Und das ist keine landläufige Redensart, sondern bitterer Ernst. Pflicht der Behörden wäre es, in dieser Beziehung schleunigst energischen Wandel zu schaffen.

      In der Nähe der rheinischen Metropole Köln befindet sich die Provinzialarbeitsanstalt Brauweiler, in der stets mehrere hundert »Korrigenden« beiderlei Geschlechts Aufnahme finden. Der Direktor Schellmann, der gleich dem Pastor Breithaupt die christliche Barmherzigkeit stets auf den Lippen hatte, schien ebenfalls noch nicht die Anschauungen des finsteren Mittelalters überwunden zu haben, sondern der Ansicht zu sein, daß man durch Prügel, Hunger und Marter aller Art die Menschen bessern könne. Eines Tages wurde einem jungen Mädchen, namens Wodtke, das Herrn Direktor Schellmann zum Zwecke der Besserung überwiesen war, »wegen Renitenz«

       eine Mundbinde

      angelegt. Dieses »Besserungsmittel« hat die Wirkung, daß es jede Luftzufuhr abschneidet und daß das zu bessernde Individuum nach kurzer Zeit ersticken muß. So erging es auch der jungen Wodtke. Dieses Mädchen hatte Elternliebe niemals kennengelernt, denn es war »unehelich« geboren. Es hatte, noch ein Kind, hart arbeiten müssen, um nicht zu verhungern. Da es ein hübsches Gesicht und eine schöne Figur hatte, wurde es frühzeitig verführt und – der Prostitution in die Arme getrieben. Nachdem es wegen Übertretung der sittenpolizeilichen Bestimmungen und wegen gewerbsmäßiger Unzucht bestraft war, wurde das Mädchen der Arbeitsanstalt Brauweiler »zwecks Besserung« überwiesen. Hier benahm sich das sonst gutmütige Mädchen gegen eine Aufseherin widerspenstig. Es wurde ihm deshalb die Mundbinde angelegt. Das junge Mädchen befürchtete, zu ersticken. Es erhob bittend ihre Hände, – die Sprache war ihr versagt – sie doch zu befreien, sie wollte ja wieder gehorsam sein. Allein ihre flehentlichen Bitten wurden nicht beachtet. Sie wurde, mit der Mundbinde angetan, in eine finstere Zelle gesperrt. Dadurch wurde es verhindert, daß selbst ein leises Wimmern nicht hörbar wurde. Als man nach einigen Stunden die Zelle öffnete, war das Mädchen tot. Dieses entsetzliche Vorkommnis führte zur Erhebung einer Anklage gegen den Direktor Schellmann und den Anstaltsarzt Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung.. Die zweite Strafkammer des Kölner Landgerichts sprach jedoch am 1. März 1895 beide Angeklagte frei. Die in Köln erscheinende sozialdemokratische »Rheinische Zeitung« brachte im Anschluß an diese Gerichtsverhandlung einen Leitartikel, in dem Direktor Schellmann der Tötung und Mißhandlung von Gefangenen beschuldigt und ihm vorgeworfen wurde, daß er gegen die ihm unterstellten Beamten seine Amtsgewalt mißbrauche. Es hieß in dem Artikel u.a. »Von seinem Vorgesetzten und von verschiedenen anderen Seiten wird Schellmann als das Ideal eines musterhaften Beamten gefeiert. Aber leider hat bis jetzt noch niemand danach gefragt, welcher Mittel sich dieser Mann bedient, um seine Triumphe zu feiern. Die Anstalt soll glänzen innen und außen, es werden dafür keine Unkosten gescheut. Arme Künstler und Arbeitskräfte sind genug zur Verfügung. Aber die armen Gefangenen werden durch die rohesten Mittel zur Arbeit angetrieben. Alte Leute von 60 und 70 Jahren werden durch Hungerleiden bis zum Umfallen, durch Schläge, durch Anlegen einer Zwangsjacke oder Handeisen zur Arbeit angetrieben. Es kann sich niemand einen Begriff machen, wie viele arme Geschöpfe durch diese Behandlung ihren frühen Tod gefunden haben. Ein Gefangener, der es wagt, gegen diesen Menschen vorzugehen, hat schon seine Hungerkur unterschrieben, die ihn ins Jenseits befördert. Der Beamte, der nur eine Miene gegen den Direktor verzieht, kann sich auch schon um andere Arbeit umsehen. Es ist nicht zuviel behauptet, daß es keinen Zuchthäusler gibt, der soviel Menschenunglück auf seinem Gewissen hat, als der Direktor dieser Besserungsanstalt«, wenn er auch überzeugt sein mag, pflichtgemäß gehandelt zu haben. Alsdann wurde dem Landesdirektor der Rheinprovinz, Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein unter anderem zum Vorwurf gemacht, er habe es an der ordnungsmäßigen Überwachung der Provinzialarbeitsanstalt zu Brauweiler fehlen lassen und habe, als er am 1. März in dem Prozeß, in dem Schellmann und Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung angeklagt waren, als Zeuge erschien, seine Aussage wissentlich so eingerichtet, daß dadurch die mangelhafte Erfüllung seiner Aufsichtspflicht verborgen blieb. Endlich wurde in dem Leitartikel behauptet: »Ein Korrigende, namens Widder, wurde, obwohl er schon halbtot war, noch in eine Zelle gebracht, woselbst er sehr bald verstorben sei.«

      Landesdirektor Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein und der Brauweiler Arbeitsanstaltsdirektor Schellmann stellten deshalb gegen den verantwortlichen Redakteur der »Rheinischen Zeitung«, den jetzigen Reichstagsabgeordneten für Köln, Adolf Hofrichter, Strafantrag wegen einfacher und verleumderischer Beleidigung. Hofrichter hatte sich deshalb vom 13. bis 20. Dezember 1895 vor der zweiten Strafkammer des Kölner Landgerichts, auf Grund der §§ 185, 186 und 187 des Strafgesetzbuches zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Reichensperger. Die Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Nacke. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Oestreich. Direktor Schellmann und Landesdirektor Dr. Klein hatten sich der Anklage als Nebenkläger angeschlossen und mit ihrer Vertretung Rechtsanwalt Gammersbach betraut.

      Der Verhandlung gegen Hofrichter ging eine gegen den früheren Aufseher, späteren Bauwächter Joh. Szaplewski voran. Dieser war wegen Sittlichkeitsvergehens,

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