Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer
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Landesrat Brandts (Düsseldorf): Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe der Aufsicht des Direktors Schellmann, ferner der des Landesdirektors, des Provinzialausschusses und endlich des Provinziallandtages. Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe speziell seinem Dezernat. Er habe die Anstalt etwa vier-bis fünfmal im Jahre revidiert.
Vors.: Geschahen diese Revisionen unvermutet?
Zeuge: Etwa zur Hälfte wohl. Bisweilen habe ich mit Direktor Schellmann etwas zu besprechen, dann schreibe ich ihm eine Karte, mit der Bitte, zu Hause zu bleiben. Wenn Schellmann am Abend die Karte bekam, dann traf ich gewöhnlich am folgenden Vormittag gegen elf Uhr in Brauweiler ein. Das Brauweiler Arbeitshaus ist derartig groß, daß, wenn ich das Haus betrete, nach einer Stunde das ganze Haus von meiner Anwesenheit Kenntnis erhalten kann. Insofern ist allerdings die Revision nicht eine vollständig unvermutete.
Verteidiger: Warum wurde deshalb die Anstalt nicht von mehreren Beamten revidiert?
Zeuge: Dazu lag bisher keine Veranlassung vor.
Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Es bestehe die Bestimmung, daß sowohl die Beamten als auch die Häuslinge berechtigt seien, sich dem revidierenden Beamten behufs Vorbringung von Beschwerden vorführen zu lassen. Dies scheinen auch die Häuslinge gewußt zu haben, denn es haben sich jedesmal 4-5 vorführen lassen. Die vorgebrachten Beschwerden waren aber geradezu lächerlicher Natur. Über Mißhandlungen, schlechte Beköstigung oder Arbeitsüberlastung seien ihm niemals Beschwerden vorgebracht worden. Er habe sich nicht nur die Beschwerdeführenden vorführen, sondern sich auch die Zellen selbst aufschließen lassen, um die Häuslinge, sowohl weibliche als auch männliche, persönlich zu befragen. Er habe endlich auch die Außenkommandos revidiert. Die Korrigenden seien auch berechtigt, nach ihrer Entlassung sich schriftlich oder mündlich bei dem Landesdirektorium zu beschweren. Während aus anderen, der Provinzialverwaltung unterstehenden Anstalten vielfach Beschwerden eingehen, sei von den Brauweiler Häuslingen nur in sehr wenigen Fällen Beschwerde geführt worden. Die Brauweiler Beamten haben sich ebenfalls niemals mit einer erheblichen Beschwerde an ihn gewandt. Auf Befragen des Staatsanwalts bekundete der Zeuge noch: Es sei richtig, daß Schellmann den gestern erwähnten Fettzusatz für die den Brauweiler Häuslingen zu verabreichenden Speisen und auch die Einführung der Mittelkost beantragt und endlich verschiedene Anträge zur Besserstellung der Beamten, wie Gewährung von freier Heizung für die in der Anstalt wohnenden Beamten an das Landesdirektorium gestellt habe.
Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Er erledige als Dezernent wohl die Arbeiten für die Brauweiler Anstalt, er halte aber über alle Einzelheiten dem Landesdirektor Vortrag und dieser müsse alles genehmigen.
Verteidiger: Seit wann ist der Herr Landesrat bei der Provinzialverwaltung beschäftigt?
Zeuge: Seit Juni 1889.
Vert.: War dem Herrn Landesrat vor dem Fall Wodtke bekannt, daß, trotz eines Ministerialreskripts von 1872, laut welchem die Anlegung des Maulkorbs oder der Mundbinde untersagt war, der Korrigendin Wodtke der Maulkorb angelegt wurde?
Zeuge: Ich vermag hierüber nichts zu bekunden, da der Fall Wodtke im Mai 1893 passierte, ich aber das Dezernat erst im November 1893 übernahm.
Vert.: Ist es möglich, Herr Landesrat, daß die beabsichtigten Revisionen durch andere Personen in der Brauweiler Anstalt bekannt geworden sind?
Zeuge: Das kann ich nicht wissen, möglich ist es ja.
Es wurde hierauf die Aussage des kommissarisch vernommenen Brauweiler Anstaltsarztes Dr. Bodet verlesen. Dieser hatte bekundet: Sobald Mißhandlungen von Häuslingen seitens der Aufseher ihm gemeldet wurden, habe er gegen die Aufseher sofort Anzeige erstattet. Epileptiker werden mit Bromkali behandelt. Die Zwangsjacke werde nur auf seine ausdrückliche Anweisung angelegt. Erst nach dem Fall Wodtke habe er von dem Ministerialreskript, wonach die Anwendung der Mundbinde sowie der Hand- und Fußfesseln untersagt sei, Kenntnis erhalten. Wegen Kostentziehung sei er niemals befragt worden. Wenn jedoch mit der Kostentziehung Arreststrafe verbunden sei, dann untersuche er vorher den Körperzustand des betreffenden Häuslings, um festzustellen, ob dieser imstande sein werde, die über ihn verhängte Strafe, ohne an seiner Gesundheit Schaden zu nehmen, auszuhalten. Es sei ihm nicht bekannt, daß krankhafte Häuslinge in eine Arrestzelle statt in das Lazarett geschafft wurden, es sei denn, daß er solche Häftlinge als Simulanten erklärt hatte. Er habe stets seine diesbezüglichen Urteile selbständig abgegeben. Er lasse sich in seine ärztlichen Gutachten oder Anordnungen nicht hineinreden, allerdings dienen ihm die Angaben des Direktors oder der Aufseher zum Teil als Grundlage. Es sei ihm nicht bekannt, daß Korrigenden wegen Kostentziehung oder Mißhandlungen gestorben seien. Die Korrigenden seien vielfach durch übermäßigen Alkoholgenuß und durch das unregelmäßige, schlechte Leben, das sie vor Einlieferung in die Anstalt gewöhnlich führen, so sehr geschwächt, daß der Tod vielfach sehr schnell eintrete. Daß mit einem Gummischlauch oder mit einem Seil in Brauweiler geschlagen worden, sei ihm nicht bekannt. Es habe niemals ein Häusler geklagt, daß ihm Löcher in den Kopf geschlagen worden seien. Der Häusling Haarhaus habe ihm allerdings einmal geklagt, daß er von dem Aufseher Machler auf den Kopf geschlagen worden sei. Machler sei auf seine (des Zeugen) Anzeige deshalb auch bestraft worden. Er habe niemals an einer Leiche Spuren von Hand- oder Fußfesseln wahrgenommen. Es sei einmal von Häuslingen und einem Werkmeister über große Kälte im Webesaale Klage geführt worden. Er habe dies dem Direktor Schellmann mitgeteilt. Infolgedessen wurde der Webesaal Tag und Nacht geheizt. Die Bekleidung der Häuslinge war eine vollständig zweckentsprechende.
Es erschien alsdann der Zeuge Dr. med. Bardenheuer. Er sei von Anfang 1888 bis April 1893 an der Anatomie in Bonn beschäftigt gewesen. Dieser Anatomie seien Leichen aus Werden, Brauweiler und anderen Anstalten eingeliefert worden. Er könne sich auf die aus Brauweiler gekommenen Leichen nicht speziell erinnern. Im allgemeinen könne er aber sagen, er habe bei keiner Leiche wahrgenommen, daß der Tod durch Kostentziehung oder Mißhandlung erfolgt sei.
Vert.: Ich verzichte auf einen weiteren Beweis nach dieser Richtung.
Auf Befragen des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalts Gammersbach, erklärte Direktor Schellmann: Die in Brauweiler Verstorbenen werden, wenn sie nicht an ansteckenden Krankheiten gestorben oder von den Angehörigen nicht reklamiert werden, sämtlich der Anatomie in Bonn überwiesen, wenn nicht gerade Universitätsferien seien.
Staatsanwalt: Wird nun behauptet, daß die wegen Kostentziehung oder Mißhandlung Verstorbenen gerade während der Universitätsferien gestorben sind?
Vert.: Es wird diesseits behauptet, daß diejenigen Leichen, bei denen der Tod durch Kostentziehung oder Mißhandlung erfolgt war, nicht nach Bonn geschafft wurden.
Vors.: Dann behaupten Sie also, daß Direktor Schellmann die Unwahrheit gesagt hat?
Vert.: Allerdings!
Der folgende Zeuge war Dr. med. Wolters. Dieser, der ebenfalls an der Anatomie in Bonn beschäftigt war, bekundete: Die Leichen, die aus Brauweiler kamen, seien zumeist sehr muskulös gewesen, so daß sie den Zwecken der anatomischen Untersuchung sehr förderlich waren.
Der dritte Arzt der Bonner Anatomie Dr. Clasen vermochte sich auf Einzelheiten nicht zu erinnern. Soweit ihm erinnerlich sei, habe der Obduktionsbefund des Brauweiler Häuslings Widder ergeben, daß