Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer
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Eine andere Korrigendin sei so schwach geworden, daß sie dreimal vor den Arzt geführt wurde. Das Mädchen sei aber erst ins Lazarett gekommen, nachdem es sich mehrere Male erbrochen hatte. Dort sei sie nach zwei Tagen gestorben.
Eine 60jährige Korrigendin sei in der Waschküche vor Schwäche zusammengebrochen. Sie sei infolgedessen mehrfach vor den Arzt geführt worden. Dieser habe sich aber geweigert, die alte Frau ins Lazarett aufzunehmen. Die Frau sei bald darauf gestorben. Es sei einmal, um Seife zu sparen, Petroleum zum Waschen verwendet worden. Infolgedessen liefen Klagen über die Wäsche ein. Darauf sagte Direktor Schellmann: Wenn noch einmal eine Klage wegen der Wäsche einläuft, dann werden den in der Waschküche beschäftigten Korrigendinnen Geldabzüge gemacht.
Direktor Schellmann: Er habe in einer Fachzeitung gelesen, daß mit einem Löffel Petroleum die Wäsche besser werde. Es sei infolgedessen einmal ein solcher Versuch gemacht worden. Es seien allerdings einige Male Klagen über die Wäsche eingelaufen. Es sei möglich, daß er infolgedessen die von der Zeugin bekundete Äußerung getan habe.
Das 19jährige Dienstmädchen Heimson bekundete: Sie habe einmal, als sie in Brauweiler war, von einer Aufseherin etwas verlangt. Da ihr dies nicht gewährt wurde, habe sie verschiedene Gegenstände zerschlagen. Daraufhin seien ihr Handschellen angelegt worden, d.h. es seien ihr mittels zweier eiserner Ringe die Hände auf den Rücken geschnallt worden. In dieser Situation habe sie von 5 Uhr nachmittags bis 10 1/2 Uhr abends verbleiben müssen. Die Handgelenke seien ihr infolgedessen angeschwollen. Außerdem habe sie einmal von dem Herrn Pastor wegen Ungehorsam ein paar Ohrfeigen erhalten. Einige Male sei sie wegen Nichterfüllung des Pensums mit Kostentziehung bestraft worden.
Tagelöhner Lindemann: Er habe mehrfach gesehen, wie Arbeiter von Aufsehern geschlagen wurden. Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach bemerkte der Zeuge, Direktor Schellmann habe das Schlagen nicht geduldet.
Schlosser Ermanns: Er sei zweimal längere Zeit in Brauweiler gewesen und sei niemals bestraft worden. Er habe einmal gesehen, wie ein Aufseher den Korrigenden Schlosser Nehrmann derartig auf den Kopf geschlagen habe, daß dieser ein großes Loch in den Kopf erhielt und ihm das Blut in heftiger Weise übers Gesicht lief. Als Nehrmann sich bei Direktor Schellmann beschwerte, erhielt er noch sieben Tage Arrest hinzu, da er sich nach den erhaltenen Schlägen dem Aufseher widersetzt hatte. Er (Zeuge) habe gesehen, daß Korrigenden Hand- und Faustschellen angelegt wurden. Eines Tages sei er mit dem Aufseher Esser bei einer »Cachotte« vorübergegangen. Aus dieser vernahm man ein heftiges Schreien. Aufseher Essert sagte: »Gebt doch dem Kerl eins über den Kopf.« Der Insasse dieser »Cachotte« sei bald darauf verstorben. Da die Leiche noch mit Fußschellen gefesselt war, wurde er von dem Meister Fürschdegen aufgefordert, der Leiche diese Schellen abzumeißeln. Er weigerte sich aber, dies zu tun, infolgedessen habe Meister Heinrich Lange mittels Hammer und Meißel die Leiche von den Fußschellen befreit.
Am dritten Verhandlungstag wurde Landesrat Klausner (Düsseldorf) als Zeuge vernommen: Er habe von 1882 bis 1890 das Dezernat über die Brauweiler Anstalt geführt. Er habe vier- bis fünfmal jährlich, und zwar stets die ganze Anstalt, revidiert. Nach geschehener Revision habe ihm Direktor Schellmann diejenigen Häuslinge in das Sprechzimmer vorgeführt, die eine Beschwerde vorzubringen hatten. Diese Beschwerden beliefen sich in den meisten Fällen auf die von der Landespolizeibehörde gegen die Häuslinge verhängte Nachhaft. Direktor Schellmann beschwerte sich fast jedesmal über die Roheiten, Frechheiten und den Zynismus der Häuslinge. Er sei allerdings niemals allein, sondern stets unter Führung des Direktors Schellmann oder eines anderen höheren Beamten der Anstalt durch letztere gegangen. Er habe aber die Häuslinge vielfach persönlich angesprochen und diese gefragt, ob sie ein Anliegen haben. Er glaube bestimmt, die Häuslinge wußten, daß ihnen das Beschwerderecht zustand. Während seines Dezernats sei niemals eine sogenannte Nachbeschwerde von entlassenen Brauweiler Häuslingen bei dem Landesdirektorium eingegangen. Direktor Schellmann habe eine Verbesserung der Kost für die Häuslinge durch einen größeren Fettzusatz, die Vermehrung des Aufsichtspersonals usw. bei dem Landesdirektorium beantragt. Es habe sich niemals ein Anhall dafür ergeben, daß der von Direktor Schellmann vorgeschlagene Etat nicht vollständig zur Ausführung gelange. Direktor Schellmann habe auch, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, eine ganz besondere Fürsorge für entlassene Häuslinge an den Tag gelegt. Beschwerden über Mißhandlungen, Überarbeitung usw. seien ihm niemals zugegangen. Er habe auch nicht wahrgenommen, daß derartige Dinge in der Anstalt vorkommen. Er habe persönlich die verschiedenen Arbeitssäle in Augenschein genommen, die Häuslinge persönlich befragt und weder jemals eine Beschwerde über Arbeitsüberlastung gehört, noch wahrgenommen, daß jemandem eine zu schwere oder zuviel Arbeit zugemutet wurde.
Vert.: Haben sich Häuslinge über Mißhandlungen von Aufsehern beklagt?
Zeuge: Nein. Vert.: Ich bemerke, daß während des Dezernats des Herrn Zeugen zwei Aufseher wegen Mißhandlung bestraft worden sind. Direktor Schellmann hat laut Akten darüber an das Landesdirektorium berichtet, diese Vorkommnisse sind doch mithin dem Zeugen amtlich bekannt geworden?
Zeuge: Darauf erinnere ich mich jetzt, ich wiederhole aber, daß mir Beschwerden von Häuslingen über ihnen von Aufsehern zugefügte Mißhandlungen nicht zugegangen sind.
Angekl. Hofrichter: War dem Herrn Landesrat das Ministerialreskript vom 20. März 1871 bekannt, wonach die Anwendung der Mundbinde verboten ist?
Zeuge: Nein, dies Ministerialreskript war mir nicht bekannt.
Angekl.: Dann frage ich den Herrn Landesrat, in welcher Weise ihm seine amtlichen Pflichten bei Übernahme des Dezernats bekanntgemacht wurden?
Zeuge: Es wurde mir die Hausordnung, die Generel- und Personalakten der Anstalt usw. vorgelegt.
Auf Befragen des Staatsanwaltes sagte der Zeuge noch: In staatlichen Anstalten wird meines Wissens nach die Mundbinde heute noch angewendet, daraus geht doch hervor, daß das erwähnte Ministerialreskript noch sehr wenig bekannt ist.
Der Vorsitzende verlas hierauf einen Teil der freisprechenden Erkenntnisse gegen Schellmann und Dr. Bodet vom 1. März 1895. Daraus ging hervor, daß im Jahre 1873 die Kgl. Strafanstalt zu Aachen das Direktorium in Brauweiler um Übersendung des Modells der Mundbinde ersuchte. Das Brauweiler Direktorium lehnte jedoch dieses Gesuch, mit dem Hinweis auf das erwähnte Ministerialreskript, ab. Nach dieser Zeit sei aber das Ministerialreskript weder in Brauweiler noch bei der Düsseldorfer Provinzialverwaltung bekannt gewesen. Erst im Frühjahr dieses Jahres sei das Reskript bei dem Oberpräsidium zu Koblenz aufgefunden worden.
Vert.: Wie werden wohl Ministerialreskripte, Regierungsverfügung usw. den Aufsichtsbeamten bekanntgemacht?
Zeuge: Ob letzteres geschieht, weiß ich nicht, jedenfalls werden alle Ministerialreskripte den der Provinzialverwaltung unterstehenden Anstalten abschriftlich mitgeteilt.
Direktor Schellmann bekundete darauf als Zeuge: Der Häusling Widdor sei im Januar d.J. von einem Polizeibeamten aus Stolberg eingeliefert worden. Der Polizeibeamte habe ihm, unter Übergabe des gerichtlichen Urteils, wonach Widdor wegen Arbeitsscheu, Vernachlässigung seiner Familie usw. zur Unterbringung in eine Besserungsanstalt verurteilt war, mitgeteilt, daß Widdor Simulant sei. Er sei zunächst zwei Tage in eine Beobachtungszelle gebracht und vom Anstaltsarzte Dr. Bodel untersucht worden. Da letzterer ihn für gesund und arbeitsfähig erklärte, wurde er zur Arbeit kommandiert. Er habe sich aber