Anwendbares Recht beim grenzüberschreitenden Warenkauf. Patrick Boll
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Die bei Geltung des BGB i.S.d. § 133 BGB geregelte Auslegung von Willenserklärungen stellt auf die Erforschung des wirklichen Willens ab. Dem entspricht insoweit Art. 8 I Hs. 1 CISG. Auf Basis dieses Grundsatzes hat die Rechtsprechung ergänzende Auslegungsregeln entwickelt. So ist der wirkliche Wille dann für die Auslegung maßgeblich, wenn er von den Beteiligten übereinstimmend verstanden wurde.57 Dies entspricht im Grundsatz der Bedeutung des Art. 8 I CISG.
Ist von einem übereinstimmenden Verständnis hinsichtlich des wirklichen Willens nicht auszugehen, ist in Bezug auf die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach gefestigter Rechtsprechung auf den objektiv erklärten Willen, unbeachtlich des unerklärt gebliebenen Willens, in dem Maße abzustellen, in dem er für den Erklärungsempfänger erkennbar war und wie dieser ihn nach Treu und Glauben sowie der Verkehrsanschauung verstehen musste.58 Dies deckt sich im Grundsatz mit Art. 8 II CISG. Die i.S.d. Art. 8 III CISG normierte Berücksichtigung erheblicher Umstände entspricht höchstrichterlicher deutscher Rechtsprechung.59
Ein Inhalts- oder Erklärungsirrtum unterliegt i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a CISG dem gemäß IPR anzuwendenden nationalen Recht.60 Ist das unvereinheitlichte deutsche Recht anzuwenden, ergibt sich ein Anfechtungsanspruch i.S.d. § 119 I BGB.
II. Handelsbräuche und Gepflogenheiten
Art. 9 I Var. 1 CISG bestimmt die Bindung der Parteien an ihre individuell vereinbarten Gebräuche. Abzustellen ist hierbei auf den ausdrücklichen oder stillschweigenden Willen der Parteien zur Geltung eines Gebrauchs,61 worin sich die Nähe zu Art. 8 CISG widerspiegelt.62 Dem Prinzip der Privatautonomie i.S.d. Art. 6 CISG folgend, haben entsprechende Gebräuche Vorrang vor den Vorschriften des CISG.63 Darüber hinaus statuiert Art. 9 II CISG unter dem Vorbehalt einer anderslautenden Vereinbarung die Vermutung, dass vertrags- und branchenspezifisch weithin bekannte und regelmäßig beachtete Gebräuche unabhängig vom konkreten Parteiwillen stillschweigend in den Vertrag einbezogen werden. Eingeschränkt wird dies insoweit, dass die Parteien die jeweiligen Gebräuche kannten oder kennen mussten. Abzustellen ist hierbei auf einen direkten Bezug der jeweiligen Partei zum Verbreitungsgebiet des betreffenden Brauchs.64
Bei Geltung des unvereinheitlichten deutschen Rechts normiert § 346 HGB obligatorisch die Rücksichtnahme auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche. Auf ein Kennenmüssen kommt es nicht an.65 Ähnlich Art. 9 II CISG setzt das Bestehen eines Handelsbrauchs auch hier die tatsächliche Übung im entsprechenden Verkehrskreis voraus, welcher branchenbezogen oder örtlich begrenzt sein kann.66 Rechtsverbindlichkeit erlangen Handelsbräuche allerdings nur bei vertraglicher Vereinbarung.67 Indessen kann die Geltung eines Handelsbrauchs auch ausgeschlossen oder abweichend vereinbart werden.68
Art. 9 I Var. 2 CISG bestimmt die Bindung der Parteien an die zwischen ihnen entstandenen Gepflogenheiten. Die Norm spiegelt den Grundsatz von Treu und Glauben wider69 und findet eine Entsprechung im unvereinheitlichten deutschen Recht. So ergibt sich für die Parteien im Geltungsbereich des HGB aus dem Bestehen einer Geschäftsverbindung eine Sonderverbindung, aus der ebenso Gepflogenheiten und entsprechende Treuepflichten i.S.d. § 242 BGB resultieren.70
§ 346 HGB bezieht sich ausdrücklich auf Kaufleute, während die Kaufmannseigenschaft i.S.d. Art. 9 CISG i.V.m. Art. 1 III CISG nicht voraus gesetzt wird.
III. Form
Für das CISG gilt der i.S.d. Art. 11 CISG normierte Grundsatz der Formfreiheit.71 Explizit bezieht sich dieser i.S.d. Art. 11 S. 1 CISG auf den Abschluss und den Nachweis des Kaufvertrags und schließt damit alle entsprechenden Erklärungen wie Angebot, Annahme, Rücknahme und Widerruf ein. Art. 11 S. 2 CISG ergänzt diesen Grundsatz bezüglich der prozessrechtlichen Zulässigkeit jeglicher Beweismittel.72 Obgleich sich die Vorschrift ausdrücklich auf den Kaufvertrag bezieht, gilt dieser Grundsatz der Formfreiheit i.S.d. Art. 7 II CISG für alle Erklärungen der Parteien, welche dem CISG unterfallen.73 Bei Geltung des unvereinheitlichten deutschen Rechts gilt für den Abschluss des Kaufvertrags ebenso der Grundsatz der Formfreiheit.74 Die Beweisaufnahme bezüglich eines fraglichen Abschlusses bestimmt sich i.S.d. § 284 ZPO. Ohne Einverständnis der Parteien i.S.d. § 284 S. 2 ZPO kommen als Beweismittel Augenschein i.S.d. §§ 371 ff. ZPO, Zeugen i.S.d. §§ 373 ff. ZPO, Sachverständige i.S.d. §§ 402 ff. ZPO, Urkunden i.S.d. §§ 415 ff. ZPO und Parteivernehmung i.S.d. §§ 445 ff. ZPO in Betracht.75
Bezüglich der Form bestehen insoweit keine vorliegend relevanten Unterschiede.
Allerdings bestimmt der nicht dispositive Art. 12 CISG, dass entgegen Art. 11 CISG eine andere als die schriftliche Form nicht gestattet ist, wenn sich die Niederlassung i.S.d. Art. 10 CISG einer Partei in einem Vertragsstaat befindet, welcher den Vorbehalt i.S.d. Art. 96 CISG erklärt hat. Vorliegend beachtlich haben aktuell weder China noch Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt erklärt.76
D. Abschluss des Vertrages
Die Regelungen des CISG über den Abschluss des Vertrages und damit über Angebot und Annahme bestimmen sich i.S.d. Art. 14-24 CISG (Teil II).
I. Angebot
Bei Geltung des CISG werden die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Angebots i.S.d. Art. 14 I CISG geregelt. Ein Angebot liegt insoweit dann vor, wenn ein die essentialia negotii i.S.d. Art. 14 I S. 2 CISG beinhaltender sowie den Bindungswillen des Anbietenden ausdrückender Vorschlag zum Vertragsschluss an eine oder mehrere Personen gerichtet wird. Neben der Bestimmtheit der wesentlichen Vertragsbestandteile muss für den Empfänger des Vorschlags der Bindungswille erkennbar sein. Bei dessen Feststellung ist die objektive Erklärungsbedeutung aus Sicht eines objektiven Empfängers i.S.d. Art. 8 CISG maßgeblich.77 Dabei ist die Bestimmtheit des Vorschlags von Bedeutung.78
Die korrespondierende Vorschrift des BGB ist knapper gehalten. Der Antrag auf Vertragsschließung i.S.d. § 145 BGB erfordert jedoch in Bezug auf einen Kaufvertrag ebenso die Erkennbarkeit der wesentlichen Vertragsbestandteile.79
Hinsichtlich der Bindung an ein Angebot sowie der Rücknahme- und Widerrufsmöglichkeiten bestehen hingegen Unterschiede zwischen CISG und unvereinheitlichtem deutschen Recht. Hierfür ist das Wirksamwerden des Angebots beachtlich, weshalb darauf zunächst eingegangen wird.
Ein grundsätzlicher Unterschied besteht bezüglich des Zeitpunktes des Zugangs und damit des Wirksamwerdens von Willenserklärungen gegenüber Abwesenden zwischen den Regelungen des Teils II des CISG und des BGB. Art. 24 CISG stellt hierfür auf die Zustellung und somit das Gelangen in den Machtbereich ab, während es i.S.d. § 130 I S. 1 BGB der Möglichkeit der Kenntnisnahme bedarf.80
I.S.d. Art. 15 I CISG wird ein Angebot wirksam, sobald es dem Empfänger zugeht. Dies geschieht i.S.d. Art. 24 CISG mündlich oder durch Zustellung. Eingeschlossen werden von Art. 24 CISG auch Erklärungen durch Verhalten.81
Bei Geltung des BGB beurteilt sich das Wirksamwerden eines Angebots nach der allgemeinen Vorschrift für Willenserklärungen i.S.d. § 130 I S. 1 BGB und damit nach dem Zeitpunkt des Zugangs. Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut auf Erklärungen gegenüber Abwesenden. Nach deutscher Rechtsprechung ist der Zugang einer Willenserklärung dann gegeben, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr unter gewöhnlichen Umständen Kenntnis gelangen kann.82 Eine verkörperte Willenserklärung gegenüber einem Anwesenden geht daher analog regelmäßig durch Übergabe zu,83 eine nicht verkörperte Willenserklärung bei unmittelbarer sinnlicher