Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
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c) Effektiver Rechtsschutz und Formalisierung
7.25
Nach dem Grundsatz der Formalisierung der Vollstreckung (Rn. 6.53 ff.) ist den Vollstreckungsorganen eine materielle Würdigung des Titels grundsätzlich verwehrt: sie können weder seine inhaltliche Richtigkeit noch seine Vollstreckungswürdigkeit überprüfen. Der Grundsatz der Formalisierung folgt weithin aus der prozessualen Institution der Rechtskraft, die ihrerseits als Bestandteil eines effektiven rechtsstaatlichen Verfahrens verfassungsrechtlich gewährleistet ist[40]. Soweit Vollstreckungsorganen bei „rechtsmissbräuchlicher Vollstreckung“ (Rn. 6.57) oder „materiellrechtlicher Evidenzkontrolle“ (Rn. 6.59) eine Befugnis eingeräumt würde, über das „Ob“ des Titelvollzuges neu zu entscheiden, wäre die – Rechtssicherheit umfassende – Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzverfahrens verletzt, die hier schuldnerische Schutzpositionen überwiegt[41]. Die Position des Schuldners ist gewahrt, wenn er nach den Regeln eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens von den Vollstreckungsorganen auf mögliche Rechtsbehelfe gegen den Titel hingewiesen wird (§§ 767, 578 ff. etc.). Hingegen könnte der Formalisierungsgrundsatz beim „Wie“ der Vollstreckung Einschränkungen erleiden, die verfassungsrechtlich völlig unbedenklich wären (z.B. weiteres Handlungsermessen der Vollstreckungsorgane, materielle Erfüllungskontrolle, Überprüfung von materiellen Rechten Dritter etc.).
4. Numerus clausus der Vollstreckungsarten und formgebundene Verwertung im Lichte des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes
7.26
Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt der Vorbehalt des Gesetzes bei hoheitlichen Eingriffen in Freiheit und Eigentum. Im vollstreckungsrechtlichen Eingriffsverhältnis (Rn. 5.12 ff.) steht der Vollstreckungsschuldner dem hoheitlich handelnden Staat gegenüber, der bei seinen Eingriffen die rechtsstaatlichen Regeln hoheitlichen Handelns beachten muss. Daraus folgt, dass Voraussetzungen und Modalitäten der Vollstreckung gesetzlich geregelt sein müssen. Die Vollstreckungsorgane sind an die gesetzlich festgelegten Vollstreckungsarten gebunden, sie können nicht neue Formen der Vollstreckung ersinnen und anwenden. Der numerus clausus der Vollstreckungsarten (Rn. 6.64) ist folglich zwar nicht in seiner konkreten Gestalt, aber doch als vollstreckungsrechtliches Grundmuster verfassungsrechtlich gewährleistet. Die Annahme einer Mitwirkungspflicht des Schuldners bei der Geldvollstreckung durch den BGH, die ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung die Naturalvollstreckung durch Zwangshaft (§ 888) eröffnet[42], ist auch vor diesem Hintergrund mehr als fragwürdig und letztlich kaum haltbar, zumal die Zwangshaft in dieser Form an die rechtshistorisch überwundene Schuldhaft deutlich erinnert (Rn. 3.17, 3.27).
7.27
Allerdings wäre ein Ermessen des Vollstreckungsorgans, zwischen verschiedenen Vollstreckungsarten zu wählen, mit der Verfassung vereinbar, soweit die Voraussetzungen der Ermessensübung ausreichend bestimmt blieben. Zentrale Vollstreckungsleitung mit Auswahlbefugnissen des Vollstreckungsorgans (Beispiel: Schweiz, Rn. 59.128) wäre also verfassungsrechtlich zulässig; ob rechtspolitisch klug, ist eine andere Frage (Rn. 6.47 ff.).
7.28
Der Grundsatz formgebundener Verwertung (Rn. 6.71) bindet die Vollstreckungsorgane nicht nur beim Zugriff, sondern auch bei der Liquidation an feste Regeln. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt zwar keine bestimmte Form der Verwertung (wie z.B. die Versteigerung), aber er zwingt doch zu einer genaueren Regelung der Voraussetzungen und Modalitäten einer Verwertung. Der Gesetzgeber könnte Beginn und Art der Verwertung nicht in das Belieben eines vollstreckungsrechtlichen Organwalters stellen. Insoweit ist ein Grundbestand formalisierender Vorschriften bei der Verwertung Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes.
a) Gehör des Schuldners
7.29
Es ist an anderer Stelle bereits dargelegt, dass das deutsche Vollstreckungsrecht den Grundsatz des einseitigen Verfahrens verwirklicht: im Allgemeinen wird bloß nachträgliches Gehör gewährt, vorheriges Gehör nur bei „irregulärem“ Verfahrensablauf (Rn. 6.26 ff.) und in besonderen Fällen.
7.30
Die verfassungsrechtliche Beurteilung einfachen Vollstreckungsrechts hat zunächst einmal zu beachten, dass Art. 103 Abs. 1 GG nur für Verfahren mit gerichtlichem Erkenntnischarakter volle Wirkung entfaltet. Das Verfahren der Vollstreckungsorgane gleicht im Regelfalle eher dem Verwaltungsverfahren (Rn. 2.1 ff.). Aus Art. 1, 2 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgt allerdings auch im Verwaltungsverfahren die grundsätzliche verfassungsrechtliche Gewährleistung der Anhörung, Beteiligung und Information des Bürgers (vgl. §§ 28, 29 VwVfG), die jedoch im Ergebnis eine elastischere Handhabung erlaubt als im gerichtlichen Erkenntnisverfahren, weil Art. 19 Abs. 4 GG die gerichtliche Kontrolle mit vollem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) garantiert. Das Vollstreckungsverfahren kann effektiver gestaltet werden, wenn der konkrete Vollstreckungszugriff nicht vorheriger Erörterung, sondern nur nachträglicher Kontrolle unterliegt. Die grundsätzliche Einseitigkeit des Verfahrens ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit nachträgliches Gehör gewährleistet und bei Sondereingriffen präventives Gehör zugestanden bleibt. Wenn besonders wichtige Eingriffe richterlichen Entscheidungen mit Erkenntnischarakter vorbehalten sind (z.B. §§ 758a i.d.F. der 2. Zwangsvollstreckungsnovelle 1999, 887 ff., 891), so gilt Art. 103 Abs. 1 GG unmittelbar. Selbst Art. 103 Abs. 1 GG garantiert indessen kein vorheriges Gehör, wenn die effektive Verfahrensgestaltung nur nachträgliches Gehör erlaubt[43]. Das deutsche Vollstreckungsrecht ist vor diesen Maßstäben insoweit verfassungsgemäß und in seinen Grundstrukturen verfassungsfest. Die Ausdehnung der Gehörsrüge (§