Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
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1. Grundsatz der Sicherheitsleistung
15.2
Grundsätzlich wird jedes zivilgerichtliche Urteil von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt[1], und zwar entweder nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers (so der Regelfall des § 709 S. 1) oder ohne Sicherheitsleistung (so die Fälle des § 708).
Der Grundgedanke dieser Regelung ist leicht verständlich: Die vorläufige Vollstreckbarkeit soll dem Gläubiger einen raschen Zwangszugriff auf das Vermögen des Schuldners gestatten. Da aber auch diese Zwangsvollstreckung zu einer Befriedigung des Gläubigers führt (s. Rn. 15.39), liegt darin eine erhebliche Gefährdung des Schuldners. Der Gläubiger soll daher auf alle Fälle das Risiko der Zwangsvollstreckung tragen, wenn später das Urteil in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben wird (§ 717 Abs. 2 und 3) und regelmäßig dem Schuldner für dessen etwaigen Schadensersatzanspruch von vornherein Sicherheit leisten (§ 709 S. 1). Die vorherige Sicherheitsleistung des Gläubigers entfällt – aus verschiedenen Gründen – in den Fällen des § 708.
2. Vorläufig vollstreckbare Titel
15.3
Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit kommt grundsätzlich nur bei Urteilen in Betracht, und auch dort nur bei solchen, die noch nicht rechtskräftig sind.
a) Urteile
15.4
Dass Urteile, die mit der Verkündung sofort rechtskräftig werden, also Urteile des BGH, keiner vorläufigen Vollstreckbarerklärung bedürfen, versteht sich von selbst (s.a. Rn. 14.1, 14.6). Diese Urteile sind ja – weil rechtskräftig – endgültig vollstreckbar. Auch Urteile bzw. Entscheidungen, die ihrer Natur nach ohne Rechtskraft vollstreckbar sind, müssen nicht besonders für vollstreckbar erklärt werden; hierher gehören Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes (Rn. 15.20, 51.36, 52.5).
b) Sonstige Vollstreckungstitel (§ 794)
15.5
Ebenso sind die sonstigen in § 794 aufgezählten Vollstreckungstitel regelmäßig ohne weiteres vollstreckbar. Eine Ausnahme gilt für Beschlüsse, die Schiedssprüche oder Vergleiche in Form eines Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut für vollstreckbar erklären (§§ 794 Abs. 1 Nr. 4a, 1060, 1053); diese Beschlüsse sind deshalb für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 1064 Abs. 2). Keiner vorläufigen Vollstreckbarerklärung bedürfen dagegen nunmehr Beschlüsse, die Anwaltsvergleiche für vollstreckbar erklären (§§ 794 Abs. 1 Nr. 4b, 796b, 796c), denn diese Entscheidungen sind seit In-Kraft-Treten des Schiedsverfahrensneuregelungsgesetzes nicht mehr anfechtbar (§§ 796b Abs. 2 S. 3, 796c Abs. 1 S. 2)[2].
c) Ehe- und Kindschaftssachen
15.6
Die Vollstreckung von Entscheidungen in Ehe- und Kindschaftssachen ist inzwischen Gegenstand des weitgehend verselbständigten Einzelvollstreckungsrechts des FamFG, das nur mit erheblichen Einschränkungen auf das Zwangsvollstreckungsrecht der Zivilprozessordnung verweist (§§ 86 ff. FamFG). Das früher geltende Verbot der vorläufigen Vollstreckbarkeit bei Urteilen in Ehe- und Kindschaftssachen (§ 704 Abs. 2 a.F.) hat sich deshalb praktisch weithin erledigt[3].
d) Vorläufige Vollstreckbarkeit und Vollstreckbarkeit im weiteren und engeren Sinne
15.7
Im Übrigen ist der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht davon abhängig, dass das Urteil im engeren Sinn vollstreckbar ist, d.h. dass es einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Es sind daher auch Feststellungsurteile, Gestaltungsurteile[4] und klagabweisende Urteile für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Denn mindestens im Kostenpunkt ist auch bei diesen Urteilen eine Zwangsvollstreckung möglich und gegebenenfalls erforderlich. Aufhebende und zurückverweisende Urteile sind ebenfalls für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nicht rechtskräftig sind[5].
3. Anordnung von Amts wegen
15.8
Die vorläufige Vollstreckbarkeit muss in Urteilen ausdrücklich – und zwar von Amts wegen, also ohne besondere Initiative des Klägers – angeordnet werden.
In der Arbeitsgerichtsbarkeit sind nicht rechtskräftige Urteile bereits von Gesetzes wegen vorläufig vollstreckbar, soweit sie nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmen (§§ 62 Abs. 1, 64 Abs. 7 ArbGG)[6].
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit bildet demnach einen Bestandteil des Erkenntnisverfahrens und nicht – wie die Stellung der einschlägigen Vorschriften im Gesetz anzudeuten scheint – eine Entscheidung innerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens. Hat das Prozessgericht eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit versäumt, so ist ein Ergänzungsurteil zu erlassen[7].
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit kann von beiden Parteien isoliert mit der Berufung[8], nicht dagegen mit der Revision (§ 718 Abs. 2) angefochten werden. Ist die Entscheidung erster Instanz sowohl in der Hauptsache wie bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit angefochten, dann kann jede Partei verlangen, dass über die vorläufige Vollstreckbarkeit vorab verhandelt und entschieden werde (§ 718 Abs. 1)[9]. Das Urteil ist ein Teilurteil, kein Zwischenurteil[10]. Die Pflicht zur Vorabentscheidung besteht nicht, wenn in der Berufungsinstanz erstmalig ein Antrag in Bezug auf die vorläufige Vollstreckbarkeit gestellt wird[11], weil sonst § 714 umgangen wäre (Rn. 15.25).
II. Die Sicherheitsleistung im Einzelnen
15.9
Es ist nun geklärt, dass jedes nicht rechtskräftige Urteil von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist. Die nächste Frage lautet: Ist die vorläufige Vollstreckbarkeit nur unter der Voraussetzung auszusprechen, dass der Gläubiger dem Schuldner für den – möglicherweise ungerechtfertigten – Vollstreckungsbetrieb Sicherheit leistet oder kann der Gläubiger ohne eine Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung betreiben?