Kreuz und Rose. Anna-Katharina Dehmelt
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Die Begriffe werden in Bewegung gebracht, in dem sie durch Traum, Schlaf und Tod unterschiedliche Verhältnisse zueinander eingehen, und sie offenbaren dabei andere Aspekte als bei ihrer Eingliederung in den wachen Erdenmenschen. Was den wachen Erdenmenschen bildet, reicht weiter, als der erste Blick es vermuten lässt. Die Begriffe sind offen für den Kosmos, sind offen für ein Menschenwesen, das mit dem Weltganzen in Verbindung steht.
Das zu entdecken erfordert eine innere Aktivität, erfordert, der Begriffsbildung wirklich zu folgen. Das ist mehr, als dem puren Inhalt zu folgen und sich erzählen zu lassen, was nach dem Tode geschieht. Die mitdenkende Aktivität nimmt nicht nur die Erzählung hin, sondern folgt der Bewegung der Begriffe und taucht dadurch begriffsbildend ein Stück weit in die Wirklichkeit ein, von der die Rede ist.
Ein probates Mittel, um in diesem Sinne die Bewegung der Begriffe mitzuvollziehen, ist das Referieren des Textes aus eigener Kraft. Zunächst wird es wenig sein, was man von einem Kapitel, einem längeren oder kürzeren Absatz referieren kann. Aber jeder Versuch steigert die Aufmerksamkeit, und beim nächsten wird es schon besser gehen. Man wird bemerken, dass sich der Text kaum dem Gedächtnis, wohl aber dem Mitdenken fügt. Dass man hier und da Zusammenhänge entdeckt. Dass den anfänglichen Zusammenhängen, dem ersten Verstehen zu folgen fruchtbarer ist als dem Nicht-Verstehen, und dass es wichtig ist, Fragen offen zu halten statt sie rasch zu beantworten. Und man wird bemerken, wie immer genaueres Referieren immer tiefere Seelenschichten beteiligt. Die Wirklichkeit, von der die Rede ist, liegt in den Tiefen meiner Seele. Und die Begriffe sind so geformt, dass ihr Mitdenken diese tieferen Seelenschichten beteiligt, aktiviert, freilegt. Ich kann bemerken, wie in meinem Inneren beim Referieren leise etwas in Resonanz gerät, von dessen Existenz ich kaum etwas wusste, das aber durch stetige Pflege immer präziser erlebbar wird.
«Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf. Es ist richtig, daß dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, daß, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, daß man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben.»12
Das Studium der Geheimwissenschaft als Bewusstseinsentwicklung
Im Kapitel ‹Schlaf und Tod› wird durch das Mitdenken zunächst der Wesensbereich in mir angeregt, in dem die Imagination wurzelt. Mit ihr reiche ich schon ein Stück weit ins Leben zwischen Tod und neuer Geburt hinein. Das lebendige Denken, das Begriffe von Geistigem miteinander in Bewegung bringt, deren innerer Zusammenhang sich nur innerlich offenbart – das ist eine erste imaginative Tätigkeit.
Noch mehr verlangt das Kapitel von der Weltentwicklung. Auch hier ist das referierende Mitdenken ein guter Einstieg, aber es reicht nicht. In ‹Schlaf und Tod› waren die Verhältnisse noch so, dass ich mich am Zeitablauf und der Rückseitigkeit zur Konfiguration der Wesensglieder im Alltagsmenschen quasi festhalten konnte, ich hatte eine innere Orientierung, die aus der Ähnlichkeit mit meinen alltäglichen Erfahrungen resultierte. Auf dem Alten Saturn werde ich nun in eine Welt gestellt, die mit der mir bekannten nur noch die Wärme gemeinsam hat. Ansonsten habe ich nichts, woran ich mich festhalten könnte. Stattdessen kommt mir eine Komplexität von Beziehungen, von Andeutungen, Prozessen, Wesenheiten entgegen, deren Fülle und Wirklichkeitsgehalt ich vielleicht ahne, doch kaum halten kann. Das ist ein Merkmal inspirativer Erfahrung. Ein Halten, Einprägen und Verbinden mit der Komplexität des Beschriebenen wird eigentlich nur möglich, indem ich Fragen stelle an den Text, selber setze, welche Aspekte der Komplexität ich verfolgen möchte. Ist es die Verdichtung von Wärme über Luft zu Wasser bis hin zum Festen? Ist es das Zunehmen von Differenzierung, das durch Spiegelung, Zurückbleiben und Absonderung immer facettenreicher wird, das reichste Vielfalt bei gleichzeitiger innerer Einheit ermöglicht? Ist es das Entstehen von Fortpflanzung, also der Trennung zwischen geistiger und physischer Entwicklung, die von Zustand zu Zustand immer stärker wird, oder die Entstehung der Sinne, die schließlich unser Gegenstandsbewusstsein ermöglichen, aber schon auf dem Saturn angelegt werden? Verfolge ich die sich wandelnde Funktion der Pralayas? Versuche ich, aus einem Begriff, etwa dem der Spiegelung oder der Wärme, den ganzen Saturn zu entwickeln? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, aber eine der vielen Möglichkeiten zu wählen, das scheint mir der Schlüssel für diese Stufe der Gedankenbildung zu sein. Denn nur meine eigene Frage verleiht mir Halt in einer geistigen Wirklichkeit, die doch in den Gedankenformen Steiners so gegenwärtig ist, dass sie mich erschlägt, wenn ich mich ihr gegenüber nicht aufrechterhalten kann – sofern sie nicht einfach an mir vorbeizieht, weil ich mich ihrer Kraft lieber gar nicht erst aussetzen möchte.
Gelingt es aber, in dieser Komplexität wach zu bleiben, so bemerkt man nicht nur, wie verschiedene Bereiche zusammenwachsen, sondern wie ich eintauche in eine in den Gedanken wirkende Wirklichkeit, die mir das Weltensein in ganz neuer Weise erschließt. Diese Erfahrung wird leicht verfehlt. Zu groß ist die Verführung, sich unter dem Alten Saturn etwas vorstellen zu wollen, was irgendwie meinem Erfahrungsschatz ähnlich wäre. Wenigstens möchte ich doch wissen, wie es auf dem Alten Saturn ausgesehen hat oder mit welcher geologischen Epoche Lemuris und Atlantis zusammenfallen. Aber dieses Bedürfnis nach alltäglicher Vorstellbarkeit bedient Rudolf Steiner in der Geheimwissenschaft nicht. Wie prall waren doch die Schilderungen in den Aufsätzen Aus der Akasha-Chronik, wo von den Flugzeugen der Atlantier, von anschaulichen Tier- oder Menschenformen die Rede war. Und mit dem klaren Aufbau von Bewusstsein, Leben und Form hatte man in den 7 x 7 x 7-Gliederungen doch immer eine deutliche Orientierung. In der Geheimwissenschaft wird die systematische Orientierung verwischt, wird nicht eine Schilderung zu solch praller Anschaulichkeit geführt. Immer ist die Schilderung so, dass ich selber sie verdichten und in Zusammenhänge rücken muss. Dann aber wachse ich mit dieser Schilderung hinein in die Wirklichkeit, von der die Rede ist, nicht im Sinne von Begriffen, die von einer äußeren Wirklichkeit abgezogen sind, sondern so, dass ich in den Gedankenbildungen die Wirklichkeit dessen erlebe, wovon die Rede ist. Im Studium des Weltentwicklungskapitels wachse ich tatsächlich mit der geistigen Welt zusammen. Ich erlebe die innere Einheit in aller Differenzierung, ich erfahre die Schöpfungskraft der Hierarchien und ihre unendliche Bereitschaft, alles zu tun, damit der Mensch ein freies Wesen werden kann und zugleich doch ein Glied der geistigen Welt zu bleiben vermag. Ich erlebe, dass die Welt der ausgebreitete Mensch ist und ich als Mensch in dieser Welt als ihr Mittelpunkt, als ihr Vegetationskegel stehe. Das wird Erfahrung. Aber es setzt diese innere Gedankenarbeit und die Setzung eigener Fragestellungen voraus. Sonst bleibt es dogmatisierbares Wissen.
Bild wird Kraft
Steiner beschreibt diese Wirksamkeit der Gedanken mit einem Bild am Ende des Kapitels ‹Schlaf und Tod› mit Bezug auf den inneren Umgang mit dem Reinkarnationsgedanken:
«Zwei Menschen – so wolle man annehmen – bekämen eine Siegellackstange in die Hand. Der eine stelle intellektuelle Betrachtungen an über die «innere Natur» der Stange. Diese Betrachtungen mögen sehr klug sein; wenn sich diese «innere Natur» durch nichts zeigt, mag ihm ruhig jemand erwidern: das sei Träumerei. Der andere aber reibt den Siegellack mit einem Tuchlappen, und er zeigt dann, daß die Stange kleine Körperchen anzieht. Es ist ein gewichtiger Unterschied zwischen den Gedanken, die durch des ersten Menschen Kopf gegangen sind und ihn zu den Betrachtungen