Kreuz und Rose. Anna-Katharina Dehmelt

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Kreuz und Rose - Anna-Katharina Dehmelt

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Die Freiheit von den Anhaftungen soll zur Freiheit für eine Aufgabe werden.

      Aber der Übergang von der unwillkürlichen Anhaftung zur frei ergriffenen Aufgabe ist heikel. Allzu leicht leben sich doch immer wieder nur die alten Anhaftungen in den angeblich neu ergriffenen Aufgaben aus. Wir leben andauernd auf dem schmalen Spalt zwischen Anhaftung und frei ergriffener Aufgabe. In der Rückschau-Übung übt sich das Ich darin, sich von den alten Anhaftungen unabhängig zu machen, indem es sie rückwärts anschaut. Dadurch behält es sie im Blick und löst doch gleichzeitig die Identifikation. Es gibt sie frei, um sich in einem neuen, lichtvolleren Zusammenhang neu zu konstituieren.

      Gegenseitige Bereicherung

      Das anthroposophische Konzept von Meditation ist komplex, gerade durch seine Sinnorientierung. Je besser ich die östlichen Methoden der Meditation kennenlerne, desto mehr scheint es mir, dass sie für den anthroposophisch Meditierenden eine gute Voraussetzung, ja vielleicht sogar eine Bedingung für gelingendes Meditieren sind. Die buddhistische Achtsamkeit verkörpert das Stadium zwischen vorgegebenen Sinnkonzepten und neuem sinnstiftenden Zugreifen, dem sich dann die anthroposophische Meditation zuwendet. Es erscheint mir sinnvoll, sich auf dieser Schwelle zwischen der gewordenen Welt und der strömenden Sinnhaftigkeit der geistigen Welt halten zu können: alte Anhaftungen und Sinnkonzepte abstreifend, ohne gleich wieder eine neue Verbindung eingehen zu müssen. Denn greife ich zu schnell zum Sinn, etwa weil ich das Zwischenstadium nicht aushalte, ist damit nur wieder eine neue, verfeinerte Form des Egoismus gegeben. Sich halten zu können auf der Schwelle zwischen Anhaftung und neuer Sinnstiftung scheint mir eine gute Voraussetzung für sinnstiftende anthroposophische Meditation zu sein.

      1 Siehe Michael von Brück: Zen – Geschichte und Praxis, München 2007.

      2 Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß (GA 13), Dornach 1989, S. 66.

      3 Dies wurde als kleine angeleitete Meditation auf das Wort «Ich bin» während des Vortrages auch durchgeführt.

      4 Diese Übung ist als «Erste Nebenübung» bekannt und im Anhang wiedergegeben.

      5 Die Übungen mit dem sogenannten «versatilen Dreieck» oder der «Rot-Grün-Vertauschung» sind ebenfalls im Anhang wiedergegeben.

      6 Vortrag vom 20. April 1923, S. 94 in Rudolf Steiner: Was wollte das Goetheanum und was soll die Anthroposophie? (GA 84), Dornach 1986.

      7 Die Geheimwissenschaft im Umriß (GA 13), S. 70.

      8 Siehe dazu ausführlich das Kapitel ‹Alles in der Welt ist bewusst› in diesem Buch, S. 183ff.

      9 An diese halten wir uns hier, denn nur sie sind unabhängig von einer Lehrerpersönlichkeit, die Steiner ja auch war. Alle persönlich gegebenen Meditationen haben einen menschlichen Zusammenhang, der heute kaum noch zu rekonstruieren ist.

      10 Diese drei Meditationen sind im Anhang enthalten.

      11 Diese beiden Vorgänge sind in der Meditationswissenschaft vielfach als «focused attention» und «open monitoring» beschrieben worden.

      12 Zum Beispiel der Zyklus von 52 Sprüchen, die den Wochen des Jahres zugeordnet sind und den Naturlauf der Erde mit dem seelischen Rhythmus zwischen Wahrnehmung und Denken in Verbindung bringen, in Rudolf Steiner: Wahrspruchworte (GA 40), Dornach 2005, S. 19ff.

      13 Ebd., S. 140.

      14 Joh 19,5.

      15 Siehe hierzu Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit (GA 4).

      16 Vgl. Gernot Böhme: Bewusstseinsformen, München 2014, S. 197ff. Böhme hatte den Eröffnungsvortrag auf der Tagung gehalten.

      17 Rudolf Steiner: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA 2), Dornach 2003, S. 125.

      18 Auch diese Übung findet sich im Anhang.

      «Die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen» Der Geheimwissenschaft im Umriß zum Hundertsten

      Die Geheimwissenschaft beendet Steiners inhaltsreiche Phase, in der Anthroposophie noch Theosophie hieß – ab 1911 erscheinen knappe, meditativ orientierte Bücher, die die Leser zur Eigenaktivität anregen sollen. Die Geheimwissenschaft bleibt aber zentral, Steiner bearbeitet sie für neue Auflagen immer wieder. Im Mittelpunkt der Geheimwissenschaft steht die Rosenkreuz-Meditation: Sie leitet über vom Aufnehmen des Inhaltlichen zu produktiver Eigenaktivität. Als sie Hundert wurde, entstand dieser Überblick über das umfangreiche Buch.

      Die Geheimwissenschaft im Umriß enthält, so schreibt Rudolf Steiner im Januar 1925 in seiner letzten Vorrede zu diesem Buch, «ja die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen […] Alles, was ich seither sagen konnte, erscheint, wenn es an der rechten Stelle diesem Buche eingefügt wird, als eine weitere Ausführung der damaligen Skizze.»1 Das (nach Die Rätsel der Philosophie) umfangreichste Buch Steiners: eine Skizze? Diese Zuschreibung ist in der Tat nur berechtigt, wenn man das spätere Werk Steiners in die Geheimwissenschaft zu integrieren versucht. Nur dann bemerkt man, dass die Charakteristik von Luzifer und Ahriman – in der Geheimwissenschaft erstmals (schriftlich) niedergelegt – in den Folgejahren sowohl in Büchern wie in Vorträgen reiche Ausarbeitung erfuhr, was in noch reicherem Maße für das in der Geheimwissenschaft zwar an zentraler Stelle, tatsächlich aber nur knapp beschriebene Mysterium von Golgatha gilt. Das Wesen des Hüters der Schwelle wird bis zu Steiners Tod immer wieder neu charakterisiert, wer sich über die Prinzipien der Wirksamkeit der Planeten, über die Ätherarten oder die vorchristlichen Mysterien aufklären will, findet in der Geheimwissenschaft Grundlegendes, und natürlich sind die Anthropologie und der Reinkarnationsgedanke zeitlebens zentrale Themen gewesen, an denen Rudolf Steiner immer weiter gearbeitet hat.

      Dennoch, der heutige Leser wird das Buch kaum als Skizze erleben. Bereits das Kapitel ‹Schlaf und Tod› enthält Weitungen, die der folgen wollenden Aufmerksamkeit nicht ohne Weiteres zugänglich sind, und das Kapitel ‹Die Weltentwickelung und der Mensch›, mit 160 Seiten schon äußerlich sehr umfangreich, birgt eine Stofffülle, die als Ganze nur von Spezialisten bewältigt wird. Insbesondere in diesem Kapitel sind implizit eine große Menge an Bezugnahmen enthalten, speziell auf Haeckels Evolutionsgedanken sowie auf die entsprechenden theosophischen Gedanken Blavatskys, Sinnetts oder Scott-Elliots. Diese Bezugnahmen, die damals sozusagen in der Luft lagen, sind dem heutigen Leser nicht mehr zugänglich und erschweren die Lektüre. Die «Maulbeere» des alten Saturn, der durch Absonderung entstandene zweigliedrige Mensch zum Beginn der Sonnenentwicklung und die «Eichelfrucht» im Beginn der Erdentwicklung sind «sinnlich-übersinnliche Bilder»2, die für sich selbst sprechen. Aber um wie vieles deutlicher wird diese Sprache, wenn man die Anspielung auf Haeckels Beschreibung der pflanzlichen Keimesentwicklung durch Morula, Blastula und Gastrula versteht! Und um wie vieles transparenter wird die Erdentwicklung und die ausgiebige, komplexe und übrigens 1913 grundlegend überarbeitete Schilderung des sogenannten «Sündenfalls» in der lemurischen Zeit, wenn man weiß, dass für H.P. Blavatsky und infolgedessen für die theosophischen Leser der «Sündenfall» im Mittelpunkt der Menschheitsentwicklung stand. Das war die Folie, vor der Steiner dem Mysterium von Golgatha seine Mittelpunktsstellung verlieh.3

      Auch 1910, beim Erscheinen der Geheimwissenschaft, ist das Buch sicherlich nicht als Skizze erlebt worden. Viel eher dürfte es als Zusammenschau von Steiners bisherigem theosophisch-anthroposophischen Schaffen rezipiert worden sein. Denn es fasst die Veröffentlichungen Steiners seit der Übernahme des Generalsekretär-Postens der Theosophischen Gesellschaft unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammen.

      Da

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