Die Nilbraut. Georg Ebers
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Jetzt stiegen einige reichgekleidete Sklaven, welche mit dem Gespann auf der Straße gekommen sein mußten, auf das Boot, um den kranken Herrn in den Wagen zu tragen, und es zeigte sich nun, daß der Stuhl, worauf der Leidende saß, mit Armen versehen war, welche ihn zu heben und fortzubewegen gestatteten. Ein großer Schwarzer ergriff diese an der hinteren Seite, und wie ein anderer sich anschickte, sie an der vorderen zu erfassen, drängte ihn Orion zurück, trat an seine Stelle, hob den Stuhl und mit ihm den Vater auf und trug ihn über die Landungsbrücke, welche das Schiff mit dem Ufer verband, an Haschim vorüber dem Wagen zu. Heiter und ohne Anstrengung verrichtete der junge Mann die Arbeit des Trägers, schaute sich auch wohl liebreich nach dem Vater um, rief den anderen Frauen — nur seine Mutter, welche den Leidenden sorglich mit Tüchern umhüllt hatte, und der Arzt folgten dem Kranken — munter zu, auszusteigen und ihn hier zu erwarten, und schritt dann im Licht der Fackeln, welche ihm vorangetragen wurden, weiter.
»Armer Mann!« dachte der Kaufherr, indem er dem siechen Mukaukas nachschaute. »Aber das Traurigste und Schwerste verweht leicht wie Nebel im Winde, wenn man einen Sohn besitzt, der einen so freundlich dahinträgt.«
Erklärlich mußte er nun finden, daß Orion damals die Blumen von sich geworfen; ja, wie die Jungfrau, der das Kind zärtlich am Arm hing, ans Land trat, sagte er sich, daß es die kleine Tochter der reichen Witwe Susanna allerdings schwer haben werde, neben dieser hohen, königlichen Erscheinung das Feld zu behaupten. Welch eine Gestalt, welch fürstliche Haltung hatte dies Mädchen, und wie wohllautend und liebreich klang es, als sie dem Kinde die Namen einiger Sternbilder nannte und es auf den Kometen hinwies, der eben aufging.
Haschim saß im Dunkeln und konnte ungesehen beobachten, was auf der Bank am Ufer, welche durch eine der Laternen des Schiffes beleuchtet worden war, weiter vorging, und er freute sich der unerwarteten Zerstreuung; denn was den Sohn des Mukaukas anging, erweckte seine Teilnahme und Neugier. Es lockte ihn, sich ein Urteil über diesen ungewöhnlichen jungen Mann zu bilden, und der Anblick des schönen Mädchens dort auf der Bank erwärmte sein altes Herz. Das Kind mußte Maria, die Enkelin des Statthalters sein.
Jetzt brach der Wagen auf, jetzt brauste er auf der Straße von dannen, und nach einiger Zeit kehrte Orion zu den Wartenden zurück.
Armes, reiches Töchterchen der Witwe Susanna. Wie so ganz anders verkehrte er mit der schönen Jungfrau dort, als mit der Kleinen. Sein Auge hing wie berauscht an ihren Zügen, mitten in der Rede stockte er bisweilen, während er zu ihr sprach, und das, was er sagte, mußte bald ernst und fesselnd, bald witzig sein; denn nicht nur sie, sondern auch die Erzieherin der Kleinen hörte ihm mit Spannung zu, und wenn die schöne Jungfrau auflachte, so klang es ganz besonders wohltönend und rein. Es lag etwas so Hoheitvolles in ihrem Wesen, daß solche Aeußerung unbefangener Heiterkeit an ihr überraschte und sich ausnahm wie der Duft einer prächtigen Blume, von der man bis dahin glaubte, sie sei nur geschaffen, um dem Auge wohlzuthun und nicht auch den anderen Sinnen. Und diejenige, an welche alles gerichtet war, was Orion sagte, hörte ihm nicht nur aufmerksam, sondern in einer Weise zu, welche den Kaufherrn lehrte, daß der Erzähler selbst ihr noch mehr gefiel, als was er so lebhaft mitzuteilen wußte. Wenn dies Mädchen mit dem Statthalterssohne eins ward, ja das gab ein Paar!
Nun kam die Wirtin Taus, eine behäbige, tüchtige Aegypterin in mittleren Jahren, und trug selbst ihre berühmten Spritzkuchen, die sie eben eigenhändig gebacken, Milch, Trauben und Obst auf, und dabei glänzten ihre Augen vor Freude und geschmeicheltem Ehrgeiz; denn der Sohn des großen Mukaukas, der Stolz der Stadt, der früher gar oft auf Wasserfahrten mit fröhlichen Genossen, meist griechischen Offizieren, die nun alle, alle gefallen oder aus dem Lande vertrieben waren, nicht nur um ihrer Kuchen willen bei ihr vorgesprochen hatte, erwies ihr nun die Ehre, sie so bald nach der Heimkehr aufzusuchen. Ihre geläufige Zunge stand nicht still, wie sie ihm erzählte, auch sie und ihr Mann seien ihm bis zur Ehrenpforte beim Menesthore entgegengezogen, und mit ihnen ihre Emau mit ihrem Bübchen. Sie sei nämlich nun verheiratet, und diesen ersten Kleinen habe sie »Orion« getauft.
Und als der junge Mann darauf fragte, ob die Emau noch immer ein so reizendes Geschöpf sei und der Mutter so ähnlich sehe wie früher, drohte Frau Taus ihm mit dem Finger und fragte, indem sie auf die Jungfrau wies, ob der fröhliche Vogel, dem so manche bei seinem Aufbruch nachgeseufzt habe, sich endlich in den Käfig begeben, und ob die schöne Dame dort vielleicht...
Aber Orion schnitt ihr das Wort ab und sagte, noch sei er sein eigener Herr, aber er fühle schon die Schlinge am Halse. Da wurde das schöne Mädchen noch röter als bei der ersten Frage der Wirtin; er aber überwand schnell die eigene Befangenheit und versicherte munter, das Töchterchen der braven Taus sei eins der hübschesten Kinder von Memphis gewesen und nicht weniger eifrig gefeiert worden, als die Spritzkuchen ihrer trefflichen Mutter. Frau Taus möge die junge Frau von ihm grüßen.
Da entfernte sich die Wirtin gerührt und geschmeichelt, er aber griff wieder zur Laute, und während die anderen sich erfrischten, folgte er der Aufforderung der Jungfrau und sang das Lied des Alkaios, um welches sie ihn bat, mit wohllautender, aber gedämpfter Stimme zur Laute, die er meisterlich schlug. Die Augen des Mädchens hingen an seinem Munde, und er schien wiederum nur für sie in die Saiten zu greifen. Als die Zeit zum Aufbruche kam und die Frauen das Schiff bestiegen, ging er in die Herberge, um die Zeche zu zahlen. Bald kam er allein zurück, und der Kaufherr sah, wie er ein Tüchlein, das die Jungfrau auf dem Tische liegen gelassen, aufnahm und es schnell an die Lippen zog, während er dem Boote zuschritt.
Den prächtigen roten Blumen war es heute morgen weniger freundlich ergangen. Dem Mädchen dort auf dem Wasser gehörte das Herz des jungen Mannes. Seine Schwester konnt’ es nicht sein; aber wie hing es mit ihm zusammen?
Der Kaufherr sollte es bald erfahren; denn der Führer kehrte zurück und gab ihm Auskunft. — Es war Paula, die Tochter des Thomas, des weit berühmten griechischen Feldherrn, der die Stadt Damaskus so ausdauernd und tapfer gegen die Kriegsmacht des Islam verteidigt hatte. Sie war die Nichte des Mukaukas Georg; aber nur mäßig begütert, eine Verwandte des Hauses, die man nach dem Verschwinden ihres Vaters — denn auch seine Leiche hatte man nicht gefunden — in der Statthalterei aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen: eine Melchitin. Der Hermeneut war ihr schon deswegen wenig gewogen, und wenn er auch gegen ihre Schönheit nichts einzuwenden hatte, so wollte er doch wissen, daß sie stolz und hochfahrend sei und keines Menschen Liebe zu erwerben verstehe; nur das Kind, die kleine Maria, hänge wohl an ihr. Ein öffentliches Geheimnis sei es, daß sogar die Gattin ihres Oheims, die brave Neforis, die stolze Nichte nicht möge und sie nur dulde dem kranken Mann zu gefallen. Was hatte die Melchitin auch zu Memphis in einem gut jakobitischen Hause zu suchen? Jedes Wort des Führers atmete jene Abneigung, die von niedrig stehenden und gesinnten Menschen so leicht denjenigen zu teil wird, welche die Güte der eigenen Wohlthäter genießen.
Aber die schöne, hoheitvolle Tochter eines großen Mannes hatte das alte Herz des Kaufherrn gewonnen, und sein Urteil blieb durch das des Memphiten ganz unbeeinflußt. Es sollte auch bald Bestätigung finden; denn der Arzt Philippus, den der Führer gerufen, ein täglicher Besucher der Statthalterei, dessen gediegenes Wesen dem Araber das größte Zutrauen einflößte, nannte Paula ein so herrliches Geschöpf, wie es der Himmel in seinen besten Stunden nur selten schaffe. Doch der da oben scheine sein eigenes Meisterwerk vergessen zu haben; denn seit Jahren sei ihr Dasein grausam getrübt.
Dem alten Herrn konnte der Arzt Linderung der Schmerzen versprechen; überhaupt sagten beide einander so wohl zu, daß sie sich erst in später Nachtstunde als gute Freunde trennten.
Drittes Kapitel.
Das Boot des Mukaukas glitt indessen, von kräftigen Ruderschlägen getrieben, ruhig dem Laufe des Stromes entgegen. Es ward darin bald geflüstert, bald gesungen. Die kleine Maria war an der Brust Paulas entschlummert, die griechische Erzieherin blickte bald nach dem Kometen, der sie beängstigte,