Die Nilbraut. Georg Ebers

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Die Nilbraut - Georg  Ebers

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Tempelschänderisch, gotteslästerlich ist dieser Gedanke; ich finde dafür keine milderen Worte! Bevor ich, ehe der Vater dem nachgibt, wollen wir kinderlos enden! Und dieser Hergelaufnen willen, die nichts besitzt als ihren Bettelstolz und die zusammengescharrten Reste eines Vermögens, das nie mit dem unseren zu vergleichen gewesen, für diese Undankbare, die sich schwer bezwingt, mir, ihrer Wohlthäterin, Deiner Mutter — bei Gott, ich rede die Wahrheit — auch nur den ›guten Morgen‹ zu bieten, womit ich selbst die Sklaven freundlich begrüße, um ihretwillen soll ich, sollen wir Eltern den Sohn verlieren, den einzigen, den der gnädige Himmel uns noch zu unserer Freude gelassen? Nein, nein, nein! Das sei ferne! Und Du, Orion, mein Herzensjunge, Du bist Dein Leben lang ein verwegener Bursche gewesen, aber den verruchten Mut findest Du doch nicht, dieser kalten Schönen zu liebe — in zwei Tagen hast Du sie einige Stunden gesehen — Deine alte Mutter, die Dich vierundzwanzig Jahre lang zärtlich am Herzen gehalten, zu Tode zu betrüben, und dem Vater, dessen Tage gezählt sind, den kurzen Lebensrest zu vergiften. Den Mut, Du mein Herzblatt, den findest Du nicht, nein, den kannst Du nicht finden! Und findest Du ihn dennoch in einer verfluchten Stunde, findest Du ihn, dann — ich bin Dir Dein Leben lang eine zärtliche Mutter gewesen — dann — so wahr Gott mir und dem Vater beistehen soll in unserer letzten Stunde, dann reiße ich die Liebe zu Dir aus der Seele wie ein schädliches Giftkraut, dann würde ich, und wenn mir das Herz dabei bräche...«

      Da zog Orion die tief erregte Frau, welche sich längst seinen Armen entzogen, wieder an sich, legte ihr die Hand leicht an den Mund, küßte ihr beide Augen und flüsterte ihr ins Ohr:

      »Er hat ja den Mut nicht und findet ihn auch schwerlich im Leben.« Dann faßte er ihre beiden Hände, schaute ihr offen ins Antlitz und rief: »Brrr! So angst wie bei diesen Drohungen ist Deinem Wagehalse noch nie zu Mut gewesen. Aber was waren das auch für gräßliche Worte, und noch ärgere lagen Dir schon auf der Zunge! Mutter, Mutter Neforis! Dein Name bedeutet die Gute, aber wie böse, wie bitterböse kannst Du doch sein!«

      Damit zog er die geliebte Frau fester an sich, küßte ihr in einer übermütigen Anwandlung, die ihn nach der Erschütterung, die er erfahren, wie ein Rückschlag überfiel, Haar und Schläfen und Wangen rasch hinter einander, und als sie ihn verließ, hatte er ihr gestattet, für ihn um die kleine Katharina zu werben, und dafür das Versprechen eingetauscht, daß dies noch nicht morgen, sondern frühestens übermorgen geschehen solle. Dieser Aufschub kam ihm schon wie eine Errungenschaft vor, und als er mit sich allein war und überdachte, was er da gethan und der Mutter bewilligt hatte, blutete ihm zwar das Herz aus Wunden, deren Tiefe er selbst noch nicht ermaß, aber er freute sich dennoch, Paula noch nicht fester an sich gebunden zu haben. Seine Augen hatten ihr mancherlei erzählt, aber das Wort »Liebe« war noch nicht über seine Lippen gekommen, und darauf kam es doch an. Einen Handkuß einer schönen Verwandten zu geben, war dem Vetter sicher gestattet. Begehrenswert, o, wie begehrenswert war sie und blieb sie, aber um eines Mädchens willen, und wär’ es Aphrodite selbst oder eine der Musen oder Charitinnen gewesen, mit den Eltern brechen, das war ja undenkbar! Schöne Frauen gab es für ihn zu Tausenden auf Erden, aber nur eine Mutter, und wie oft hatte sein Herz schon schneller geschlagen, sich ein anderes erobert, dessen Gaben fröhlich genossen und sich dann wieder leicht und willig beruhigt.

      Diesmal schien er freilich tiefer ergriffen zu sein als in früheren Fällen, und selbst die schöne persische Sklavin, um derentwillen er, kaum der Schule entwachsen, große Thorheiten begangen, und die reizende Heliodora in Konstantinopel, der er noch ein Andenken schuldete, hatten so nicht auf ihn gewirkt. Diese Paula aufzugeben war schwer, aber es ging doch nicht anders! Morgen mußte er versuchen, auf einen freundschaftlichen, geschwisterlichen Fuß mit ihr zu gelangen; denn daß sie sich wie die sanfte Heliodora, die ihr ja im Range gleich stand, mit seiner »Liebe« zufrieden geben werde, darauf durfte er nicht hoffen. Schön, unvergleichlich schön wär’ es doch gewesen, an der Seite dieses herrlichen Weibes durchs Leben zu fliegen! Fuhr er mit ihr durch die Hauptstadt, so war er sicher, daß alle Welt stillstehen und sich nach ihnen umschauen mußte. Und wenn sie ihn liebte, und sie öffnete ihm zärtlich die Arme... O, o, warum hatte das tückische Schicksal sie zu einer Melchitin gemacht?! Und dann: leider, leider konnt’ es auch mit ihrem inneren Wesen nicht sonderlich gut beschaffen sein; hätte es ihr denn sonst nicht gelingen müssen, sich in zwei Jahren statt der Abneigung die Liebe seiner trefflichen, zärtlichen Mutter zu erwerben? Ja, am Ende war es doch gut so, wie es gekommen; aber Paulas Bild ließ dennoch nicht von ihm und verdarb ihm den Schlaf, und sein Verlangen nach ihrem Besitz kam nicht zur Ruhe.

      Indessen begab sich Frau Neforis nicht sogleich zu ihrem Gatten zurück, sondern zu Paula. Diese Angelegenheit mußte noch heute nach allen Seiten hin zum Abschluß gelangen! Hätte ihr Sieg dem Kranken ungetrübte Freude zu bereiten versprochen, so wäre sie mit der Freudenbotschaft zu ihm geeilt; denn sie kannte nichts Höheres als ihm einen guten Augenblick zu bereiten, aber der Mukaukas hatte ihrer Wahl nur widerwillig zugestimmt; denn auch ihm erschien Katharina zu klein und kindisch für den großen Sohn, dessen geistige Reife ihm bei mancher längeren Unterredung, die er nach seiner Heimkehr mit ihm gepflogen, zur Freude seines Vaterherzens unleugbar und bedeutend vor die Seele getreten war.

      Das »Bachstelzchen«, dem er ja alles Schönste und Beste wünschte, genügte ihm nicht für Orion. Ihm, dem Vater, wäre Paula eine liebe Schwiegertochter gewesen, und es hatte ihm oft wohl gethan, sie sich an Orions Seite zu denken. Aber sie war eine Melchitin, und er wußte, wie übel seine Gattin ihr leider gesinnt war, und so verschloß er diesen Wunsch in sich, um die treue Pflegerin, welche nur für ihn lebte, fühlte und dachte, nicht zu kränken; und Frau Neforis wußte oder ahnte das alles, und sie sagte sich, daß es ihn die Nachtruhe kosten werde, wenn er heute schon erführe, was Orion ihr zugesagt hatte.

      Mit Paula stand es anders. Je eher sie erfuhr, daß sie von ihrem Sohne nichts zu erwarten habe, um so besser für sie.

      Am vergangenen Morgen hatten sie und Orion einander wie ein Liebespärchen begrüßt, und vorhin waren sie wie Braut und Bräutigam auseinander gegangen. Solchem ärgerlichen Schauspiel wollte sie nicht wieder beiwohnen, und so sprach sie bei der Damascenerin vor und vertraute ihr glückselig an — aber bis übermorgen sollte sie schweigen — welche Freude ihr Sohn ihr soeben bereitet.

      Paula hatte schon bei ihrem Eintritt aus ihrem strahlenden Gesicht den Schluß gezogen, daß sie etwas für sie Peinliches bringe, und so bewahrte sie die schickliche Fassung. Mit der Maske kühler Gleichgültigkeit ließ sie den Erguß des frohbewegten Mutterherzens über sich ergehen und wünschte auch den Verlobten Glück; aber sie that es mit einem Lächeln, das Frau Neforis empörte. Sie war sonst gewiß nicht böse, aber diesem Mädchen gegenüber verwandelte sich ihre Natur, und es war ihr nicht unlieb, ihr wieder einmal zu zeigen, daß in ihrer Lage Bescheidenheit am Platze sei. Das alles sagte sie sich selbst, wie Paulas Zimmer hinter ihr lag, aber vielleicht hätte diese Frau, an der vieles gut war, Reue empfunden, wenn es ihr gestattet gewesen wäre, in den folgenden Stunden in das Herz der ihrem Schutz befohlenen Waise zu schauen.

      Nur einmal schluchzte Paula heftig auf; dann trocknete sie unwillig die Thränen, blickte lange finster zu Boden und schüttelte dabei oft das schöne Haupt, als sei ihr etwas Unerhörtes, Unfaßbares begegnet.

      Mit einem schmerzenden Seufzer legte sie sich endlich zur Ruhe, und während sie vergeblich nach Schlaf und der Kraft rang, zu beten und sich still zu ergeben, kam ihr die Zeit vor wie eine endlose Steppe, das Schicksal wie ein grausamer Jäger, und das Wild, das er verfolgte, das war sie selbst.

      Viertes Kapitel.

      Am folgenden Abend ritt der Kaufherr Haschim mit einem kleinen Teil seiner Karawane in die Statthalterei ein. Fremde würden sie eher für den Wohnsitz eines reichen Grundherrn als für die Residenz eines hohen Beamten gehalten haben; denn in die großen hinteren Höfe, welche von den Wirtschaftsgebäuden auf drei Seiten umschlossen wurden, trieb man jetzt nach Untergang der Sonne große Rinder- und Schafherden ein, ein halbes Hundert Rosse von edler Zucht kam zusammengekoppelt aus der Schwemme, und auf einer von Hürden umschlossenen

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