Die Nilbraut. Georg Ebers
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Des Statthalters Partnerin erhob sich, der Mukaukas blieb dagegen regungslos liegen und hielt die Augen fortdauernd mit den Lidern bedeckt, aber er mußte dennoch durch eine unsichtbare Spalte wahrnehmen, was ihn umgab; denn er wandte sich erst an Paula und dann auch an die anderen Frauen und sagte: »Ist es nicht seltsam: sonst suchen Alte und Kinder die Sonne, und die einen spielen, die anderen ruhen gern in der Hitze. Aber ich... Es ist etwas über mich gekommen, vor Jahren — ihr wißt’s ja, und dabei ist mir das Blut erstarrt. Nun will es sich nicht mehr erwärmen, und ich empfinde den Gegensatz zwischen der Kälte hier drinnen und der Hitze da draußen sehr stark, beinahe schmerzlich. Je betagter man wird, desto lieber überläßt man der Jugend, was einem sonst selber wohl gethan hat; das einzige, was wir Alten uns nicht gern nehmen lassen, ist körperliches Behagen, und Dank euch, daß ihr geduldig tragt, was euch stört, ja es mir sogar verschafft. Ein schrecklicher Sommer! Du, Paula, von eurem Libanon her weißt Du, was Eis ist. Ich wünschte mir schon manchmal ein Bett von Schnee. Eins zu werden mit der frischen Kälte, das wäre mein Höchstes. Mir thut der kühlende Hauch wohl, den ihr fürchtet. Die Jugendwärme sträubt sich gegen alles, was kühl ist.«
Dies war der erste längere Satz, den der Mukaukas seit dem Beginn des Spiels gesprochen. Orion ließ ihn achtungsvoll ausreden, dann aber versetzte er lächelnd: »Es gibt indessen auch junge Menschenkinder, die sich darin gefallen, kühl und frostig zu sein, aus welchem Grunde, Gott weiß es!«
Dabei sah er derjenigen, auf welche diese Worte gemünzt waren, voll in die Augen; sie aber wandte sich still und stolz von ihm ab, und über ihre schönen Züge flog ein unwilliger Schatten.
Fünftes Kapitel.
Nachdem dem Araber Einlaß zu dem Mukaukas gewährt worden war, breiteten seine Diener ein Stück Teppich vor dem Leidenden aus. Der riesenhafte Masdakit verrichtete den Hauptteil der Arbeit, aber sobald der Mukaukas den gewaltigen Mann mit dem buschigen, mähnenartigen Haar, in dessen Gürtel Dolche und ein Schlachtbeil steckten, bemerkt hatte, rief er ängstlich:
»Hinaus, hinaus mit ihm! Dieser Mensch, diese Waffen... Ich will den Teppich nicht sehen, bevor er fort ist!«
Dabei zitterten seine Hände, und der Kaufherr befahl sogleich seinem treuen Rustem, dem harmlosesten der Menschen, sich zu entfernen. Nun gewann der Statthalter, dessen überreizte Nerven nach einem Mordversuche, den ein aus Aegypten verbannter Grieche auf ihn unternommen, bisweilen ähnlichen Angstanfällen unterworfen waren, schnell die Fassung zurück und blickte voller Bewunderung auf den Teppich, um den die Seinen sich scharten. Jeder gestand, dergleichen noch nie gesehen zu haben, und die lebhafte Witwe Susanna wollte ihre Tochter Katharina samt ihrem Besuche rufen lassen, doch es war schon spät und ihr Haus so weit von der Statthalterei entfernt, daß sie davon absah.
Vater und Sohn hatten schon von diesem Wunderwerk gehört, welches durch das siegreiche arabische Heer bei der Eroberung des persischen Reiches in dem »weißen Schloß«, dem Königspalaste der Sassanidenresidenz Madain erbeutet worden war. Sie wußten, daß derselbe ursprünglich 300 Ellen lang und 60 Ellen breit gewesen, und hatten mit Entrüstung vernommen, daß der Chalif Omar, der immer noch wie ein schlichter Karawanenführer wohnte, sich kleidete und nährte und auf dergleichen Prunk mit Verachtung niedersah, dies unschätzbare Kunstwerk in Stücke geschnitten und es unter die Genossen des Propheten verteilt habe.
Der Kaufherr erklärte nun, dies Teppichstück sei der Beuteanteil Alis, des Schwiegersohns des Propheten. Er habe das ganze ungeteilte Wunderwerk in Madain, wo es an der Wand des herrlichen Thronsaales gehangen, und später auch zu Medina vor der Zerschneidung gesehen.
Die Anwesenden forderten ihn lebhaft auf, das nun Fehlende zu beschreiben, er aber schien sich beunruhigt zu fühlen, schaute häufig auf seine nackten Füße, die auf dem feuchten Mosaikboden des Brunnenraums standen, und deren Bekleidung er nach der Sitte seines Volkes im Vorzimmer gelassen.
Der Statthalter war den Bewegungen des alten Herrn, der die Hand oft an die Lippen führte, gefolgt und hatte einem Sklaven, während seine Gattin, Orion und die Witwe Haschim mit Fragen bestürmten, einige Worte zugeflüstert. Gleich darauf war dieser zurückgekehrt und hatte auf Befehl seines Herrn einen länglichen Teppichstreifen vor den braunen, edel, aber zart gebauten nackten Füßen des Arabers ausgebreitet.
Während dies geschah, ging in dem Wesen des Händlers eine eigentümliche Veränderung vor. Mit einer Würde, welche keiner der Anwesenden dem Mann, der das Zimmer demütig betreten und seine kostbare Ware mit beredter Beflissenheit angepriesen hatte, zugetraut haben würde, richtete er sich auf, über sein ruhig mildes Gesicht breitete sich ein zufriedener Ausdruck, um seinen Mund flog ein liebenswürdiges Lächeln, und die guten Augen glänzten feucht wie die eines Kindes, dem man eine Freude bereitet. Dann verneigte er sich vor dem Mukaukas, indem er mit den Fingerspitzen der rechten Hand Stirn, Mund und Brust berührte, um damit zu sagen: »Was ich denke, rede und empfinde, ist Dir geweiht,« und sagte: »Meinen Dank, Sohn des Menas; das war die That eines Muslim!«
»Eines Christen,« rief Orion eifrig; doch sein Vater schüttelte dazu leise das Haupt und sagte nachdrücklich und langsam:
»Nur die eines Menschen!«
»Eines Menschen,« wiederholte der Kaufherr und fuhr dann nachdenklich fort: »Eines Menschen! Ja, das ist freilich das Höchste, so lange wir sind, was wir sein sollten: Ebenbilder des einigen Gottes. Wer ist barmherziger als er, und jeder Barmherzige, den eine Mutter geboren, er gleicht ihm.«
»Wiederum ein christlicher Satz, Du seltsamer Muslim!« fiel ihm Orion ins Wort.
»Und dennoch,« versetzte Haschim mit ruhiger Würde, »entspricht er Silbe für Silbe der Lehre des besten der Menschen, unsers Propheten. Ich gehöre zu denen, die ihn gekannt haben auf Erden. Auch des Bruders kleinster Schmerz erfüllte sein weiches Herz mit freundlichem Mitleid; sein Gesetz fordert Barmherzigkeit auch für das Bäumchen am Wege, nennt es Todsünde, es zu verletzen, und jeder Muslim soll es befolgen. Barmherzigkeit üben, heißt es im Buch des Propheten...«
Hier wurde der Kaufherr plötzlich und jäh unterbrochen; denn Paula, welche bis dahin, an einen Wandpfeiler gelehnt, den Teppich betrachtet und dem Gespräche schweigend gefolgt war, hatte sich dem Araber mit zwei raschen Schritten genähert, wies nun mit geröteten Wangen und flammenden Augen empört auf ihn hin und rief mit bebender Stimme, nicht achtend der erstaunten und unwilligen Anwesenden und des Hündchens, das wüthend auf den Araber einkläffte:
»Ihr, ihr, die Bekenner des Lügenpropheten, ihr, die Genossen des Bluthundes Chalid, ihr und barmherzig! Ich kenn’ euch! Ich weiß, was ihr in Syrien verübt habt! Ich habe euch und eure blutlechzenden Weiber mit diesen Augen gesehen, und den Schaum auf ihren wütenden Lippen! Hier steh’ ich als Zeugin wider euch und rufe Dir ins Gesicht: Ihr habt in Damaskus Verträge gebrochen, und die Opfer eures Betruges — neben den Männern wehrlose Weiber und zarte Kinder — mit dem Schwerte gemordet und mit den Händen erdrosselt. Du, Du — Apostel der Barmherzigkeit, hast Du nichts von Abyla gehört? Du Freund eures Propheten, was hatten euch, die ihr den Baum am Wege so zärtlich schont, die unschuldigen Leute in Abyla gethan, daß ihr sie wie Wölfe, die in die Schafherde dringen, erwürgtet? Ihr, ihr und barmherzig!«
Dabei brach das leidenschaftliche Mädchen, dem niemand Barmherzigkeit erwies, und dem dieses Wort wie ein Hohn in die Seele gegriffen, das seit Stunden von mühsam verhaltenem, peinigendem Groll gemartert, es wie eine Erleichterung empfand, dem quälenden