Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas. Karl May
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»Du wohnst in der Hazienda?« fragte Helmers. – »Nein«, antwortete der Büffeljäger. »Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, die zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.«
Er deutete auf das Rasenstück, auf dem er stand.
»So hast du das beste Lager auf der ganzen Estanzia. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.« – »Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.« – »Er ist hier?« – »Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden wie ich und du.« – »Wo ist er?« – »Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, die von dem Überfall der Komantschen erzählen.« – »Laß uns zu ihnen gehen.«
Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.
5. Kapitel
Weit draußen, mitten zwischen halbwilden weidenden Pferdegruppen, saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, die sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, die man nur beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.
Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.
»Was ist das?« fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte. – »Es ist der Rapphengst«, antwortete einer der Vaqueros. – »Was ist mit ihm?« – »Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.« – »Verhungern? Warum?« – »Er ist unzähmbar.« – »Pah!« – »Pah? Señor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn nun schon dreimal im Korral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einem.« – »Wer ist dieser eine?« – »Büffelstirn hier, der Häuptling der Mixtekas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.« – »Unmöglich. Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben.« – »So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nichts fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.« – »Donnerwetter!« rief Helmers. – »Ja«, nickte Büffelstirn. »Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd totgemacht habe, das nicht gehorchen wollte.«
Der Vaquero fuhr fort:
»Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Estanzia gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur einen gibt, der den Hengst bezwingen kann.« – »Wer sollte das sein?« – »Das ist ein fremder Jäger da oben am Red River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.«
Helmers lächelte belustigt und fragte:
»Hat er einen Namen?« – »Das versteht sich.« – »Welchen?« – »Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itintika, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«
Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:
»Wo ist das Pferd?« – »Dort hinter jener Truppe liegt es.« – »Gefesselt?« – »Natürlich!« – »Alle Teufel, das ist Unrecht.« – »Pah. Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.« – »So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?« – »Versteht sich.« – »Zeigt mir ihn.« – »So kommt, Señor.«
Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengst.
Das Tier lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korb vor dem Maul, am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Aufregung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorb troff der Schaum in großen Flockentrauben.
»Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!« rief Helmers. – »Macht es anders, Señor«, meinte der Vaquero, kaltblütig die Schultern zuckend. – »Das ist Tierquälerei. Das darf man nicht leiden. Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht.«
Helmers hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.
»Was gibt es, Señor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?« fragte er. – »Ihr bringt den Hengst um!« antwortete dieser. – »Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt.« – »Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.« – »Wir haben alles vergebens versucht.« – »Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!« – »Hilft nichts!« – »Pah! Darf ich es versuchen, Señor?« – »Nein.«
Helmers sah ihn erstaunt an.
»Warum nicht?« fragte er. – »Weil mir Euer Leben zu lieb ist.« – »Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Señor!«
Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran und bat ängstlich:
»Vater, erlaube es ihm nicht! Der Rappe ist zu gefährlich!«
Der Deutsche blickte ihr mit einem glücklichen Lächeln in das Gesicht. Ihre Angst war ihm ja ein Beweis, daß er ihr nicht gleichgültig sei, dennoch aber fragte er sehr ernst:
»Señorita, hassen Sie mich?« – »Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?« – »Oder verachten Sie mich?« – »Das noch viel weniger!« – »Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.« – »Sie kennen das Tier nicht, Señor«, mahnte Arbellez. »Es sind viele hier gewesen, die behaupten, daß nur Itintika, der Donnerpfeil, es bändigen könne.« – »Kennen Sie diesen Itintika?« – »Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.« – »Und dennoch bitte ich um den Hengst.« – »Ich warne Sie.« – »Ich bleibe bei meiner Bitte.« – »Nun wohl, ich muß sie ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast, aber es tut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nicht!«
Da stieg Emma schnell vom Pferd, trat auf Helmers zu und bat, seine Hand ergreifend:
»Señor Helmers, wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferd ablassen? Mir ist so unendlich angst!«
Er erglühte vor Wonne, und sein Auge traf mit einem glühenden Strahl das ihrige.
»Señorita«, entgegnete er, »sprechen Sie aufrichtig: Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?«
Sie senkte den Kopf, sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den anderen, die alle gute Reiter waren, nicht zurückkonnte. Darum fragte sie kleinlaut:
»Sie