Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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und Weise desselben herrscht Uneinigkeit. Man schlägt vor, einen Mörder für Geld zu dingen. – „Ganz unnöthig“, erklärt der typische Edelmann des Stückes. „Er wird auch so ermordet. Wenn es irgend ein Verbrechen oder eine Gemeinheit zu begehen gilt, findet sich immer Jemand, der sich gratis dazu hergibt“. Und er fügt hinzu: „Man ist im Allgemeinen der Ansicht, jede Niederträchtigkeit sei irgendwie bezahlt oder belohnt worden: Is fecit cui prodest. O Himmel, welch ein Irrthum!“ Mit anderen Worten: Niemand hat einen Nutzen davon. Alle leiden darunter. Und dennoch geschieht es.

      Da kommt der Herold und verkündet: „Rom ist gegründet!“ Romulus hat seinen Bruder ermordet. Jede Stadt wird durch Brudermord errichtet. Der Fortschritt hier auf Erden beruht auf dem Hasse feindlicher Brüder. Alles, was Antistius vorhergesehen, wird nun in Erfüllung gehen, die Barbarei in Rom ihre Fortsetzung finden. Das Drama aber schliesst mit dem Ausspruche eines israelitischen Propheten (Jeremias 51, 58): „Die Völker mühen sich für nichts; die Mühe von Nationen geht im Feuer auf“.

      1886 endlich schrieb Renan seine letzte, durchaus anders geartete dramatische Arbeit, die einzige, die kein reines Ideendrama ist, sondern sich der Art der gewöhnlichen Schauspiele nähert: „Die Aebtissin von Jouarre“, die ungeheures Aufsehen machte und gleich das erste Jahr einige zwanzig Auflagen erlebte – nicht um ihrer Vorzüge willen, sondern in Folge des Hallohs, mit dem ein Theil der Presse sie begrüsste und als unsittliches Werk, als eine Schande für den Autor stempelte. Dieses Drama allein spielt zu einem bestimmten historischen Zeitpunkte, während der Revolution, und hat eine einfache, nicht hochfliegende Idee, das Recht der Liebe, sich in ausserordentlichen Fällen über die von der Gesellschaft gezogenen, unter gewöhnlichen Verhältnissen nützlichen Schranken hinwegzusetzen.

      Zwei zum Tode Verurtheilte begegnen sich im Gefängnisse des Collége Plessis, ein Edelmann und eine sehr vornehme Dame, die Aebtissin von Jouarre. Er liebte sie schon lange, sie aber war, wiewohl sie die Ideen des Zeitalters völlig theilt, durch ihr geistliches Gelübde gebunden. Nun überredet er sie, ihm anzugehören. Sie verbringen miteinander die letzte Nacht, die sie noch zu leben haben. Der Aussicht auf den nahen Tod gegenüber gelten die Bande, durch die sie gebunden wären, nicht mehr. Er allein aber wird hingerichtet. Ein junger Offizier, der sie in ihrer stolzen Schönheit vor dem Revolutions-Tribunal gesehen, setzt es durch, dass ihr Name aus der Liste der zum Tode Verurtheilten gestrichen wird, und am nächsten Morgen holt der Karren nur ihren Freund ab. In ihrer Verzweiflung fleht sie um den Tod, ja macht sogar einen fruchtlosen Selbstmordversuch.

      Diese drei ersten Acte, die von der grossen italienischen Schauspielerin Eleonora Duse aufgeführt worden sind, bilden den eigentlichen Inhalt des Stückes. Daran schliessen sich noch zwei weitere, in welchen Julie, ihre sogenannte Schande mit Stolz tragend, einsam mit dem kleinen Mädchen lebt, das sie zur Welt gebracht hat, sich übrigens allseits mit Wohlwollen begegnet, von ihrem Bruder hochgehalten und bewundert sieht. Nach Jahren heirathet sie den Offizier, der ihr seinerzeit das Leben rettete und nun einer der Generale Bonaparte's ist. Das Stück schliesst mit der Einführung des Concordats, das sie ihres geistlichen Gelübdes entbindet.

      An der Handlung selbst ist, wie man sieht, wenig oder nichts, das Anstoss geben könnte. Die Personen sind ohne Ausnahme höhere Menschen, hocherhaben über alle gewöhnlichen Standpunkte oder Triebe. In der Vorrede aber stand ein kühner Satz: „Ich denke mir oft, wenn die Menschheit die sichere Gewahr dafür erhielte, dass die Welt in zwei, drei Tagen zu Grunde gehen werde, so würde die Liebe von allen Seiten mit einer Art von Raserei losbrechen. Alles wäre dann gestattet. Nichts hätte Folgen. Da wollte die Welt einen Liebestrank trinken, dass sie stürbe in einem Wonnerausch“.

      Daraus war allerdings deutlich zu ersehen, dass Renan auf die Entsagung um ihrer selbst willen keinerlei Gewicht legte. Journalisten, die vorher seine Anschauungen über das Verhältniss der beiden Geschlechter nicht beachtet hatten, wurde nun sein Grundgedanke klar, dass eines Jeden Pflichten und Tugenden durch die Forderungen bestimmt werden, die in seiner Natur liegen. Sie fanden den Gedanken haarsträubend oder stellten sich so.

      Und doch ist dieser Gedanke so einfach, so ganz danach angethan, Billigung zu finden.

      Es war für den heiligen Franciscus keine Pflicht, ein Denker zu sein.

      Es wäre kein Gewinn gewesen, wenn Raffael ein ehrbares Leben geführt hätte.

      Es war für Goethe eine Pflicht, der Rücksicht auf seine Kunst jede andere zu opfern.

      Mit anderen Worten: Die das Gesetz übertretende Unregelmässigkeit des Künstlers kann höhere Moral sein. Die selbstsüchtige Bedachtnahme des Genies, Alles, was nur in seiner Macht liegt, auszurichten, kann höchste Pflicht sein. Die sittliche Ueberlegenheit des Heiligen ist in ihrer Art Genie.

      Ausschlaggebend ist nur, dass ein Franciscus, ein Raffael, ein Goethe hervorgebracht werden. Der grosse Mensch ist vorläufig das Ziel der Natur und des Menschenlebens, weil durch die grossen Menschen Existenz und Herrschaft des höchsten Wesens, das, was man in alten Tagen „das Reich Gottes“ nannte, vorbereitet wird. Wenn dereinst die wissenschaftliche Allmacht in den Händen guter und gerechter Wesen vereinigt sein wird, dann endlich wird Gott allmächtig und allgütig geworden sein.

      Bis dahin müssen die Menschen sich gleichsam in einer Hierarchie fühlen. Der geringere Geist muss das Leben des höheren mitleben. Wie die Gefährten Alexanders des Grossen von Alexander lebten, so muss die grosse Menge stets durch Stellvertreter denken und zum Theil auch geniessen. Sie ist darum nicht unglücklich. Eine Stufenleiter ist es. Der höhere Geist lebt das Leben der höchsten Geister.

      IV

      Renan ist kein wirklicher Dramatiker und hat sich auch nie dafür ausgegeben. Seinen Schauspielen fehlt knappe, geschlossene Form, seinem Dialoge Kraft, seinen Personen in der Regel Leben. Seine Frauengestalten: Imperia, Brunissende, Carmenta, die Aebtissin, sind indess interessante Grundrisse (die Courtisane – die Sibylle – die stolze, edle Weltdame). Nur eine Gestalt hat er jedoch, als der Lyriker, der er ist, mit Sorgfalt und Liebe ausgeführt, seine eigene, die Prospero-Figur, die in drei verschiedenen Schauspielen wiederkehrt, den Seher, den höheren Menschen, in dem die Zukunft keimt und reift.

      Renan's „Caliban“ erinnert ein wenig an „Die gottlose Comödie“ des polnischen Dichters Krasinski, in welcher die plumpe Demokratie in ähnlicher Weise personificirt ist. Der Geist aber, der in jener Dichtung herrscht, ist veraltet, ist der eines halb gläubigen, halb zweifelnden Katholicismus.

      Vergleicht man Renan's Schauspiel mit dem Shakespeare's, das er nach einem Zeitraume von dreihundert Jahren fortzusetzen versuchte, so sieht man bei dem Vergleiche recht deutlich, wie gross die Ueberlegenheit der Renaissance in künstlerischer, die unseres Zeitalters in wissenschaftlicher Beziehung ist. Renan's Gestalten sind Schatten gegen die Shakespeare's; Shakespeare's Ideen aber sind naiv gegen die Renan's.

      Stellt man endlich im Geiste einen Augenblick wirklich moderne Schauspiele wie die von Ibsen denen von Renan gegenüber, so ist der Gegensatz nicht allein wiederum der zwischen eigentlichen Dichterwerken und einfach Ideen entwickelnden Dialogen, sondern jener zwischen einer bis zur Spitzfindigkeit scharfsinnigen Seelenkunde und der Fähigkeit zu grossen Ausblicken über die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit. Der psychologischen Einsicht Ibsen's entspricht bei Renan die weltüberschauende Uebersicht. Beide sehen sie schwarz, ohne deshalb Pessimisten genannt werden zu wollen oder mit Recht genannt werden zu können.

      Bei Ibsen ist die Technik die eines Meisters; bei Renan kann kaum von etwas wie Technik die Rede sein, so nachlässig ist das rein Dramatische behandelt. Dafür aber auch wieder kein Einprägen eines Charakterzuges, nie das Gehämmer auf eine und dieselbe Wendung („die compacte Majorität“, das „Spannende“), zu welchem sich derjenige genöthigt sieht, der für ein Theater-Publikum schreibt. Bedarf dieses doch immer einer groben Deutlichkeit um zu verstehen.

      Es ist in diesen Schauspielen wie überhaupt

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