Moderne Geister. Georg Brandes
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Der hellenische Geist war ihm damals noch ziemlich fremd, und noch gar manches Jahr verging, ehe er das Gebet niederschrieb, welches er mit einer Mischung von Dichtung und Wahrheit auf der Akropolis zu Athene gebetet zu haben behauptet. Dieser israelitische Genius aber mit seiner eigenartigen Männlichkeit und dem Feuer seiner religiösen Begeisterung rief ein gewaltiges, fruchtbares Staunen in ihm hervor. Alle Fangarme seines Wesens reckte er aus, um ihn zu greifen, zu begreifen.
Das Griechenvolk hat unsere Cultur, unsere Kunst und Wissenschaft geschaffen, hat Europa politische Ideen gegeben, ihn aber fesselte es weniger als das israelitische. Es war nicht so in unserem Leben gegenwärtig. Noch heutigentags sind Europas Feste jüdische, nicht griechische, Europas Gott jüdisch, nicht griechisch. Das Buch, das die civilisirte Welt als heilig betrachtet, ist eine Sammlung jüdischer Literatur; die Begriffe der Massen von Pflicht und Glauben, vom Leben dies- und jenseits stammen aus Syrien. Das Ideal Europas wurde in Nazareth geboren.
Alles, was weiblich war in Renan, fühlte sich von dem Geiste Israels angezogen, von Ehrfurcht davor erfüllt.
Worüber er stutzte, war dies: ein kleiner Volksstamm, anfangs aus Nomaden, sodann aus Ackerbauern bestehend, äusserst kriegerisch durch den Zwang der Verhältnisse – ohne Schifffahrt, da er vom Meere abgesperrt war, ohne Handel, der in den Händen anderer Stämme lag, ohne Bau- oder Bildnerkunst, gänzlich ohne Wissenschaft – hatte nur Eine geistige That vollbracht, nur Eine Schöpfung hinterlassen: Religion oder richtiger zwei Religionen, die ihrem Wesen nach eine einzige war; wiederholte das ursprüngliche Christenthum doch nur auf gemeinfassliche Weise, was jüdische Propheten 750 Jahre früher gesagt hatten. Die Griechen hatten uns Staatsformen, wissenschaftliche Grundanschauungen, Denkmale und Kunstwerke hinterlassen, die nie der Vergessenheit anheimfallen konnten. Die Israeliten hatten nur Eines hervorgebracht. Sie hatten einen so energischen, so leidenschaftlichen Schrei nach Gerechtigkeit ausgestossen, dass er noch nach Verlauf von beinahe 3000 Jahren uns in den Ohren tönte.
Dies sprach seinen Idealismus an, und dass Alles in der Zeit so weit zurücklag, bildete nur einen Reiz mehr für ihn. Es gibt Historiker, die sich nur wohl fühlen, wenn sie sicheren Grund und Boden unter den Füssen haben. Sie lieben das Anschauliche, Handgreifliche. Renan hingegen sah gut, sah gerne im Dunkeln, spähte am liebsten in ferne Zeiten und fühlte mit Befriedigung ihre Zustände und Empfindungen sich zu Leben vor seinem inneren Sinn gestalten. Ob es gerade das Leben war, wie es in jenen alten Zeiten gelebt worden – wer vermag es zu entscheiden? Doch leitete ihn eine glückliche Gabe, aus dem Wenigen, das wir wissen, Weiteres zu ahnen und zu errathen. Alle seine Kräfte wendete er auf, um die Gefühls- und Denkweise eines Jahrtausends aus jener längst entschwundenen Vorzeit wieder aufleben zu lassen. Dazu gibt es nur Ein Mittel, die Geistesentwicklung, Kritik genannt, die kein früheres Jahrhundert gekannt hat.
Die Astronomie hat das Sehrohr. Die historische Kritik ist das Sehrohr, das uns ferne Zeiten nahe rückt. Die Physiologie hat das Mikroskop. Die literarische Kritik ist das Mikroskop, das den verborgenen seelischen Zug gross und deutlich macht. Der Physiker hat seine feinen Instrumente, Luftdruck und Wärme damit zu messen. Der Kritiker hat in seiner angeborenen Empfänglichkeit, in der mannigfachen Sensibilität, die er allmälig in sich ausbildet, den Barometer, womit er die Atmosphäre ferner Zeit, den Thermometer, mit dem er die Hitze der Leidenschaften misst. Der Chemiker hat das kostbare Geräth, die Wage. Der Kritiker besitzt in seiner Gabe, das Gelesene zu prüfen, eine feinere Wage, als es in der äusseren Welt eine gibt.
Die Vorarbeit, die Renan von deutschen und holländischen Männern der Wissenschaft gethan fand, war, was Gelehrsamkeit und Scharfsinn anbelangt, bewunderungswürdig. Man hatte (um ein Gleichniss zu gebrauchen, dessen sich Renan einmal bedient) die Bibel ungefähr in dem Zustande vorgefunden, in welchem sich die in Herculanum ausgegrabenen Buchrollen befanden. Tausende von Schriftzeichen in wirrem Durcheinander, die Blätter zu einer Masse zusammengeklebt, des einen Blattes Text in den des andern hineingerathen. Eine Arbeit von der Art, hier Blatt von Blatt zu scheiden, war genial eingeleitet und im vollen Zuge, als Renan seine Alterthumsstudien begann.
Er war als Kritiker weniger ein sondernder, zergliedernder, als ein zusammenfügender Geist. Er zog Linien zwischen den festen Punkten, welche die Arbeiten der germanischen Gelehrten ihm an die Hand gaben. Er kannte die Menschenseele so gut, dass er in der Regel das jedesmal Mögliche erschaute, zwischen zwei Möglichkeiten die wahrscheinliche herausfand und unter den wahrscheinlichen Erklärungen die festhielt, die innere Wahrheit hatte. So hat er in zwölf grossen Bänden Israels Geschichte und den Ursprung des Christenthums erzählt.
Er ging zuvörderst gerade auf das los, das ihn am meisten fesselte, die Persönlichkeit Jesu. Um sich ihr jedoch zu nähern, unternahm er einen Schritt, wie ihn vor ihm noch Niemand, der das Leben Jesu schildern wollte, unternommen. Er reiste nach Palästina und erfüllte Auge und Sinn mit den Eindrücken der Stätten und Gegenden, woselbst Jesus gelebt und gewallt.
Die Formen der Berge und Thäler, der Lauf der Flüsse, das Bett der Seen, sie bleiben durch Jahrtausende dieselben. Im Morgenlande haben überdies die Formen der Zelte und Häuser, der Schnitt der Trachten, die Art der Beschäftigungen, die durch das Klima bestimmte Lebensweise sich Jahrtausende lang unverändert erhalten, so dass Renan wie zur Weihe eine lebendige Vorstellung davon einsog, wie die Naturverhältnisse und die Umgebungen beschaffen gewesen, unter welchen die religiösen Grundbegriffe der civilisirten Welt entstanden.
Sein Jesus ist geistreich aufgefasst, zart ausgeführt, eine Statuette aus Elfenbein. Dem Stile fehlte es an Sicherheit und Grösse, nicht an Feinheit.
Renan's Unentschiedenheit, seine Lust, zugleich Ja und Nein zu sagen, war ihm hier ab und zu ein Hinderniss. Voltaire hatte Nein, die Theologen hatten Ja gesagt. Uneinig mit beiden, wie er war, bestätigte und verwarf er zuweilen in einem Athemzuge. Sein ursprünglich allzu grosser Respect für die Ueberlieferung gereichte besonders den ältesten Ausgaben zum Nachtheile. Man kann ihn hier wie sonst nicht davon freisprechen, eine allzu nachlässige Quellen-Kritik betrieben zu haben. Indem er das vierte Evangelium als Quelle aus dem ersten christlichen Jahrhundert annimmt, gelangt er dahin, den Charakter Jesu auf unhistorische Weise anzuschwärzen. Sein Blick ist durch die Nebel der Zeiten hindurchgedrungen, und hat manchen Zug erschaut, welcher der grossen Gestalt wesentlich zuzugehören scheint. Zuweilen jedoch lebt er sich zu persönlich in sie ein, modernisirt sie unwillkürlich und legt ihr seine Lieblingseigenschaften bei, so zum Beispiel, wenn er Jesus den Gründer „der grossen Lehre von der transscendenten Geringschätzung“ nennt. Man kann sich manchmal des peinlichen Eindruckes nicht erwehren, er sei selbst Modell gestanden.
Renan liebt Jesus, wie er die grossen Sanften und Weisen liebt. Genau so liebt er Marcus Aurelius. Dagegen hat er eine lebhafte Antipathie gegen die Gewaltthätigen, die Fanatiker, die Männer der That in der Welt der Religion. Paulus ist ihm zuwider, gleichwie Luther.
Renan wuchs während der Behandlung seines grossen Gegenstandes. Je weiter die Arbeit gedieh, in desto höherem Grade wurde er ihr gewachsen. Je mehr er den Stoff unter seinen Händen sich formen sah, um so voller bemächtigte sich auch seiner das beruhigende Gefühl geistiger Ueberlegenheit. Der steigenden Ueberlegenheit aber gesellte sich steigende Gleichgiltigkeit gegen das Urtheil der Welt über ihn.
Es entwickelte sich bei ihm eine Menschenverachtung, so gross, dass sie gutmüthig erschien, es in der That auch war.
Sein immer weiterer, freierer Blick offenbarte sich in der zunehmenden Herrschaft über seinen Stoff. Deutschland besitzt verschiedene Fachmänner von dem Range Renan's, ja nicht wenige, die ihn an Gelehrsamkeit, sowie an streng wissenschaftlichem Geist überragen. Allein sie vertiefen sich so sehr in ihren Stoff, dass ihre Persönlichkeit sich ganz darin verliert. Sie schweben nicht über demselben. Sie sind Bücher- nicht Weltmenschen; Kritiker, nicht Baumeister; Forscher und Denker, nicht zugleich freie Geister und Künstler. Ein freigewordener Geist aber, der, über seinem Stoffe schwebend, diesen kraft seiner Lebenserfahrung behandelt – eben dies war Renan.
Diese