Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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thaten, durch Handauflegung Kehlkopfs-Entzündungen heilten. Desshalb schwärmt er für den heiligen Franciscus von Assisi, während er den nüchternen Amerikaner Channing geringschätzt. Er hegt für sein engeres Vaterland eine tiefe Anhänglichkeit. Hat er doch sogar in einem hoffnungslosen Augenblick seinen Stamm mit den Worten apostrophirt: „O du einfacher Clan von Ackerbauern und Seeleuten, dem ich es verdanke, in einem erloschenen Land die Kraft meiner Seele bewahrt zu haben!“ Man darf gewiss diesen Stimmungsausbruch nicht buchstäblich nehmen. Niemand empfindet ja tiefer als Renan, wie weit jenes Frankreich, von dem er an Strauss schrieb, es sei „als bleibender Protest gegen Pedanterie und Dogmatismus“ für Europa nothwendig, davon entfernt ist, erloschen zu sein. Aber das Wort ist für den zugleich hartnäckigen und unruhigen, schwärmerischen und skeptischen Bretagner bezeichnend. Gibt er seinen Glauben (wie hier den Glauben an Frankreich) an einem Punkte auf, so ist es nur, um anderswo mit um so wärmerer Begeisterung sich an ein Ideal anzuschliessen. Auch in der Religion hat er ein Bretagne, an welches er glaubt.

      Ernest Renan als Dramatiker.

      (1893.)

      I

      Das vornehmste Kennzeichen Renan's ist die mit den Jahren wachsende Originalität.

      Es gibt Geister, die bei ihrem ersten Auftreten sich selbständig zeigen, kräftig und vieleckig wie Sonderlinge dastehen, deren Ecken der Lauf der Welt, der Einfluss der Umgebung jedoch allmälig abschleift. Interessanter sind immerhin diejenigen, welchen nur die Anlage zur Ursprünglichkeit angeboren ist, die aber das Verhältniss zur umgebenden Welt, die äusseren Einflüsse so bereichern, so selbständig machen, dass ihre Eigenart am klarsten in ihrer Todesstunde zu Tage tritt. Ernest Renan war solch ein Geist, dessen Eigenthümlichkeit sich erst so recht im letzten Zeitabschnitte seines Lebens enthüllte. In seiner abschliessenden Periode offenbart er sich als eine Persönlichkeit, die allmälig durchaus originell geworden war.

      Er ward es in folgender Weise: Aus der Bretagne stammend, der Abkömmling einer langen Reihe schlichter Ackerbauer und Seeleute, wurde er frühzeitig zum Priester erzogen. Als Erbe hatte er einen gesunden, aber schweren, plumpen Körper mitbekommen, einen Geist, der ernst, subtil, schwärmerisch, je mehr er sich verweltlichte, um so mehr Witz zu entfalten vermochte. Er empfand stark und tief und lebte in sich zurückgezogen, verschlossen, nach Aussen hin verschämt, scheinbar furchtsam, sein inneres Leben mit der Energie der Innigkeit. Bei aller Lernbegier einer reich ausgestatteten Intelligenz wartete er in den Tiefen des Gemüthes mancher schönen Traumblüthe, erhob sich auch nicht selten zum Fluge auf den Fittigen einer keltischen sagenfrohen Einbildungskraft.

      Er schien dazu geboren, ein gläubiger, einflussreicher Geistlicher zu werden. Katholische Hymnen lagen ihm auf der Zunge, ein Duft von Weihrauch breitete sich über sein Gefühlsleben, und Salbung war in seinem Pathos.

      Indessen brachten das Studium der semitischen Sprachen, das philologische Verhältniss zur Bibel seinen Jugendglauben ins Schwanken. Er lernte deutsche Literatur und Philosophie kennen, ward von Herder ergriffen, von Hegel mit fortgerissen. Bald war sein religiöser Glaube aus allen Verschanzungen geworfen. Ein Rausch von intellectueller Begeisterung überwältigte ihn. Sein Bretagner Christenthum schien im ersten Augenblicke von der deutschen Vernunft gänzlich ausgerodet. Jene ältere französische Verstandescultur, welche die Voraussetzung der deutschen Wissenschaft war, hatte ihm keinen Abbruch gethan; denn die französische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts erregte in ihrer Dürftigkeit und Trockenheit nur seine heftige Missachtung. Das Deutschland der Jahrhundertwende schien ihm das ideale Land. Ein Land, in dem der Denker ohne Pietätlosigkeit kritisirte, ohne Frivolität leugnete, ein Land, in dem man ohne Aberglauben religiös war, und freidenkerisch ohne Spott. Hier war der Zweifel nicht Zweifel, sondern Wissenschaft, die, niemals schwankend, Vorurtheile niederriss, und niemals schwindelnd, Gedankensysteme, hoch wie Kathedralen, aufbaute. Er fühlte sich von der deutschen Pedanterie nicht abgestossen, weil sie in seinen Augen der französischen Leichtfertigkeit unendlich vorzuziehen war.

      Ein Glaube an die Wissenschaft, so feurig, wie es nur sein Glaube an die Religion gewesen, bemächtigte sich seiner. Seine Jugendschrift, das schwere Buch „L'avenir de la science“, ist ein flammendes Glaubensbekenntniss, naiv, kühn, herausfordernd, Programm und Fanfare eines Neubekehrten. Eine Wahrheit nur gibt es: die Wissenschaft, Ein Vorurtheil: den Glauben an das Uebernatürliche. Wie in ein Leichentuch hüllt er diesen Glauben in die Kutte, die er abgeworfen, und begräbt ihn für alle Zeiten. Sein Lebensziel ist, ein Pfleger der Wissenschaft zu sein. Vorläufig ist er der Verkünder ihrer Zukunft; ihr gehört das Reich, die Macht und die Herrlichkeit.

      Es war im Jahre 1848. Renan ward Optimist und Socialist. In kürzester Frist erwartete er die Verjüngung der Menschheit, die Erneuerung aller Zustände.

      Diese Gaukelbilder zerstieben nur zu rasch. Der junge Mann erhielt einen Eindruck der Wirklichkeit. In Frankreich wurden Freiheit und Republik durch einen Staatsstreich abgeschafft, und das Volk hiess ihn gut. Zu jener Zeit fiel das erste Samenkorn des Pessimismus in Renan's hoffnungsfreudige Seele.

      Allein nicht lange, und die alten Jugendgefühle mögen in seinem neuen Gedankenleben wieder aufgetaucht sein. Seine Empfindungs- und Denkweise durchdrangen und neutralisirten nicht einander, wie es im Protestantismus geschehen, wo das Gefühl bis zu einem gewissen Grade rationalisirt, der Gedanke hingegen theologisch angesteckt ist. Nein, ein durchaus katholisches Gefühl, weich, sentimental, ja zuweilen verzärtelt, erhielt sich in seiner ganzen Frische, unbeeinflusst von einem Gedankenleben, das bei aller Sanftheit kühn war bis zu einer durch nichts zu schreckenden Verwegenheit. Renan gehört zu jener grossen Gruppe von Romantikern, die ihr Leben damit verbringen, die Romantik zu bekämpfen.

      Im Uebrigen blieb er als Mensch im Privatleben unweltlich, von sanfter Stätigkeit, Idealist ohne Unklugheit. Er kam in den letzten zwanzig Jahren mit jeder französischen Regierung gut aus.

      Renan führt selbst mit voller Billigung die Aeusserung eines Freundes an: er denke wie ein Mann, fühle wie ein Weib und handle wie ein Kind. Er fühlte zwar stark, doch wie jene Frauen, mit denen das Herz nie durchgeht, er handelte unweltmännisch, doch wie jene Kinder, deren Unbekanntschaft mit dem Leben eine gewisse instinktive Klugheit nicht ausschliesst.

      Seine Empfindungsweise machte sein Denken geschmeidig, geschmeidiger, als man es vielleicht je gesehen, wenn nicht bei so grossen Geistern wie Goethe oder so feinen wie Sainte-Beuve. Seine Stärke bestand darin, das Zusammengesetzte, Reichabgestufte zu erfassen. Während sein Freund und Zeitgenosse Taine, der ebenso entschieden wie er dazu veranlagt war, zu verstehen, überall nach den Grundlinien suchte, nach dem Festen und Bleibenden in der Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit der Erscheinungen, dem Knochenbau, dem Granit, den Höhenzügen, den Wasserscheiden, von denen aus man die Lebensfluthen sich theilen und nach verschiedenen Seiten strömen sieht, verfolgte Renan den Lauf dieser Flüsse in allen seinen Krümmungen und Windungen. Er scheute das Grelle, Ausgesprochene. Andere sahen und sehen die Wahrheit in klaren kräftigen Farben, sehen sie roth oder blau oder glänzend weiss. Dass sie sich in so umfangreiche Worte einfangen liesse, schien ihm nimmermehr glaublich. Er erblickte sie in den Nuancen, in den unmerklichen Uebergängen von der einen Farbe zu der andern. Und wenn er im Handeln ein Kind war, so lag der Grund darin, dass man, wie schon oben gesagt, in Nuancen nicht zu handeln vermag.

      Doch aufzufassen vermag man sie, und der feinste Geist ist jener, der sie am sichersten auffasst. Renan war dazu veranlagt, lauter Schattirungen zu sehen, mit Takt die richtige herauszufinden und sie bei ihrem schwer bestimmbaren Namen zu nennen.

      Der Einfalt seiner Kindheit war bei ihm die unendlich vielfältige Empfänglichkeit des modernen Kritikers gefolgt.

      So entwickelt und ausgestattet, fand er den Stoff, der sein ganzes Leben hindurch den Gegenstand seiner Forschung und einen der Hauptgegenstände seiner Darstellungskunst bilden sollte. Die in solcher Weise ausgerüstete jugendliche Persönlichkeit stand von Angesicht zu Angesicht dem Geiste Israels gegenüber. Er, der junge,

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