Moderne Geister. Georg Brandes
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Ich sah Thränen in seinen Augen und sagte ihm Lebewohl. Ich habe ihn seit dem Tage nicht wiedergesehen. Er gewann schnell seine Ruhe und seine Herrschaft über den Schmerz zurück. Aber in jenen Augenblicken war Renan ein anderer, als da er schrieb: „Der Gelehrte ist Zuschauer im Weltall. Er weiss, dass die Welt ihm nur als Studiengegenstand gehört, und selbst wenn er sie bessern könnte, würde er sie vielleicht so anziehend finden, wie sie ist, dass er die Lust dazu verlöre“. Vollständig ernst hat Renan wohl nie diese kühlen und theilnahmlosen Worte gemeint; wenn aber doch, so durchlebte er im Jahre 1870 Gemüthsbewegungen, während derer sie für ihn keinen Sinn mehr hatten.
In einem alten Buche „Die französische Aesthetik unserer Tage“ habe ich zu schildern versucht, welchen demoralisirenden Einfluss während des zweiten Kaiserthums das Leben unter der Herrschaft und dem Druck des fait accompli auf die französischen Gelehrten ausübte. Eine Neigung zum Quietismus und Fatalismus, zum Gutheissen alles einmal Vollbrachten kennzeichnet unter Napoleon III. die französische Geisteswissenschaft überhaupt. Spuren dieses Einflusses merkte man überall im geselligen Leben, in den Gesprächen. Die völlige Freiheit von Enthusiasmus war mit Bildung und Reife fast synonym geworden. Ein junger Fremder hatte täglich Gelegenheit, über die Zurückhaltung und die Passivität selbst der Besten sich zu wundern, sobald die Rede auf irgend ein praktisches Ziel kam, und ich erinnere mich, dass ich eines Abends im Mai 1870, missmuthig nach Hause gekommen, in mein Notizbuch schrieb: „Es gab einmal ein anderes Frankreich“. Es hatte doch einmal ein waches, begeistertes, poetisches, für die ganze Menschheit fühlendes Frankreich gegeben. Es scheint, dass ein solches Frankreich nach und nach wieder aus der Erniedrigung hervorgehen wird, die, wenn sie auch nichts anderes gutes mit sich führte, wenigstens allen edel strebenden Geistern aufs neue die Richtung nach der Wirklichkeit hin gegeben hat.
IV
Doch um die Wirklichkeit zu erreichen, ist es vor Allem nothwendig, dass man in Frankreich die Augen dafür offen hat, was jene Erniedrigung bedeutete und was Deutschland in unseren Tagen ist, und dass man sich nicht begnügt, seinen beschwerlichen Nachbarn in dem Zerrspiegel des Hasses zu sehen. In dieser Hinsicht haben die ersten und kenntnissreichsten Männer des Landes eine grosse Verantwortlichkeit, Niemand eine grössere als Renan, der ohne Zweifel in den letzten fünfzehn Jahren als der feinste Geist Frankreichs betrachtet worden ist. Andere, wie Victor Hugo, haben einen grösseren Leserkreis, wieder Andere, wie die Theaterdichter, eine mehr lärmende Popularität, aber in der Elite des Volks ist schon lange Niemand so hoch angeschrieben, so unangefochten, als Schriftsteller so bewundert wie Renan. Seine Form galt und gilt für die vornehmste in Frankreich. Keine Prosa wird je von den wählerischen Kennern, den Meistern des Gedankens, den Männern der Wissenschaft und denen unter den Damen, auf deren Urtheil man etwas giebt, in gleiche Linie mit der seinigen gestellt. Alle Schriftsteller werden, mit ihm verglichen, für grob oder alltäglich oder gezwungen, für farblos oder buntscheckig gehalten. Nennt man Goncourt, heisst es: „Wie können Sie ihn neben Renan nennen; er ist gesucht, Renan natürlich“. Spricht man von Taine, so wird man gebeten, einen Geist, der unter Maschinendruck arbeitet, nicht mit einem zu vergleichen, dessen Einfälle ihm ohne Anstrengung zuströmen; About ist ein Spassmacher, Flaubert ein Leberkranker; alle sind sie entweder manierirt oder dickhäutig, unfein, plump, neben Renan gehalten. Eselreiter sind sie; er allein sitzt droben in der Höhe auf seinen den Kopf so hoch tragenden morgenländischen Dromedaren mit den zierlichen Beinen. Dies war der Eindruck, den ich noch 1879 von Gesprächen in verschiedenen Kreisen empfing.
Schon 1870 war der Ruhm Renan's ja so hoch gestiegen, dass sich keine Stimme gegen ihn erhob, ja nicht einmal Verwunderung geäussert wurde, als er in seinem ersten bekannten Brief an Strauss ohne weiteres als der Vertreter Frankreichs Deutschland gegenüber auftrat. Man gab ihm stillschweigend den selbstgenommenen Auftrag.
Bis 1870 war er, wie schon berührt, in seinem Vaterland der Fürsprecher deutscher Ideen, deutschen Geistes gewesen. Es konnte nicht wundern, dass er von jenem Zeitpunkte ab damit aufhörte. Aber er that mehr, er schlug um. In einer patriotischen Stimmung der Reue begann er, um gleichsam sich und Andern den Ablass zu erkaufen, all seinen Schriften einen Stachel gegen Deutschland zu geben. In den Briefen an Strauss gab er diesem eine Lehre, die zum Theil wohl verdient war, aber in seinem Werk „Der Antichrist“ (d. h. Nero) mischte er in störender Weise die Erinnerung an die Belagerung von Paris in die Schilderung der Eroberung von Jerusalem unter Titus hinein; in seiner Antrittsrede in der französischen Akademie machte er den bekannten Ausfall gegen das deutsche Reich mit dessen „geistlosem Adel und grossen Feldherrn ohne wohlklingende Worte“ (des grands capitaines sans des mots sonores) so ungeschickt, dass derselbe wie eine Selbstironie aussah. Denn Ducrot, der das wohlklingende Wort aussprach, er werde nur als Sieger oder als Leiche zurückkehren und der dann als le général ni l'un ni l'autre zurückkam, schien förmlich hier als der rechte Mann gegen den phrasenlosen Moltke aufgestellt, der zwar gern schwieg, jedoch in aller Stille jede Schlacht, die er jemals kommandirt, gewonnen hatte. Vergeblich suchte Renan diese Unbesonnenheiten in seinem grossen „Brief an einen deutschen Freund“ wegzuerklären, der ja übrigens wie Alles, was er geschrieben hat, vor Geist leuchtet und mit all den Facetten der vornehmen Ueberlegenheit glänzt.
Sein Drama „Caliban“ machte Aufsehen. Der Eindruck war: ein Mann, der seiner eigenen Ansicht nach sich ganz gut damit begnügen könne seine Weltverachtung für sich zu behalten, der doch aber nichts dagegen habe – ganz fein, indirect, durch das Summen einer Melodie, die andere, plumpere Sänger halbwegs zu Ende gesungen hätten, – den Zeitgenossen wissen zu lassen, wie grenzenlos er sie geringschätze.
Man konnte in das Schauspiel „Der Jungbrunnen“, die als Fortsetzung des „Caliban“ erschien, ziemlich weit hinein lesen, und die vielen olympischen Gedanken geniessen, für welche nur Renan Ausdruck hat, ohne viel mehr daraus zu verstehen, als dass der Verfasser jetzt ernstlich die Demokratie mit sich und sich mit der Demokratie versöhnen wolle; aber das Vergnügen hörte plötzlich auf, wo im vierten Act der deutsche Gesandte hereintritt. Denn hier hat sich Renan herabgelassen, die alte, abgedroschene Karikatur des deutschen Wesens vorzuführen, welche die Franzosen hundertmal gezeichnet haben.
Jedermann, der in französischer Literatur ein wenig belesen ist, weiss, wie unmittelbar auf eine Epoche, in welcher kindliche Güte, Wahrhaftigkeit, Unweltlichkeit, blauäugige Unschuld und Herzlichkeit in französischen Büchern regelmässig durch einen Deutschen vertreten wurden, eine andere gefolgt ist, in welcher die besten Schriftsteller, wie Cherbuliez, wie Dumas und viele andere ein Vergnügen daran gefunden haben, die kalte, kluge Grausamkeit, die Falschheit, die herzlose Brutalität, französisch mit deutscher Betonung sprechen zu lassen. Nachdem man fünfzig Jahre hindurch nach dem Beispiel Frau von Staëls in Deutschland nichts anderes als das gutmüthige Idyllenland gesehen hatte, in welchem weissgekleidete, blonde Pfarrerstöchter Klopstock und Schiller mit bleichen und linkischen