Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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die Männer als Spione aus Lust zum Handwerk und als Raubmörder aus Ueberzeugung aufzufassen. Was den Aberglauben an die Spionage betrifft, die ja die Niederlagen erklären und entschuldigen sollte, scheint das französische Volk, ja sogar die gute Gesellschaft in Frankreich sich noch nicht nach den Zeiten des Krieges erholt zu haben. Man bildet sich in vollem Ernste ein, dass Bismarck äusserst neugierig gewesen zu erfahren, was sich Herr Durand und Frau Duval in einer Abendgesellschaft sagten; man glaubt, dass er preussische Generalstabsofficiere, die sich willig dazu hergaben, für Lakaien ausgab und in guten Häusern Dienst verschaffte; man meint, wie ich 1879 in Paris es von vorzüglichen Gelehrten hörte, dass der hochbegabte deutsche Schriftsteller Karl Hillebrand, der ohne Vergleich kenntnissreichste Beobachter Frankreichs ausserhalb Frankreichs, Späherdienste in den Salons von Paris geleistet habe. Schauspiele, wie Dora von Sardou oder wie La femme de Claude von Dumas oder Romane wie La grande Iza, in dem man Briefe mit dem Poststempel Varzin in den Schubladen eines leichtfertigen Frauenzimmers findet, endlich der Prozess gegen Frau Kaulla und die übrigen verwandten Prozesse zeigen, dass der Schaden, den Frankreich durch die Demüthigungen an seinem Gehirn litt, noch nicht geheilt worden ist.

      In dem Drama Renan's ist die deutsche Brutalität der Gegenstand, auf den besonders gezielt wird. Das Stück, das in Avignon um das Jahr 1310 unter dem babylonischen Exil der Päpste vor sich geht, dreht sich um einen Lebenselixir, den Prospero, der vertriebene Herzog von Mailand, ein ausgezeichneter Philosoph und Alchymist, erfunden hat. Kaum ist die Erfindung bekannt geworden, als der Kaiser von Deutschland einen Legaten schickt, um Prospero zu einem Besuch bei ihm zu überreden, damit er durch List oder Gewalt sich in den Besitz des wunderthätigen Getränkes setzen könne. Dieser Gesandte sagt bei seinem ersten Auftreten auf die Bühne unter anderem:

      „Fürchte unsererseits keine Lächerlichkeiten, keine Spur von Sentimentalität. (Er bricht in Lachen aus.) Ich bin in alten Tagen Idealist und Träumer gewesen; jetzt aber sehe ich ein, wie lächerlich die Grossmuth ist; sei ruhig, ich bin ein positiver Mann, ein ernster Mann. Meine Collegen, die Diplomaten, sind alle zusammt Dummerjahns. Jeder von ihnen ist der Dümmste in Europa. (Er lacht). Ich bin witzig, nicht wahr? …

      Seine Majestät, der Kaiser, mein Herr, handelt nie anders als nach den strengsten Principien der Gesetzlichkeit. Aber die politische Nothwendigkeit hat ihre Forderungen. Das Schloss Kniphausen ist ihm für seine Souveränität nothwendig. Du begreifst, dass wir uns nicht von den Kleinlichkeiten aufhalten lassen, die sentimentale Menschen zurückhalten würden“.

      Die Franzosen, die jetzt so lebhaft gegen deutsche Heuchelei losziehen, müssen sich bald vorsehen, dass man nicht gezwungen wird, den Spiess gegen sie zu drehen und sie selbst Heuchler zu nennen wegen dieses ewigen Appells an das Gefühl auf einem Gebiete, wo sie selbst noch niemals von anderen Rücksichten als rein politischen sich haben leiten lassen. Das Volk, das Ludwig dem Vierzehnten und Napoleon dem Ersten folgte, das die Pfalz brandschatzte und die drei Viertel Europas eroberte, sollte sich über dies Fürsprechen der Gefühlspolitik schämen. Die sentimentalen Rücksichten, die Napoleon von irgend einem Unternehmen zurückhielten, das seinem wirklichen oder vermeintlichen Interesse entsprach, sucht der Historiker noch immer vergebens.

      Als Gegenstück zu dem deutschen Gesandten wird Léolin, das ideale Selbstbild Renan's eingeführt, ein wandernder Ritter und Troubadour, von der Geburtsgegend des Verfassers, Bretagne. Der, welcher von dem Zauberwasser trinkt, sieht im Traum den Gegenstand seiner Sehnsucht und erreicht das Ziel seiner Begierde; als Léolin einige Tropfen trinkt, sucht und umarmt er deshalb mit Entzücken die verklärte Gestalt seiner verstorbenen Schwester. (Bekanntlich verlor Renan während eines Aufenthalts in Palästina seine einzige hochgeliebte Schwester, deren Andenken er „Das Leben Jesu“ gewidmet hat.)

      Nun ist die Reihe an dem Deutschen zu trinken. Mit thierischer Gier reisst er den Becher an sich und schlürft den starken Trank bis zur Neige, dass er sogleich wie vom Blitz getroffen zum Boden stürzt, dann schnarcht, und endlich zu träumen anfängt. Was glaubt man, dass er jetzt sagt?

      „Sieg! Sieg! hängt, brennt, erschiesst! Wir sind die Herren, Alles ist uns erlaubt um sie zum Unterschreiben von Allem, was wir wollen, zu bewegen. Grossmuth! Sentimentalität! lauter Dummheiten!

      Wie ärgerlich! Die Truppen sind allzu milde; unsere Leute verstehen wohl todtzuschlagen, aber nicht hinzurichten. Man sollte alle Dörfer verbrennen, alle Mannspersonen aufhängen. So geben sie es wohl auf, sich zu vertheidigen. (Er lacht.) Gefangene! … Unbegreiflich, dass man Leute, die sich vertheidigen, gefangen nimmt. Man sollte sie erschiessen … Man sollte höflich gegen sie sein bis zur obersten Stufe des Schaffots (er lacht vor Vergnügen); aber man sollte sie aufhängen … Man muss den Krieg so grausam wie möglich führen. Sentimentalität! welch lächerliches Ding! Man soll erschiessen, man soll hängen, man soll verbrennen … ah! welch ein angenehmer Geruch! es riecht wie gebratene Zwiebel; es sind Bauern, die man in ihren Häusern verbrennt. Von 160 sind 120 mit Säbeln niedergehauen worden. Ihr Schufte! Warum habt Ihr die übrigen geschont? Wisset Ihr nicht, dass Sentimentalität lächerlich ist? … Wesshalb beginnt man nicht das Bombardement? Man kann leicht das psychologische Moment versäumen“.

      Und so noch weiter, Seite auf, Seite ab. Ist dies nicht sonderbar direct und nuancenlos? Welch ein Keulenschlag nach dem Schmetterling der Wahrheit! Welch ein Uebermass polemischer Leidenschaft! Ich will bei der künstlerischen Versündigung gar nicht verweilen, diese vermeintliche Bismarckiade in das Jahr 1310 zu verlegen und mit Ausdrücken wie das „psychologische Moment“ aus dem Ton zu fallen. Wie ist aber all' dies krankhaft bitter! Glaubt Renan wirklich, dass es die Denkart war, die sich hier geltend macht, die in dem grossen Schreckensjahr Frankreich besiegte? Ahnt er wirklich noch nicht, dass die Genialität und das Wissen der Führer, Mannszucht, Pflichtgefühl und Heldenmuth der Geführten das war, was den Ausschlag gab?

      Das Unglück ist: Renan kennt Deutschland nicht mehr, kennt es noch weniger als Cherbuliez. Die beiden Männer zehren jetzt an den Eindrücken von Büchern und Zeitungen, lesen mit feindlichen Blicken und machen sich dann Luft in Karikaturen wie Renan oder in witzigen Anzüglichkeiten wie Cherbuliez, und da sie in gar keiner directen persönlichen Beziehung zu Deutschland stehen, nicht mit ihren Augen sehen, nicht mit ihren Ohren hören, so verlieren sie nach und nach die Auffassungsgabe und beurtheilen Deutschland, wie der ungebildete Deutsche Frankreich beurtheilt, wenn er über die französische Unsittlichkeit und desgleichen lamentirt. Aber Renan, der schon 1870 die gegenseitige Verleumdung der Völker als die verhängnissvollste Folge des Krieges voraussah, hätte mehr als irgend ein Anderer auf seiner Hut dagegen sein sollen, besonders seitdem der grosse Krieg bewiesen hat, wie theuer jedes Volk für solche Irrthümer büsst.

      V

      Mit wechselnden Gefühlen hat Renan der Entwickelung des republikanischen Frankreichs zugeschaut. Obwohl die Republikaner ihm fast sogleich seinen Lehrstuhl zurückgaben, zeigten sie sich doch Renan, wie den übrigen Freunden des Prinzen Napoleon gegenüber, ziemlich kühl und reservirt. Durch und durch aristokratischer Gesinnung wie er ist, gab er in „Caliban“ der Demokratie die glatte Lage, sagte jedoch nichts desto weniger kurz nachher in dem seine Antrittsrede in die französische Akademie erklärenden Brief an einen deutschen Freund: „Wenn nun, während Eure Staatsmänner in dieses undankbare Geschäft (der Ahndung) vertieft sind, der französische Bauer mit seinem groben Verstande, seiner unübertünchten Politik, seiner Arbeit und seinen Ersparnissen glücklich eine ordnungsliebende und dauerhafte Republik gründete! Das wäre spasshaft! Nicht wahr?“ Renan ist Skeptiker genug um immer den Zweifel bereit zu haben und sich häufig zu widersprechen, Patriot und Philosoph genug, um sich zuletzt mit jeglicher Staatsform zu befreunden, welche die Mehrzahl seiner Landsleute befriedigt und ihrem geistigen Standpunkt entspricht.

      Renan ist, wie schon erwähnt, Bretagner und hat die Eigenschaften seiner Race. Die Bretagner in der neueren französischen Literatur haben einen gemeinschaftlichen Zug. Wie Chateaubriand und Lamennais, hasst Renan das Alltägliche, das Gutmüthig-Frivole, und hat, während er eine Beute des Zweifels ist, das heisseste Bedürfniss nach einem Glauben und einem Ideal. Desshalb hat er, der grosse Wundervertreiber,

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