Moderne Geister. Georg Brandes
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Persönlich ist auch die folgende Wendung, gelegentlich einer von der Inquisition vorgenommenen Durchsuchung seiner Schriften, bei der man ihm räth, dies und das zu widerrufen. – „Es nützt nichts. Alles an mir ist dennoch Ketzerei“. – „Eben, das schadet weit weniger“. – Mit anderen Worten, es ist allein die geistlos isolirte Einzelheit, welche die Ketzerverfolger verstehen.
Ungeachtet aller Widerwärtigkeiten, Verfolgungen, Enttäuschungen verliert Prospero seine Zukunftshoffnung nicht. Dies sein Gedanke: Der Fall des Würfels, der tief unten an den Lebensquellen geworfen wird und entscheidet, ob ein Hirn begabt oder unbegabt, ein Weib schön oder unschön sei, findet so häufig statt, dass die Zukunft des Wahren, des Guten, des Schönen gesichert ist. Die Natur hat unendliche Zeit vor sich. Was liegt daran, ob hunderttausendmal der Schuss fehlgehe, wenn unzählige Male geschossen wird und nur Eine Kugel ins Centrum trifft. – Prospero selbst ist mit seinem Lose zufrieden: „Ich war eine seltene Quarterne in der grossen Lotterie. Der Kelch des Lebens ist herrlich. Es ist thöricht, zu klagen, weil man ihm auf den Grund schaut“. – Er hat nur einen Wunsch: „Lasst mich kein betrübtes Antlitz sehen, keinen Seufzer hören, wenn ich nun sterbe!“ Und er verscheidet, von Brunissende zum Abschiede geküsst.
Die Cardinäle bemächtigen sich seines Leichnams, lassen ihn in ein Boot legen, auf die Rhône hinausrudern und ins Wasser werfen. „Findet man seine Leiche auf, so sagen wir der Bevölkerung, er hätte sich ertränkt; findet sie sich nicht, so sagen wir, der Teufel habe ihn geholt“.
Es liegt echt Renan'sche Ironie in der Perspective, die sich hiemit für Prospero's Andenken eröffnet. Im selben Geiste bespricht er in der Vorrede zu seinem letzten Buche die gegen ihn gerichtete Beschuldigung, er hätte von Rothschild eine Million dafür bekommen, „Die Geschichte Israel's“ zu schreiben. Seine Feinde behaupten, seine Freunde bestreiten es. Die unparteiische Geschichtsschreibung der Zukunft wird, meint er, einen Mittelweg einschlagen und feststellen, dass er 500,000 Francs empfangen habe.
III
Von Renan's drei ersten Dramen dürfte das gedankenreichste und tiefsinnigste denn doch „Der Priester in Nemi“ sein.
Die Fabel knüpft an eine Erzählung vom Tempel der Diana am Ufer des Nemi-Sees an, dessen Priester, um gesetzlich angestellt zu werden, (nach Strabo) seinen Vorgänger erschlagen haben soll. Renan denkt sich einen Priester im grauen Alterthum in Nemi, einen aufgeklärten Mann, der seinen Vorgänger nicht hat tödten wollen, sondern eine veraltete, vernunftwidrige Religion zu reformiren gedenkt, und zeigt nun, was die Folgen davon seien, ein Fünkchen Vernunft ins Menschenleben einführen zu wollen.
Es hat das eine doppelte Folge. Erstens fordert der Haufe, der sich nie eher zufrieden gibt, als bis glücklich eine Unthat verübt worden, einen regelrechten Verbrecher und Mörder zum Priester.
Zweitens kommt der freisinnige Priester sehr bald zu der Einsicht, dass er mit seinen guten Absichten mehr Uebles als Gutes gestiftet habe, indem er Vorurtheile antastete, auf welchen das Selbstbewusstsein seiner Landsleute beruhte. Man greift ihn als Feind der Religion an, er selbst aber ist religiöser als sie, die im Namen der Religion ihn bekämpfen. In der „Marseillaise“ stehen die bekannten Zeilen:
Liberté, liberté chérie,
Combat avec tes défenseurs!
Er kehrt in seiner Anrufung den Ausdruck um: Heilige Ueberlieferung der Vorzeit! Streite an der Seite derer, die dir widersprechen!
In Wirklichkeit ist der Priester zu Nemi nur der leicht umgewandelte Prospero. Allein er steht in einem neuen Verhältnisse zum Weibe. Sie ist nicht mehr die strahlende Courtisane, sie ist hier die von Gott (das heisst vom Priester) begeisterte Sibylle, die den Tempeldienst versieht. Carmenta ist der ewigen Jungfräulichkeit geopfert worden und leidet darunter, sie, die geschaffen, die Füsse ihres Messias zu salben und zu küssen.
„Vater“, spricht sie zu ihm, „wenn ich bei dir bin und deine Worte höre, so fühle ich, dass das Leben darin ist, obgleich ich dich nicht immer verstehe. Da bin ich denn zu jedem Opfer bereit und nehme mein Schicksal hin, so hart es ist. Doch, hält dein Blick mich nicht länger aufrecht, so falle ich zusammen“. Antistius antwortet ihr als wahrer Priester, dass das Weib den Mann, der Mann Gott lieben solle, und dass die Sendboten Gottes mehr geliebt werden sollen und müssen, als sie lieben.
Carmenta ist das den Genius des Mannes bewundernde Weib, während Imperia und Brunissende die blos fungirende Weiblichkeit repräsentirten, die vom Manne bewundert wird.
Nemi gehört zu Albalonga, das eine alte Kultur besitzt. Gegenüber liegen die sieben kahlen Hügel, auf welchen sich in Kurzem das junge, rohe kräftige Rom erheben wird. (Es wird hier auf das Verhältniss zwischen Frankreich und Deutschland angespielt.)
Carmenta prophezeit, dass eine Zeit kommen werde, da alle Welt Latein spricht. Sie prophezeit Rom eine ungeheure Zukunft, eine weit längere, als sie Albalonga beschieden sei. Sie prophezeit, dass eine neue Religion von Osten kommen und sich Europa unterwerfen werde.
Man betrachtet sie als halb verrückt und ihren Meister, der ihr solches in den Mund lege, als einen Landesverräther. Nein, da ist Tertius ein weit besserer Patriot. Er leugnet unbedingt, dass Rom eine Zukunft habe, nimmt Alles, was nur ehrenvoll für Albalonga, als gegeben an und will von nichts wissen, was nicht ursprünglich und authentisch Albalongisch.
Die echten Patrioten seines Schlages reizen zu einem unnöthigen und wahnwitzigen Kriege gegen Rom auf, den zu hintertreiben Antistius vergebens Alles aufbietet. Um den Sieg zu erlangen, bringen die Vaterlandsfreunde ihm eine Schaar junger Männer, die er auf ihren Wunsch den Göttern opfern soll. Allein der Priester weiss, dass der Glaube an Götter eine Lästerung Gottes, der Glaube an Gott eine Lästerung des Göttlichen sei. Er will die Gefangenen nicht opfern. Er spricht, ungefähr wie Jesaia lange vor ihm: „Seid gerecht, lasst Güte und Vernunft eure höchsten Götter sein!“ Die Patrioten erwidern, nicht dazu brauchten sie einen Priester, nicht dazu einen Tempel, um solche Wahrheiten verkündet zu hören. Sie hassen und verachten ihn als Gottesleugner und Schwächling.
Und des Antistius Widerstand ist fruchtlos. Andere rechtgläubige, conservative und verschmitzte Tempeldiener werden hinter seinem Rücken die Gefangenen dennoch ermorden, und nicht einmal diese selbst, vorbereitet wie sie auf den Tod waren, sind ihm für ihre vorläufige Befreiung im geringsten dankbar. Auch sie finden ihn halbverrückt und verleugnen ihn. Selbst die, welche er befreit, wissen ihm keinen Dank. Wohl mag er sich fragen, ob es der Mühe werth sei, sich für eine Brut zu opfern, die so tief steht und so unabwendbar der Unwahrheit geweiht ist. Er fühlt, dass geistige Einsamkeit das Los derer ist, die durch Geist oder Gemüth die Menge überragen.
Schlimmer für ihn ist jedoch die Einsicht, zu der er gelangt, dass die Anderen zum Theile Recht haben. Er begreift, dass er die Widerstandskraft seines Vaterlandes schwächt, wenn er über Rom die Wahrheit sagt, den Glauben an den Nationalgott zerstört und mit den barbarischen Bräuchen bricht, an denen sein Volk noch hängt.
Ja, nicht einmal seiner eigenen geistigen Befreiung kann er so recht froh werden. Anfangs empfand er sie als eine grosse Erleichterung, dann aber erkannte er, dass die Menschheit enger Gedanken bedürfe. Jeder Einzelne will seinen Gott haben, einen Gott, mit dem er schwatzen kann. Zuletzt hält Antistius sich kaum für berechtigt, etwas zu sagen oder zu thun, was sein Volk daran hindern könnte, zu siegen. Und doch summt es ihm im Ohr: Wehe der siegreichen Nation: Niemand ist dem Fortschritte feindlicher als sie. Dem Siege folgt stets die Reaction. Der Sieger ist der schlimmste