Der Richter und sein Henker. Grieche sucht Griechin / Судья и его палач. Грек ищет гречанку. Книга для чтения на немецком языке. Фридрих Дюрренматт
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Читать онлайн книгу Der Richter und sein Henker. Grieche sucht Griechin / Судья и его палач. Грек ищет гречанку. Книга для чтения на немецком языке - Фридрих Дюрренматт страница 14
Der Andere spielte gedankenverloren mit dem türkischen Messer. „Dass ich so etwas ähnliches wie ein Verbrecher bin, kann ich nun nicht gerade ableugnen“, sagte er endlich nachlässig. „Ich wurde ein immer besserer Verbrecher und du ein immer besserer Kriminalist: Den Schritt jedoch, den ich dir voraus hatte, konntest du nie einholen. Immer wieder tauchte ich in deiner Laufbahn auf[176] wie ein graues Gespenst, immer wieder trieb mich die Lust, unter deiner Nase sozusagen immer kühnere, wildere, blasphemischere Verbrechen zu begehen, und immer wieder bist du nicht imstande gewesen, meine Taten zu beweisen. Die Dummköpfe konntest du besiegen, aber ich besiegte dich.“
Dann fuhr er fort, den Alten aufmerksam und wie belustigt beobachtend: „So lebten wir denn. Du ein Leben unter deinen Vorgesetzten, in deinen Polizeirevieren und muffigen Amtsstuben, immer brav eine Sprosse um die andere auf der Leiter deiner bescheidenen Erfolge erklimmend, dich mit Dieben und Fälschern herumschlagend, mit armen Schluckern, die nie recht ins Leben kamen, und mit armseligen Mörderchen, wenn es hochkam, ich dagegen bald im Dunkeln, im Dickicht verlorener Großstädte, bald im Lichte glänzender Positionen, ordenübersät, aus übermut das Gute übend, wenn ich Lust dazu hatte, und wieder aus einer anderen Laune heraus das Schlechte liebend. Welch ein abenteuerlicher Spaß! Deine Sehnsucht war, mein Leben zu zerstören[177], und meine war es, mein Leben dir zum Trotz zu behaupten. Wahrlich, eine Nacht kettete uns für ewig zusammen[178]!“
Der Mann hinter Bärlachs Schreibtisch klatschte in die Hände, es war ein einziger, grausamer Schlag: „Nun sind wir am Ende unserer Laufbahn“, rief er aus. „Du bist in dein Bern zurückgekehrt, halb gescheitert, in diese verschlafene, biedere Stadt, von der man nie recht weiß, wie viel Totes und wie viel Lebendiges eigentlich noch an ihr ist, und ich bin nach Lamboing zurückgekommen, auch dies nur aus einer Laune heraus: Man rundet gern ab, denn in diesem gottverlassenen Dorf hat mich irgendein längst verscharrtes Weib einmal geboren, ohne viel zu denken und reichlich sinnlos, und so habe ich mich denn auch, dreizehnjährig, in einer Regennacht fortgestohlen. Da sind wir nun also wieder. Gib es auf, Freund[179], es hat keinen Sinn. Der Tod wartet nicht.“
Und jetzt warf er, mit einer fast unmerklichen Bewegung der Hand, das Messer, genau und scharf Bärlachs Wange streifend, tief in den Lehnstuhl. Der Alte rührte sich nicht. Der andere lachte:
„Du glaubst nun also, ich hätte diesen Schmied getötet?“
„Ich habe diesen Fall zu untersuchen“, antwortete der Kommissär.
Der Andere stand auf und nahm die Mappe zu sich.
„Die nehme ich mit.“
„Einmal wird es mir gelingen, deine Verbrechen zu beweisen“, sagte nun Bärlach zum zweiten Male: „Und jetzt ist die letzte Gelegenheit.“
„In der Mappe sind die einzigen, wenn auch dürftigen Beweise, die Schmied in Lamboing für dich gesammelt hat. Ohne diese Mappe bist du verloren. Abschriften oder Fotokopien besitzest du nicht, ich kenne dich.“
„Nein“, gab der Alte zu, „ich habe nichts dergleichen.“
„Willst du nicht den Revolver brauchen, mich zu hindern?“ fragte der Andere spöttisch.
„Du hast die Munition herausgenommen[180]“, antwortete Bärlach unbeweglich.
„Eben“, sagte der Andere und klopfte ihm auf die Schultern. Dann ging er am Alten vorbei, die Türe öffnete sich, schloss sich wieder, draußen ging eine zweite Türe. Bärlach saß immer noch in seinem Lehnstuhl, die Wange an das kalte Eisen des Messers gelehnt. Doch plötzlich ergriff er die Waffe und schaute nach. Sie war geladen.[181] Er sprang auf, lief in den Vorraum und dann zur Haustür, die er aufriss, die Waffe in der Faust:
Die Straße war leer.
Dann kam der Schmerz, der ungeheure, wütende, stechende Schmerz, eine Sonne, die in ihm aufging, ihn aufs Lager warf, zusammenkrümmte, mit Fiebergluten überbrühte, schüttelte. Der Alte kroch auf Händen und Füßen herum[182] wie ein Tier, warf sich zu Boden, wälzte sich über den Teppich und blieb dann liegen, irgendwo in seinem Zimmer, zwischen den Stühlen, mit kaltem Schweiß bedeckt. „Was ist der Mensch?“ stöhnte er leise, „was ist der Mensch?“
Zwölftes Kapitel
Doch kam er wieder hoch.[183] Nach dem Anfall fühlte er sich besser, schmerzfrei seit langem. Er trank angewärmten Wein in kleinen, vorsichtigen Schlucken, sonst nahm er nichts zu sich. Er verzichtete jedoch nicht, den gewohnten Weg durch die Stadt und über die Bundesterrasse zu gehen, halb schlafend zwar, aber jeder Schritt in der reingefegten Luft tat ihm wohl. Lutz, dem er bald darauf im Bureau gegenübersaß, bemerkte nichts, war vielleicht auch zu sehr mit seinem schlechten Gewissen beschäftigt, um etwas bemerken zu können. Er hatte sich entschlossen, Bärlach über die Unterredung mit von Schwendi noch diesen Nachmittag zu orientieren, nicht erst gegen Abend, hatte sich dazu auch in eine kalte, sachliche Positur mit vorgereckter Brust geworfen, wie der General auf Traffelets Bild über ihm, den Alten in forschem Telegrammstil unterrichtend. Zu seiner maßlosen überraschung hatte jedoch der Kommissär nichts dagegen einzuwenden, er war mit allem einverstanden, er meinte, es sei weitaus das Beste, den Entscheid des Bundeshauses abzuwarten und die Nachforschungen hauptsächlich auf das Leben Schmieds zu konzentrieren. Lutz war dermaßen überrascht, dass er seine Haltung aufgab[184] und ganz leutselig und gesprächig wurde.
„Natürlich habe ich mich über Gastmann orientiert“, sagte er, „und ich weiß genug von ihm, um überzeugt zu sein, dass er unmöglich als Mörder irgendwie in Betracht kommen kann.“
„Natürlich“, sagte der Alte.
Lutz, der über Mittag von Biel einige Informationen erhalten hatte, spielte den sicheren Mann: „Gebürtig aus Pockau in Sachsen[185], Sohn eines Großkaufmanns in Lederwaren, erst Argentinier, deren Gesandter in China er war – er muss in der Jugend nach Südamerika ausgewandert sein – dann Franzose, meistens auf ausgedehnten Reisen. Er trägt das Kreuz der Ehrenlegion und ist durch Publikationen über biologische Fragen bekannt geworden. Bezeichnend für seinen Charakter ist die Tatsache, dass er es ablehnte, in die Französische Akademie aufgenommen zu werden. Das imponiert mir.“
„Ein interessanter Zug[186]“, sagte Bärlach.
„Über seine zwei Diener werden noch Erkundigungen eingezogen.[187] Sie haben französische Pässe, scheinen jedoch aus dem Emmental zu stammen. Er hat sich mit ihnen an der Beerdigung einen bösen Spaß geleistet.“
„Das scheint Gastmanns Art zu sein[188], Witze zu machen“, sagte der Alte.
„Er wird sich eben über seinen toten Hund ärgern. Vor allem ist der Fall Schmied für uns ärgerlich. Wir stehen in einem vollkommen falschen Licht da. Wir können von Glück reden, dass ich mit von Schwendi befreundet bin. Gastmann ist ein Weltmann und genießt das volle Vertrauen schweizerischer Unternehmer.“
„Dann wird er schon richtig sein“, meinte Bärlach.
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