Śnieżka musi umrzeć. Nele Neuhaus

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Śnieżka musi umrzeć - Nele Neuhaus Gorzka Czekolada

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Volkssturm

      Unser Vater war, warum auch immer, mit seinem Betrieb für die Volksernährung zuständig. Aufgrund seines Status war er daher vom Wehrdienst befreit. Doch dann, Anfang Februar 1945, Opa Max war bei den Reusen an der Spree und wollte gerade gefangene Fische ausschütten, kam mein Vater mit seinem BMW Dixi 3/15 mit hohem Tempo den Gartenweg zum Haus heran gerast. Er war völlig aufgeregt ausgestiegen und erklärte meiner Mutter, die sich staunend nach draußen begab, dass er von einem Bekannten, der im Berliner Wehrersatzamt arbeitete, die Information hatte, nachdem Goebbels Berlin am 01. Februar 1945 zur Festung erklärte, dass seine Einberufung zum Volkssturm unmittelbar bevor stand.

      Dieser Volkssturm bestand aus militärisch unerfahrenen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren sowie meist männlichen Personen über 60 Jahre. Dieses war das letzte Aufgebot Deutschlands gegen die übermächtigen Alliierten und als Todeskommando anzusehen.

      Meine Mutter packte meinem Vater schnell einen Koffer. Er verabschiedete sich von seiner Familie und seinem Vater und fuhr als Dienstreise getarnt nach Hamburg. Dort wollte er sich bei guten Bekannten bis zum Ende des Krieges verstecken. Am nächsten Tag kam tatsächlich der Briefträger mit dem Einberufungsbescheid. Meinem Vater war klar, dass er nun als Fahnenflüchtiger gesucht wurde. Aber er hatte einen zeitlichen Vorsprung um sich zu verstecken. Die Schlacht um Berlin war die letzte bedeutende Kriegshandlung des Zweiten Weltkrieges. Sie dauerte vom 16. April bis zum 02. Mai 1945. Diese Endzeit des Krieges und der damit verbundene Einmarsch der Roten Armee der Sowjetunion nach Berlin wurden zum Albtraum Erlebnis vieler Menschen, die sich in dieser Gegend vor oder in Berlin aufhielten. Als dann später der Lärm der russischen Artilleriegeschütze immer bedrohlich näher wahrnehmbar wurde, war allen klar, der Krieg war verloren.

      “Die Russen kommen.“

      Zur Einnahme Berlins konzentrierte die Sowjetunion etwa 2,5 Millionen Soldaten, 6.000 Panzer, 7.500 Flugzeuge und weit über 10.000 Artilleriegeschütze. Gegen diese militärische Übermacht war Gegenwehr Wahnsinn und wurde teuer bezahlt. Die Kämpfe forderten Schätzungen zufolge über 170.000 Gefallene und 500.000 verwundete Soldaten sowie den Tod mehrerer zehntausend Zivilisten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beklagten die Sowjets etwa 80.000 getötete Rotarmisten, die bei der Eroberung Berlins gefallen waren. Ihnen zum Gedenken wurden in Berlin drei Ehrendenkmäler errichtet. Im Treptower Park entstand das größte zentrale Ehrenmal, zugleich ist es Friedhof für 5.000 Soldaten. Die gesamte Familie konnte mein Vater in der Eile und aus Sicherheitsgründen leider nicht mitnehmen. Man hoffte, in der Einsamkeit des Dorfes 1945 unbehelligt die Schlacht um Berlin überleben zu können. Dass die Rote Armee, als Befreier von Nazideutschland, sich für den Vernichtungskrieg der Nazis an dem russischen Volk, rächen würde, wurde befürchtet. In der Folge wurden dann mehr als 100.000 Frauen und Mädchen allein in Berlin von April bis September als Kriegsbeute vergewaltigt. Insgesamt sollen während des gesamten Vormarsches der Roten Armee 2.000.000 Frauen vergewaltigt worden sein. Wobei ca. 12 % dieser Frauen durch die sexuelle Gewalt getötet wurden. Diese Kriegsverbrechen sind mit der Billigung durch den sowjetischen Diktator und Obersten Befehlshaber der Roten Armee, Stalin, erfolgt.

      Auch in unserer Familie wurden die Frauen Opfer von solchen Gräueltaten. Leider war nicht weit von unserem Anwesen entfernt, auf der anderen Uferseite der Spree, eine deutsche Flak-Batterie stationiert. Nachdem diese Flakstellung von den russischen Soldaten eingenommen wurde, machten sie Jagd auf deutsche Soldaten und Nazis. Sie durchkämmten die Gegend und durchsuchten jedes Haus. Rechtswidrige Befehle und die Außerkraftsetzung des Kriegsvölkerrechts der Genfer Konventionen ermöglichten den Soldaten auch Misshandlungen und Morde an Zivilisten. Auf blass bläulichen Handzetteln wurden die Rotarmisten aufgefordert:

      „Tötet, tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht! Folgt der Weisung des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen. Nehmt sie als rechtmäßige Beute. Tötet ihr tapferen, vorwärtsstürmenden Rotarmisten.“

      So kamen diese aufgehetzten Rotarmisten auch auf unser Anwesen. Sie traten mit den Schaftstiefeln unsere Haustür ein und durchsuchten jedes Zimmer. In der Küche, die sich im Tiefparterre des Hauses befand, wurden diese blutrünstigen Soldaten dann fündig. Meine Mutter hockte dort verängstigt mit ihren 6 Kindern, die damals 2, 3, 6, 9, 13 und 15 Jahre alt waren.

      Und sie entdeckten Olga. Sie war ein 18–jähriges russisches Mädchen, welches meine Eltern aus der Zwangsarbeit befreien konnten und, das bei uns in der Familie wie eine weitere Tochter leben durfte. Die Soldaten waren außer sich. Sie schätzten die Situation total falsch ein. Alles Flehen und Betteln meiner Mutter zu den Soldaten, ihrer Familie kein Unheil anzurichten, blieb im lauten Gegröle und Gelächter ungehört. Olga wurde dann von einem Soldaten aus dem Haus in den Garten abgeführt. Die anderen Bestien griffen sich dann im Siegesrausch, vor den Augen der kleineren Geschwister, die vor Todesangst schreiend oder wie gelähmt in einer Ecke im Raum hockten, meine 15-jährige Schwester und meine Mutter. Sie pöbelten auf Russisch „Dawai, dawai Gitlerowskaja suka prich di sjuda jebat“, zu Deutsch „Los, los hitlerische Hündin komm hierher ficken!“ Brutal wurden Lisbeth und meine Mutter auf den Küchentisch gezerrt, festgehalten und geschlagen. Während ihnen die Kalaschnikow bedrohlich an den Kopf gehalten wurde, riß man den beiden die Kleidung vom Leib und mehre Sowjetsoldaten steckten nacheinander ihre dreckigen, stinkenden Penisse in die Scheiden der beiden und vergewaltigten sie unter großem Jubel der Meute. Dieses unvorstellbare Inferno endete mit der Entführung meiner schwer misshandelten Schwester, die von den Rotarmisten in brutalsterweise ihrer Jungfräulichkeit beraubt und schwer mißhandelt wurde. Sie wehrte sich mit Leibeskräften, als sie zu einem Lastwagen gezerrt wurde. Mit harscher Gewalt packten diese barbarischen, betrunkenen Vergewaltiger sie an den Haaren und den Beinen und warfen sie wie ein Stück totes Vieh stark blutend, rücksichtslos auf die Ladefläche eines Militärfahrzeuges. Mit lautem russischem Gegröle und Schüssen aus der Kalaschnikow fuhren diese Kriegsverbrecher dann mit Lisbeth fort.

      Zum Glück ließen sie meine Mutter und die kleineren Geschwister am Leben. Diese hockten auf dem Küchenboden, nach dem, was sie mit ansehen mussten, und starrten ungläubig entsetzt ins Leere. Geschockt und verzweifelt saßen sie auf dem Boden in der Küche und trauten sich nicht vom Fleck. Wie gelähmt verbrachten die Kinder die nächsten Stunden an diesem Höllenort. Die geschundene Mutter, die sonst so stark und schützend ihre Kinder behütete, lag vor ihnen wie ein wimmerndes Baby, apathisch zusammengekauert und unfähig jeglicher Regungen. Erst als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen durch das Küchenfenster drangen, wagte sich meine damals 13-jährige Schwester Irma aus dieser Starre zu lösen. Sie durchsuchte die Zimmer und bemerkte, dass sich kein russischer Soldat mehr im Haus befand. Dann versorgte sie ihre Mutter und die kleineren Geschwister. Tapfer übernahm Irma nun für viele Tage die Mutterrolle. Derweil lag meine geschundene Mutter handlungsunfähig mit Albträumen im Bett. Gepeinigt von negativen Emotionen der Angst und Panik machte sie sich sehr große Sorgen um ihre entführte Tochter. Ihr Körper zitterte, die Ohnmacht Lisbeth nicht helfen zu können, brachte sie fast um den Verstand. Verstärkt wurde ihr Zustand noch durch die körperlichen Schmerzen, die sie durch die brutale Vergewaltigung erleiden musste.

      Olgas Tod

      Als am 3. Maisonntag 1943, der von den Nationalsozialisten bereits im Jahre 1934 als offizieller Feiertag eingeführte, Muttertag gefeiert wurde, stand ein unehrenhafter Termin an. Meine Mutter sollte das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter in Silber ausgehändigt werden. Nachdem sie im Januar 1943 ihr sechstes Kind gebar, wurde sie von Amts wegen auf Verleihung des Ehrenkreuzes vorgeschlagen. Der Ortsgruppenführer der NSDAP meldete sich bei uns mit großer Würdigung an. Zackig mit seiner braunen Uniform und einer Hakenkreuzarmbinde machte er dann bei meinen Eltern seine Aufwartung. Feierlich wurde dann meiner Mutter das Mutterkreuz in einer blauen Schachtel überreicht. Es gab Kaffee und Kuchen

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