Śnieżka musi umrzeć. Nele Neuhaus

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Śnieżka musi umrzeć - Nele Neuhaus Gorzka Czekolada

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die Zuschauer zu beobachten. Ich schaute mir das Geschehen sozusagen von hinten an und beobachtete die Männer, wie sie mit dem Spiel und ihren Spielern miteiferten, sie beklatschten und die gegnerischen Spieler ausbuhten. Dabei tranken viele Bier und im Laufe der Zeit merkte ich, dass die Menschenmauer brüchig wurde. Die Leute hatten wohl doch schon das eine oder andere Bier intus und mussten nun pinkeln gehen. Das Bollwerk der Menschenmasse wurde durchlässig. Das war meine Chance, so konnte ich mich durch die Massen drängeln, musste mir dabei allerhand blöder Sprüche anhören, wie: „Na Mittagsschlaf zu Ende und hast du frische Windeln an, du Grünschnabel!“ Ich schaffte es, trotz aller Demütigungen, bis nach unten und stand nun hinter dem Tor mit voller Sicht auf das Spielfeld. Mein Traum wurde wahr. Ich hatte es geschafft, konnte nun mein Idol Uwe Seeler sehen. Leider wurde er gerade gefoult. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag er am Boden. Die Zuschauer pfiffen den Gegner aus. Doch Uwe rappelte sich wieder auf und das Spiel ging weiter. Kurze Zeit später rächte sich ein robuster HSV-Abwehrspieler mit einer rüden Grätsche an dem fiesen, gegnerischen Rubber, der dann zu Fall kam und mit einem lauten Schrei den Rasen umpflügte. Das Stadion flippte vor hämischer Freude aus. Zum Spielschluss jubelten die Zuschauer begeistert. Sieg, Sieg, Sieg. Mein HSV gewann natürlich das Spiel sicher und gekonnt mit 4:0. Das war es, hautnah dabei, beim Oberligafußball, nahe meinem Idol. Welch ein schönes Gefühl. Ich genoss den Augenblick in vollen Zügen. Mein erträumtes Abenteuer ging gerade in Erfüllung. Davon hätte ich gerne mehr erlebt. Im Übrigen verlor der HSV sein letztes Punktspiel dieser Oberliga Nord Saison 1954/55 ausgerechnet gegen den Stadtrivalen Altona 93 mit 3:2. In dieser Mannschaft spielte zu der Zeit Uwes älterer Bruder Dieter. Als Tabellenerster schloss der HSV die Saison souverän mit 47:13 Punkten und 108:41 Toren vor der Elf von Bremerhaven 93, Altona 93 und Werder Bremen ab. Somit wurde die Mannschaft unter dem neuen Trainer Martin Wilke zum 17. Mal Norddeutscher Meister und erreichte die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft. Der Trainer und der Jugendtrainer Günther Mahlmann schafften in der zurück liegenden Saison den Umbruch mit neuen Spielern, die in die Ligamannschaft geholt wurden. Neben Uwe Seeler kamen dazu auch die talentierten Nachwuchsspieler Klaus Stürmer und später Jürgen Werner und Gerd Krug. Uwe Seeler und Klaus Stürmer schossen sich gleich mit vielen Toren in die Herzen der Anhänger. Die Norddeutsche Torschützenkönigskrone musste sich allerdings Uwe Seeler mit dem damaligen, älteren Sturmpartner Günter Schlegel mit jeweils 28 erzielten Pflichtspieltoren teilen.

      Deutscher Meister wurden sie damals leider nicht. In den Gruppenspielen belegte der HSV nur den zweiten Tabellenplatz, hinter der dem 1. FC Kaiserslautern. Rot-Weiß Essen holte sich, mit dem Nationaltorhüter Fritz Herkenrath und dem Weltmeister Torschützen von 1954, Helmut Rahn, diese Würde. Als Erster der Gruppe 2 besiegte die Mannschaft am 26. Juni den hohen Favoriten 1. FC Kaiserslautern im Endspiel im Niedersachsenstadion Hannover mit 4:3. Das war schon eine Sensation, gegen die „Walter Elf“ aus der Pfalz, die mit fünf Weltmeistern von 1954 antrat, zu gewinnen. Die von mir geliebte HSV-Mannschaft wurde erst in der Saison 1959/60 wieder Deutscher Meister. Sie gewann nach einem großen Kampfspiel mit 3:2. Mit seinem zweiten Treffer in der 87. Minute sicherte Uwe Seeler den Sieg gegen den 1. FC Köln. Den dritten Treffer für den HSV gelang Linksfuß Gert, genannt Charly, Dörfel, in der 79. Minute zum zwischenzeitlichen Spielstand von 2:1. Berauscht vor Glück machte ich mich nach dem Spiel auf die Socken, um nach Hause zu fahren. Nachdem ich mich in die Büsche verschlagen hatte um auch erst mal zu pinkeln, stieg ich an der U-Bahnhaltestelle Hallerstraße in die Hochbahn. Nach Spielschluss wollten natürlich alle Fans gleichzeitig den Heimweg antreten. Es herrschte ein riesiges Gedränge auf den Treppen zum Bahnhof und unten auf dem Bahnsteig. Zeitweilig hatte ich Angst, dass ich zerquetscht würde, mir blieb bei diesem Geschiebe die Luft weg. Aber irgendwie habe ich es geschafft in eine U-Bahn zu gelangen, die mich, mit einmal Umsteigen in der Kellinghusenstraße, nach Barmbek brachte. Hier musste ich noch einmal in die Straßenbahn umsteigen. Glücklich und zufrieden saß ich nun wieder in der Linie 9, die mich dann in unser Dorf zurück schaukelte. Ich hatte einen Sitzplatz und schaute mir aus dem Fenster die vorbeigleitende Gegend an. Es spiegelte sich mein Gesicht in der Scheibe und da sah ich mich stolz sitzen. Ich, der kleine Furz, hatte es geschafft, unbeschadet meinen ersten Stadionbesuch beim HSV am Rothenbaum zu erleben. Einige Szenen des Fußballspiels mit Uwe Seeler und Klaus Stürmer huschten in meinem Gedächtnis noch einmal vorbei. Uwes Kopfballspiel, Klaus Pässe, einfach genial. Ich stellte mir vor, auch einmal so ein guter Fußballballspieler zu sein, um dann in einer Mannschaft wie dem HSV oder Real Madrid, den „Königlichen“ spielen zu dürfen. Dort spielte damals der argentinische Alfredo Di Stefano als Mittelstürmer. Er galt als Ausnahmefußballer, wegen seiner Torgefährlichkeit. Seine überraschenden Vorstöße in den gegnerischen Strafraum stellten nahezu jede Abwehr vor größte Probleme. Gleich in seiner ersten Saison für den Klub 1953/54 erzielte er 27 Treffer. Von den Fans bekam er den Beinamen „Die Lanzenspitze“. Real feierte nach 21 Jahren wieder die spanische Meisterschaft. Meine freudige Fantasie überwältigte mich. Je näher ich allerdings nach Hause kam, umso mehr schwand meine Glückseligkeit. Wegen der Notlüge gegenüber meiner Mutter hatte ich ein ungutes Gefühl im Bauch und ein schlechtes Gewissen im Kopf. Ich machte mir schon Sorgen, ob mein Ausflug ein gutes Ende nehmen würde. Besonders nachdenklich wurde ich in dem Moment, als die rumpelige Straßenbahn auf dem Heimweg durch die Fabriciusstraße fuhr und an der Haltestelle Seehof quietschend anhielt.

      Hier am schönen Bramfelder See führte die Seehofstraße durch ein Tor auf den Ohlsdorfer Friedhof. Als ich das riesige schmiedeeiserne Eingangstor erblickte, erinnerte ich mich an einen für mich prägenden, traurigen Besuch 1950 mit meiner Mutter, auf diesem großen Friedhof. Nach der Übersiedelung im November 1945 aus dem russischen Sektor von Ost-Berlin nach Hamburg in die Britische Besatzungszone, wohnte meine Familie in ärmlichen zwei Zimmern in einem bäuerlichen Nebengebäude im Dorf Bramfeld an der Teichstraße, direkt gegenüber vom Alten Teich. Der Ort gehörte seit 1867 zum Kreis Stormarn im preußischen Schleswig-Holstein. 1937, in der Nazizeit, kam der Bereich als Stadtteil im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes zu Hamburg. Nach dem ersten Weltkrieg war hier das größte Gemüseanbaugebiet nach den Vier- und Marschlanden. Die Kohl- und Rhabarberfelder, die sich zu beiden Seiten der Bramfelder Chaussee von der Barmbeker Grenze bis zur Ortsmitte bei der Osterkirche erstreckten, waren für einige Jahrzehnte dessen Markenzeichen.

      Von der Unterkunft, eines ziemlich runtergekommenen Reetdachhaus, war es für meine kurzen Beine schon ein weiter, beschwerlicher Wanderausflug bis zum Ohlsdorfer Friedhof. Wir wollten dort, so sagte es mir meine Mutter, meine Schwester Barbara besuchen.

      Der Ohlsdorfer Friedhof wurde am 01. Juli 1877 eingeweiht und ist mit 391 Hektar der größte Parkfriedhof der Welt. Über das gesamte Areal verteilen sich 235.000 Grabstätten. An einem schönen Sommertag nahm mich also meine Mutter an die Hand, um mit mir dorthin einen Spaziergang zu machen. Entlang der Straßenbahngleise, der Linie 9, die ab 1948 von hier über Barmbek in die Hamburger Innenstadt führte, gelangten wir zum Friedhofseingang Seehof am Bramfelder See, an dessen Nordufer der Hauptfriedhof Ohlsdorf grenzt. Dieser See, ein Fleckchen Paradies, früher als “Neuer Teich“ bezeichnet, ist deutlich größer als der “Alte Teich“ . Durch den Bau einer Schleuse zur heutigen Seebek trug dieser See seinen Teil zur Bewässerung der örtlichen Gemüseanbauflächen bei.

      Die Sonne strahlte durch die Blätter der großen Bäume, die am Rande der Allee standen.

      Meine Schwester “wohnte“- so hatte man mir es als Kind erklärt - schon ziemlich weit weg auf dem Friedhof. Die Lust zum Laufen war bei mir aufgebraucht und ich wollte und konnte nicht mehr. Kantstein rauf, Kantstein runter hopste ich widerwillig die Straße entlang. Meine Mutter sang mit mir das Kinderlied Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein. Sie wollte mich ermutigen, den letzten Kilometer Fußweg auch noch zu schaffen. Der Friedhof sah für mich wie ein schöner Park aus. Die Eichhörnchen kletterten übermütig die Bäume rauf und runter. Sie waren putzig und lustig. Es sah alles so still und friedlich aus, aber für mich war es auch irgendwie unheimlich. Als wir dann die Hauptstraße verlassen hatten und über einen schmalen Weg zu einer Stelle kamen, wo ein einfaches Holzkreuz stand, hatte sich diese komische Stimmung in mir abrupt verstärkt. Ich wurde ganz still und nachdenklich. Hier wohnte sie, meine Schwester Barbara, im Grab. Sie war das fünfte Kind unserer Familie und wurde nicht einmal vier Jahre alt. Während

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