Śnieżka musi umrzeć. Nele Neuhaus
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Im Alltag spürte man ein Klima von Angst, besonders den Hass und die Diskriminierung gegen die deutschen Juden. Ihre systematische Verfolgung mündete, nach den Pogromen in der Reichskristallnacht im November 1938, im Holocaust. Wer sich gegen den Staat stellte, wurde verraten.
Dieses Los ereilte auch den Baumschulenbesitzer Späth, der mit einer Jüdin verheiratet war. Obwohl Mitglied der NSDAP, wurde er 1943 verhaftet und wegen „Umgangs mit Juden und versteckter Hetz- und Wühlarbeit gegen Deutschland“ enteignet und zu einem Jahr Haft verurteilt. Er wurde dann in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert und am 15.02.1945 ermordet. Mein Vater sprach nie darüber, aber mein Onkel Karl erzählte mir nach dem Krieg voller Stolz, dass sich mein Vater mit seinen bescheidenen Möglichkeiten unter Todesgefahr, um Verfolgte gekümmert haben soll.
In Berlin lebten 1933 etwa 170.000 Juden. Anfang 1940 waren es noch 80.000. Nach Beginn der Deportationen dezimierte sich diese Zahl dann immer mehr. Im März 1943 wurden noch 27.250 Juden gezählt und im Juni 1943 waren es nur noch 6.800. Nur ein paar Tausend Juden überlebten die Nazi-Diktatur als „U-Boote“ in Berlin. Diese Untergetauchten hätten jedoch nicht überleben können, wenn es nicht Hilfe mindestens eines Nichtjuden gegeben hätte; Menschen, die ihr eigenes Leben riskierten, um anderen zu helfen. Die Angst angezeigt und von der Gestapo abgeholt zu werden, war in der Zeit gegenwärtig und verminderte die Lebensqualität erheblich. Während die deutsche Wehrmacht ihren Eroberungskrieg ausdehnte und große Teile des europäischen Festlandes durch rasche Siege besetzen konnte, kam es zu den ersten Bombardierungen in Großbritannien durch die deutsche Luftwaffe. Insbesondere diejenigen auf London zwischen dem 07. September 1940 und dem 16. Mai 1941 wurden im englischen Sprachgebrauch als The Blitz bezeichnet. Die Luftschlacht um England sollte die Briten zum Kriegsaustritt bewegen. Rund 43.000 Menschen fielen dem Blitz zum Opfer. Über eine Million Häuser wurden beschädigt oder zerstört. Die erhoffte Wirkung trat aber nicht ein. Weder war Großbritannien zum Verhandeln bereit, noch konnte die Kriegsproduktion der Briten entscheidend geschwächt werden. Als Vergeltung gegen den deutschen Frankreichfeldzug flog ein einzelnes Flugzeug der französischen Luftstreitkräfte Armee de l´air in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 1940 den ersten Luftangriff auf Berlin.
Der Krieg war jetzt auch in der Hauptstadt präsent. Am 25. August 1940 griff die Royal Air Force erstmals Berlin an. Am Vortag hatte die deutsche Luftwaffe die ersten Bomben auf London abgeworfen. Bis Ende 1941 setzten sie mittelgroße Angriffe fort. Wegen der großen Entfernung von Großbritannien nach Berlin und der starken deutschen Luftabwehr waren diese Angriffe sehr verlustreich. Besonders viele Flugzeuge, nämlich 21 von 169 gestarteten Bombern, gingen bei einem Angriff am 7./8. November 1941 verloren. Die Briten konzentrierten sich fortan auf leichtere Ziele wie das Ruhrgebiet. Nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wurden dann ab dem 16. Januar 1943 die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin von britischen, US-amerikanischen und einigen französischen und sowjetischen Bombern geflogen. Den größten Bombenhagel, durch 1.184 US-amerikanische Flugzeuge, mussten die Einwohner von Berlin am 18. März 1945 erleben. Die Bomber warfen 1628,7t Sprengbomben und 1258t Brandbomben ab. Wegen den nächtlichen Fliegeralarmen in Berlin waren die Nerven bei den Kindern und Erwachsenen auf äußerste angespannt. Die Schutzsuche in den Kellern und die Angst dort in den Trümmern umzukommen gehörten zum täglichen Leben.
Insgesamt gab es 310 Luftangriffe auf Berlin.
Viel Zeit verbrachte man daher auf dem Lande. Dort wurde dann auch zu Silvester 1941 die dritte Tochter der Familie, unsere Barbara, geboren. In Berlin kam dann noch Anfang 1943 ein weiterer Sohn, der Arno, zur Welt. Nachdem die Luftangriffe auf Berlin wieder verstärkt geflogen wurden, hatte sich meine Familie, zum Glück noch rechtzeitig vor dem 21. Juni 1944, als durch amerikanische Luftangriffe die Bombardierung von Berlin– Treptow erfolgte, wobei auch unsere Stadtwohnung zerstört wurde, auf das Land begeben und die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dort verbracht. Die schulpflichtigen Kinder besuchten in der Zeit nicht mehr die Schulen in Berlin, sondern die Schulen im 7,0 km entfernten Erkner. Diesen Weg mussten die drei ältesten Geschwister täglich zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf sich nehmen. Aber auf dem Dorf verlebte meine Familie die letzten, Kriegsjahre etwas weniger angespannt. Akustisch waren allerdings auch hier die fürchterlichen Bombenangriffe auf Berlin zu hören. Selbst im nahegelegenen Erkner kam es am 08. März 1944 zu einer fürchterlichen Katastrophe. Meine beiden Schwestern und der älteste Bruder wurden bei diesem Angriff auf dem Heimweg von der Schule von Tieffliegern überrascht und gejagt. Sie konnten sich nur noch mit einem beherzten Sprung in den Straßengraben vor den Salven des Jägers schützen. Voller Angst und Panik und den Tod vor Augen haben sich die drei in dieser Situation die Hosen vollgeschissen und vollgepisst. Als die Flieger sich endlich verzogen hatten, krochen meine angegriffenen Geschwister aus dem Graben und taumelten völlig leer im Kopf, traumatisiert, die letzten Kilometer nach Hause. Amerikanische Bomber legten an diesem Tag in einem 30-minütigen Bombardement das Ortszentrum der Stadt Erkner in Schutt und Asche. Hauptziel war dabei das Kugellagerwerk, welches beim Angriff in seiner Funktionstüchtigkeit kaum beeinträchtigt wurde. Aber von 1.333 Häusern wurden 1.007 restlos zerstört, darunter waren auch Schulgebäude. Es waren viele tote Zivilisten zu beklagen. Meine Geschwister hätten welche von ihnen sein können. Diese Belastungen zerrten schon sehr an der Verfassung der Familie. Nachdem der 1941 begonnene Vernichtungskrieg gegen die UdSSR mit um die 40 Millionen Opfer und der verbrannten Erde gescheitert war, wurde die Wehrmacht an allen Fronten zurück geschlagen. Bis Ende 1944 musste die gescheiterte Armee sich an die Reichsgrenzen zurückziehen. Trotz der NS-Propaganda, wo immer noch vom Endsieg gefaselt wurde, glaubte die Bevölkerung kaum noch an den glanzvollen Sieg. Mit den Sorgen und Problemen der Bürger, was ihnen bei einer sicheren vorhersehbaren Niederlage für Unheil erwarten würde, kam auch die Kenntnis dazu, dass sich die Versorgungslage in den Endkriegsjahren immer schwieriger gestaltete. Wer die Möglichkeiten zur Selbstversorgung aus dem eigenen Garten oder beim Fischen aus der Spree hatte und im Stall noch Haustiere sein Eigen nennen konnte, war noch ganz gut dran. Allerdings musste man sich vor Neidern hüten. Meine Eltern hatten ihre Pferde, ein Hengst war 1941 Star in dem Film „Reitet für Deutschland mit Willy Birgel“, zum Militär abgeben müssen und hielten sich dann dafür eine Milchkuh. Durch die Versorgungsnotlage konnten sie irgendwann dann den erzielten Milchertrag auch nicht mehr behalten. Die Milch musste nach einer Verordnung abgegeben werden. Natürlich versuchte meine Mutter den einen oder anderen gemolkenen Liter Milch für die Ernährung ihrer sechs Kinder von der Abgabe abzuzweigen. Schließlich gibt die Kuh ja nicht jeden Tag die gleiche Menge Milch. Das ging auch eine ganze Weile gut, bis eines Tages die älteste Schwester Lisbeth beim Treffen mit anderen Jugendlichen im Dorf blöder Weise damit prahlte, dass es bei uns am Sonntag Kuchen mit Schlagsahne geben würde. Eine Freundin erzählte ihren Eltern zu Hause davon. Dieses Vergehen wurde von einem Nachbarn mit Parteibuch der NSDAP angezeigt. Es dauerte nicht lange bis die Polizei vorstellig wurde und es kam zu einer gerichtlichen Verfolgung. Der Postbote brachte eine Anklage vom Amtsgericht, wegen Unterschlagung von abzugebender Milch ins Haus. Der Richter verurteilte meinen Vater zu einer hohen Geldstrafe von 7.000 Reichsmark und die Kuh wurde sofort beschlagnahmt. Nun gab es keine Milch mehr.