Die Blinde. Уилки Коллинз

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Die Blinde - Уилки Коллинз

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des Bauunternehmers auf dem »Pardon-Felde« vor die Assisen zu verweisen. Die Proceßverhandlungen füllten zwei Tage aus. In der Zwischenzeit waren keine neuen Thatssachen an den Tag gekommen. Die Zeugenaussagen lauteten ebenso wie bei der Voruntersuchung, wurden aber jetzt sorgfältiger gesichtet. Herr Dubourg hatte den doppelten Vortheil für sich, sich den Beistand des ersten Advocaten im Gerichtsbezirk sichern zu können und die lebhafteste Sympathie bei den Geschworenen zu erwecken, welche das regste Interesse an seiner Lage nahmen und eifrigst nach Beweisen für seine Unschuld aussahen. Am Ende des ersten Tages hatten die Zengenaussagen so entschieden zu seinen Ungunsten gelautet daß sein eigener Vertheidiger an dem Ausgange verzweifelte.

      Als der Gefangene am zweiten Tage seinen Platz auf der Anklagebank einnahm, gab es unter den Zuhörern im Gerichtssaal nur eine Ueberzeugung. Jedermann sagte: »Die Pendüle wird ihn an den Galgen bringen.« Es war beinahe zwei Uhr Nachmittags und die Verhandlungen sollten gerade auf eine Stunde vertagt werden, als man sah, wie der Anwalt des Angeklagten dem für ihn plaidirenden Advocaten ein Papier einhändigte. Dieser erhob sich unter Anzeichen, der Aufregung, welche die Neugierde der Anwesenden erregten. Er verlangte die sofortige Vernehmung einer neuen Zeugin, deren Aussage zu Gunsten des Angeklagten zu wichtig sei, als daß die Vernehmung auch nur einen Augenblick verschoben werden dürfe. Nach einer kurzen Unterredung zwischen dem Richter und den Advocaten beider Parteien entschied sich der Gerichtshof für die Fortsetzung der Sitzung. Die Zeugin erschien; es war ein junges Mädchen von zartem Aussehen. An jenem Abend, als der Angeklagte der Dame seinen Besuch gemacht hatte, stand sie bei der Dame als Hausmädchen im Dienst. Am nächsten Tage hatte sie einen ihr schon vorher von ihrer Herrin zugestandenen achttägigen Urlaub angetreten und hatte denselben, zu einem Besuch ihrer in dem Westen von Cornwall wohnenden Eltern benutzt. Dort sei sie krank geworden und habe sich bisher noch nicht hinreichend wieder erholt um zu ihrem Dienst zurückzukehren. Nach diesem Vorbericht über ihre Person machte das Hausmädchen die folgenden merkwürdigen Angaben in Betreff der Pendüle ihrer Herrin. An dem Morgen des Tages, an welchem Herr Dubourg seinen Besuch gemacht habe, habe sie das Kaminsims gereinigt. Sie habe mit dem Staubtuch die Stelle des Simses, auf welcher die Pendüle stand, gerieben, habe dabei zufällig an dem Pendel gerührt und denselben zum Stillstehen gebracht. Bei einer früheren Gelegenheit wo ihr dasselbe begegnet habe sie dafür heftige Vorwürfe erhalten. Aus Furcht daß eine Wiederholung ihrer Unvorsichtigkeit an einem Tage, nachdem die Pendüle von einem Uhrmacher regulirt worden sei, vielleicht die Zurücknahme des Urlaubs zur Folge haben könne, habe sie beschlossen, die Sache womöglich selbst wieder in Ordnung zu bringen. Nachdem sie die Pendüle von unten, her angestoßen, auf diese Weise aber den Pendel nicht wieder zum Gehen habe bringen können, habe sie versucht, die Pendüle aufzuheben und sie zu schütteln. Es war eine marmorne Pendüle, auf welcher eine Bronzefigur stand und sie war so schwer, daß das Mädchen genöthigt war, etwas zu suchen, was ihr als Hebel dienen könne Ein solcher Gegenstand war im Augenblick nicht leicht zu finden. Als es ihr endlich gelungen war, einen dazu passenden Gegenstand, aufzutreiben, machte sie es möglich, die Pendüle einige Zoll hoch zu heben und dann wieder hinzustellen und sie so wieder zum Gehen zu bringen. Demnächst mußte sie natürlich die Zeiger verschieben. Auch dabei stieß sie auf ein Hinderniß Der Glasdeckel über dem Zifferblatt wollte sich nicht öffnen lassen. Nachdem sie vergebens nach einem Instrumente gesucht das ihr dazu verhelfen könne, habe sie von dem Diener, ohne ihm zu sagen, wozu sie denselben brauchen wolle, einen kleinen Grabstichel erhalten, damit habe sie den Glasdeckel nachdem sie unversehens den metallenen Rand desselben geschrammt geöffnet und habe die Zeiger nach ungefährem, Ermessen gestellt. Sie war in jenem Augenblick in der Furcht daß ihre Herrin sie auffinden mochte, etwas aufgeregt gewesen. Später am Tage habe sie dann gefunden, daß sie den während ihres Versuchs, die Uhr wieder in Ordnung zu bringen, verflossenen Zeitraum überschätzt habe. Sie hatte die Zeiger gerade eine Viertelstunde zu weit vorgeschoben. Eine sichere Gelegenheit die Uhr wieder im Geheimen richtig zu stellen, habe sich erst unmittelbar vor dem Schlafengehen gefunden. Da erst habe sie die Zeiger wieder zurück schieben können Zu der Zeit, wo Herr Dubourg ihre Herrin besucht habe, sei die Uhr, wie sie positiv auf ihren Eid erklärte, eine Viertelstunde zu früh gegangen.

      Die Uhr habe nach der Aussage ihrer Herrin fünfundzwanzig Minuten vor neun gezeigt, während es in der That, wie Herr Dubourg behauptet habe, zwanzig Minuten nach acht Uhr gewesen sei.

      Befragt, warum sie diese merkwürdige Aussage nicht schon früher vor dem Untersuchungsrichter zu Protocoll gegeben habe, erklärte sie, daß in dem entfernten Cornishen Dorfe, nach welchem sie am nächsten Tage gegangen und wo sie dann durch ihre Krankheit zurückgehalten sei, niemand weder von der Untersuchung, noch von dem Proceß etwas gehört habe. Sie würde auch jetzt noch nicht hier erschienen sein, um über die so wichtigen Umstände ihre eben beschworene Aussage zu machen, wenn nicht der Zwillingsbruder des Angeklagten sie Tags zuvor aufgefunden und nachdem sie ihm aus seine Fragen mitgetheilt hatte, was sie eben in Betreff der Pendüle ausgesagt habe, darauf bestanden hätte, daß sie diesen Morgen die Reise hierher mit ihm mache. Diese Aussage entschied in der That den Proceß. Als das Mädchen mit seiner Aussage zu Ende war, machte die dichtgedrängte Menge ihren Gefühlen durch laute Ausbrüche des Beifalls Luft. Das Mädchen wurde natürlich in ein scharfes Kreuzverhör genommen. Man erkundigte sich nach ihrem Ruf; man suchte und fand eine Bestätigung in der Aussage in Betreff des Grabstichels und der Schrammen auf dem Rahmen des Glasdeckels. Der Proceß endigte damit, daß die Geschworenen am zweiten Tage zu später Stunde den Angeklagtem ohne ihre Loge zu verlassen, für »nichtschuldig« erklärten. Es war nicht zu Viel gesagt, daß sein Bruder ihm das Leben gerettet hatte. Sein Bruder allein hatte von Anfang bis zu Ende hartnäckig, dem Zeugniß der Pendüle mißtraut. Er hatte alle Menschen mit unaufhörlichen Fragen gequält, hatte nach Beginn des Processes die Abwesenheit des Hausmädchens entdeckt und war aus der Stelle abgereist, das Mädchen aufzusuchen und zu befragen, ohne einen bestimmten Anhalt, einfach entschlossen, in der unermüdlichen Stellung der einen Frage nicht nachzulassen, mit welcher er alle Menschen verfolgte: »Die Pendüle wird meinen Bruder an den Galgen bringen, können Sie mir etwas über die Pendüle mittheilten.«

      Vier Monate später klärte sich das Geheimniß des Verbrechens auf. Einer der schlechtberufenen Genossen des Ermordeten bekannte sich auf seinem Sterbebette zu der That. Die Umstände der That boten nichts Interessantes oder Bemerkenswerthes dar. Der Zufall, welcher einen Unschuldigen in Gefahr gebracht, hatte den Schuldigen straflos ausgehen lassen. Ein elendes Weibsbild, ein durch Eifersucht hervorgerufener Streit und der Mangel an Zeugen der That, das waren die sehr gewöhnlichen Umstände, die zu der Tragödie im »Pardon Felde« geführt hatten.

       Neuntes Kapitel.

      Der Held des Processes

      »Sie haben es mir abgepreßt. Jetzt wo ich Ihnen Ihren Willen gethan habe, lassen Sie mich mit meinen Gefühlen allein und gehen Sie!« Das waren die ersten Worte, mit denen mich der Held des Criminalprocesses anredete, sobald er wieder im Stande war zu sprechen. Er ging mit einem eigenthümlich trotzig resignirten Ausdruck nach der andern Seite des Zimmers und blickte von dort auf auf mich, wie ein Mensch, der mit einer ansteckenden Krankheit behaftet ist und einen gesunden Nebenmenschen vor der Gefahr der Berührung mit sich bewahren möchte.

      »Warum soll ich gehen?« fragte ich .

      »Sie sind ein kühnes Weib,« sagte er, »daß Sie den Muth haben, in demselben Zimmer mit einem Menschen zu bleiben, auf welchen die Leute als auf einen Mörder mit Fingern gedeutet haben und welcher unter der Anklage eines todteswürdigen Verbrechens vor Gericht gestanden hat.«

      Derselbe krankhafte Gemüthszustand, welcher ihn nach Dimchurch geführt und ihn veranlaßt hatte, mich am vorhergehenden Abende in der von mir erzählten Weise anzureden, brachte ihn jetzt, wie mir schien, gegen mich als gegen eine Person auf, welche sich seines leidenschaftlichen Temperaments als eines Mittels, bedient habe, ihm die Wahrheit abzuzwingen. Was sollte ich mit einem Menschen in dieser Gemüthsverfassung anfangen? Ich entschloß mich zu einem Verfahren, das man sprichwörtlich »den Stier bei den Hörnern packen« nennt.

      »Ich sehe nur einen Mann hier«; antwortete ich »einen Mann, der

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