Die Blinde. Уилки Коллинз

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Die Blinde - Уилки Коллинз

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»Meine Damen und Herren,« sagte er, »ich gebe zu, daß ich in der Politik liberalen Grundsätzen huldige und daß die Familie meiner Frau zu den Dissenters gehört. Als ein Beispiel für die in Folge dieser Richtungen in meinem Hause herrschenden Grundsätze erlaube ich mir Ihnen zu erklären, daß meine Tochter dieses Vermächtniß mit meiner vollen Genehmigung acceptirt, und daß ich Herrn Batchford vergebe.« Mit diesen Worten gab er seiner Tochter den Arm und verließ mit ihr das Zimmer. Er hatte, wohlgemerkt, genug gehört, um gewiß zu sein, daß Lucilla, solange sie unverheirathet sei, mit ihrem Einkommen thun könne, was sie wolle. Noch bevor sie nach Dimchurch zurückgekehrt waren, hatten der Ehrwürdige Finch mit seiner Tochter ein Arrangement dahin getroffen, daß sie eine voll kommen unabhängige Stellung in dem Pfarrhause erhalten, dagegen ihrem Vater jährlich die Summe von 500 Pfund als ihren Beitrag zur Wirthschaft tragen solle. Bei dieser Mittheilung empfand ich das tiefste Bedauern darüber, daß Finch mit seinen liberalen Principien nicht den Dritten im Bunde mit meinem armen Pratolungo und mir in Central-Amerika gebildet habe. Wenn wir uns seines Raths hätten erfreuen können, würden wir die heilige Sache der Freiheit gerettet haben, ohne einen Heller dafür aus zugeben.

      Der bis dahin unbewohnte alte Theil des Pfarrhauses wurde, natürlich auf Lucilla’s Kosten, in Ordnung gebracht und möblirt. An ihrem einundzwanzigsten Geburtstage waren die Reparaturen vollendet und wurde die erste Rate des mit Lucilla ausbedungenen Hausstandsgeldes bezahlt und die Tochter als eine unabhängige Einwohnerin in dem Hause ihres Vaters installirt. Um den Leser in den Stand zu setzen, die Schlauheit des von Finch getroffenen Arrangements ganz würdigen zu können, sei hier noch bemerkt, daß Lucilla, als sie heranwuchs, ein: steigende Abneigung gegen den Aufenthalt im väterlichen Hause gezeigt hatte. In ihrer Blindheit war ihr das ewige lärmende Getümmel der Kinder lästig; zwischen ihr und ihrer Stiefmutter bestand nicht die geringste Sympathie und mit ihrem Verhältniß zu ihrem Vater stand es nicht viel anders. Sie empfand Mitleid mit seiner Armuth und behandelte ihn mit der Nachsicht und der Achtung, auf die er als ihr Vater Anspruch hatte. Was aber wahre Liebe und Verehrung betrifft – nun darüber will ich lieber schweigen. Ihre glücklichsten Tage waren die mit ihrem Onkel und ihre Tante verlebten; ihre Besuche bei den Batchfords hatten sich mit jedem Jahre weiter ausgedehnt. Wenn ihr Vater es nicht bei seinem Appell an die Sympathien der Tochter geschickt so einzurichten verstanden hätte, ihr das fernere Verbleiben im väterlichen Hause unter völliger Wahrung ihrer Unabhängigkeit als möglich vorzustellen, würde sie nach erreichter Volljährigkeit entweder ganz zu ihrer Tante gezogen sein oder sich selbständig etablirt haben. So aber hatte sich der Pfarrer unter für beide Theile acceptablen Bedingungen seine 500 Pfund jährlich gesichert und, was noch mehr war, er hatte seine Tochter beständig unter Augen; denn, wohlgemerkt, es gab eine schreckliche, ihm in der Zukunft drohende Möglichkeit, die nämlich, einer Verheirathung Lucilla’s.

      Das war zu der Zeit, wo ich im Pfarrhause eintraf, die eigenthümliche Stellung Lucilla’s. Man wird es daher jetzt begreiflich finden, wie völlig rathlos ich war, als ich mir am Abende des Tages meiner Ankunft das Vorgefallene durch den Kopf gehen ließ und mich fragte, was mir in der Angelegenheit des geheimnißvollen Fremden demnächst zu thun obliege. Ich hatte Lucilla alleinstehend gefunden, in ihrer Blindheit hilflos, abhängig von Andern und in dieser traurigen Lage ohne eine Mutter oder eine Schwester oder selbst eine Freundin, an deren Busen sie vertrauensvoll ruhen, auf deren Rath und Beistand sie sich hätte verlassen können. Der erste Eindruck, den ich auf sie gemacht hatte, war ein günstiger gewesen, ich hatte sofort ihre Zuneigung gewonnen, wie sie die meinige. Ich hatte sie, ohne zu ahnen was in ihr vorging, auf einem Abendspaziergange begleitet. Ich hatte ganz zufällig einen Fremden vermocht, das imaginäre Interesse, das sie bereits an ihm nahm, dadurch zu verstärken, daß ich ihn veranlaßte, zum ersten Male in ihrer Gegenwart laut zu reden.

      In einem Augenblicke nervöser Aufregung und in reiner Verzweiflung jemanden Anderes zu finden, dem sie sich anvertrauen konnte, hatte das arme, thörichte, einsame, blinde Mädchen mir ihr Herz geöffnet. Was sollte ich thun? Wenn es ein gewöhnlicher Fall gewesen wäre, würde die ganze Angelegenheit einfach lächerlich gewesen sein. Aber Lucilla’s Fall war kein gewöhnlicher. Das Gemüth der Blinden ist durch ihr grausames Schicksal nothwendig nach innen gekehrt. Sie leben ein von dem unsrigen gesondertes, ach wie hoffnungslos gesondertes Leben, in ihrer eigenen dunkeln Welt, von welcher wir nichts wissen. Welchen Trost konnte die äußere Welt Lucilla gewähren? Keinen! Es war eine Folge ihrer traurigen Freiheit, daß sie unablässig ungestört bei dem idealen Geschöpf ihrer eigenen Phantasie verweilen konnte. Innerhalb der engen Grenzen des einzigen Eindrucks, weichen sie von diesem Manne durch die Schönheit seiner Stimme in sich hatte aufnehmen können, konnte ihre Phantasie in dem undurchdringlichen Dunkel ihres Daseins schrankenlos arbeiten. Welch’ ein Bild! Mich schaudert, indem ich es entwerfe. O, ich weiß sehr wolle wie leicht es ist, der Sache eine ganz andere Seite abzugewinnen und über die Thorheit eines Mädchens zu lachen, welches zuerst seine Einbildungskraft mit dem Bilde eines ihr ganz Fremden erhitzt und sich dann, sobald sie ihn sprechen hört, in seine Stimme verliebt! Wenn man aber hinzu nimmt, daß dieses Mädchen blind ist, daß sie auf die Welt ihrer Einbildungskraft angewiesen ist und das sie zu Hause niemanden hat, der einen heilsamen Einfluß auf sie ausüben könnte, wird man auch dann in einem solchen Zustande nichts der Theilnahme Würdiges finden? Was mich betrifft, so fand ich, obgleich ich einer leichtherzigen Nation angehöre, die Alles wegzulachen gewohnt ist, an jenem Abend, als ich mich bei meiner Nachttoilette im Spiegel sah, mich entsetzlich ernst und alt aussehend. Ich sah mein Bett an. Pah! wozu sollte ich zu Bett gehen? Lucilla war ihre eigene Herrin; es stand ihr voll kommen frei, demnächst allein nach Browndown zu gehen und sich in die Gewalt eines möglicher Weise ehrlosen und ränkesüchtigen Menschen zu geben. Wer war ich? Nur ihre Gesellschafterin. Ich hatte kein Recht einzuschreiten, und doch würde man mich, wenn irgend etwas vorfallen sollte, tadeln. Es ist leicht, zu sagen, »man hätte etwas thun sollen.« Wen konnte ich um Rath fragen? Die würdige alte Amme war nur eine Dienerin. Konnte ich mich an die lymphatische Dame mit dem Baby in der einen und dem Roman in der andern Hand wenden? Alberner Gedanke! An ihre Stiefmutter durfte ich nicht denken. Und ihr Vater? Nach dein, was ich bis jetzt von ihm gehört, konnte ich keine günstige Meinung von der Fähigkeit des Ehrwürdigen Finch haben, in einer Angelegenheit dieser Art erfolgreich einzuschreiten. Gleichviel, er war doch ihr Vater, und ich konnte es immerhin einmal mit ihm versuchen. Als ich Zillah’s Fußtritte draußen auf dem Corridor vernahm, ging ich zu ihr hinaus.

      Im Laufe einer kleinen Unterhaltung gedachte ich beiläufig des Herrn vom Hause Wie kam es, daß ich ihn noch nicht gesehen hatte? Das hatte den sehr triftigen Grund, daß er zum Besuch eines Freundes nach Brighton gegangen war. Es war Dienstag und er wurde am »Predigttage,« das heißt am Sonnabend derselben Woche zurück erwartet. Ich kehrte etwas aufgeregt in mein Zimmer zurück. In diesem Zustande pflegt mein Geist mit wunderbarer Freiheit zu arbeiten. Ich hatte wieder eine Inspiration. Herr Dubourg hatte sich heute Abend die Freiheit genommen, mit mir zu sprechen: Gut. Ich beschloß, am nächsten Tage allein nach Browndown zu gehen und mir die Freiheit zu nehmen, mit Herrn Dubourg zu sprechen. War mir dieser Entschluß nur durch mein Interesse für Lucilla eingegeben, oder hatte meine Neugierde die ganze Zeit über unter der Oberfläche gearbeitet und, mir selbst unbewußt, meine Erwägungen beeinflußt? Ich ging zu Bett, ohne mich das zu fragen. Ich rathe meinen Lesern, sich auch zur Ruhe zu begeben.

       Siebentes Kapitel.

      Der Mann bei Tageslicht

      Als ich an jenem Abende mein Licht aus löschte, beging ich ein Versehen; ich verließ mich darauf, daß, ich am nächsten Morgen zeitig aufwachen würde. Ich hätte Zillah bitten sollen, mich zu wecken.

      Es vergingen Stunden, bevor ich die Augen schließen konnte und mein Schlaf war, als er endlich kam, äußerst unruhig bis Tagesanbruch. Da erst schlief ich fest ein. Als ich wieder aufwachte und nach meiner Uhr sah, fand ich zu meinem Schrecken, daß es bereits zehn Uhr sei.

      Ich sprang aus dem Bette und klingelte der alten Amme. Ich fragte sie, ob Lucilla zu Hause sei.

      Nein, lautete die Antwort, sie sei ein wenig spazieren gegangen

      »Allein?«

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