Die Blinde. Уилки Коллинз
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»Ja, er ging gestern, als ich mit Zillah spazieren ging, an uns vorüber.,Aber er sprach nicht. Wie sieht er aus? Bitte, erzählen Sie mir doch wie er aussieht!«
In ihrem Tone lag etwas leidenschaftlich Ungeduldiges, das mich warnte, sie nicht zu reizen. Es fing an dunkel zu werden. Es schien mir gerathen vorzuschlagen, nach Hause zurückzukehren. Sie erklärte sich bereit, Alles zu thun, was ich wünsche, wenn ich ihr nur den unbekannten Mann beschreiben wolle. Auf dem ganzen Rückwege hatte ich fortwährend so viele Fragen zu beantworten, daß mir zu Muthe ward, als sei ich ein bei einer gerichtlichen Verhandlung von den Advocaten in ein geschicktes Kreuzverhör genommener Zeuge. Lucilla schien durch das Ergebniß des Verhörs einstweilen befriedigt zu sein. »Ach!« rief sie aus, indem sie das Geheimniß verrieth, das ihre alte Amme mir anvertraut hatte, »Sie verstehen Ihre Augen zu gebrauchen. Zillah konnte mir nichts sagen.«
Als wir wieder zu Hause waren, nahm ihre Neugierde eine andere Richtung »Exeter,« sagte sie nachdenklich »Er erwähnte Exeter. Mir geht es gerade wie Ihnen, ich war nie in meinem Leben dort. Lassen Sie uns doch einmal sehen, was wir aus Büchern über Exeter erfahren können?« Sie sandte Zillah nach dem Vorderhause ab, um sich von ihrem Vater ein geographisches Wörterbuch zu erbitten Ich folgte der Alten auf den Vorplatz und beruhigte sie, indem ich ihr zuflüsterte: »Ich habe Ihr Geheimniß bewahrt; der Mann begegnete uns in der Dämmerung, wie sie es herausgesehen hatten. Ich habe mit ihm gesprochen und bin jetzt eben so neugierig, wie Sie. – Holen Sie, bitte, das Buch.«
Lucilla hatte mich, die Wahrheit zu gestehen, mit ihrer Hoffnung angesteckt, das geographische Wörterbuch könne uns vielleicht behilflich sein, die merkwürdige Frage des Fremden in Betreff des 3ten vorigen Monats und seine sonderbare Behauptung, daß ich ihn durch meine auf ihn gerichteten Blicke betrübt habe, zu erklären. Zwischen der Amme, die sich außer Athem gelaufen hatte und Lucilla, die vor gespannter Aufmerksamkeit nicht zu athmen wagte, sitzend, schlug ich in dem Wörterbuche den Buchstaben auf und las laut das Folgende vor:
Exeter. Stadt und Seehafen in Devonshire. Ehemals der Sitz der westfählischen Könige. Hat einen bedeutenden Handel, sowohl im In- wie im Auslande. Einwohnerzahl 33738. Die Assisen für Devonshire finden im Frühjahr und Sommer statt.«
»Und was kommt dann weiter?« fragte Lucilla erwartungsvoll.
Ich schloß das Buch und antwortete wie der Junge, der mich hergefahren hatte, mit drei einsilbigen Worten: »Sonst nichts mehr!«
Fünftes Kapitel.
Der Mann bei Kerzenlicht
Es war dunkel geworden, daß ich kaum noch lesen konnte. Zillah zündete die Kerzen an und zog die Fenstervorhänge zu. Tiefes Schweigen, welches einer gründlichen Enttäuschung zu folgen pflegt, herrschte im Zimmer.
»Wer mag er nur sein?« wiederholte Lucilla nun wohl zum hundertsten Male. »Und wieso kann Ihr Blick ihn betrübt haben? Sinnen Sie doch nach, Madame Pratolungo!«
Der letzte Satz in dem Artikel,,Exeter« präoccupirte mich ein wenig wegen des darin enthaltenen Wortes »Assisen«. Als Lucilla ihre Aufforderung, meine Devinitionsgabe anzustrengen, an mich richtete, hatte ich wieder eine andere Inspiration. Ich rieth auf der Stelle, der Fremde sei ein interessanter Verbrechen der entflohen sei, um der Verurtheilung durch die Assisen zu entgehen.
Die würdige alte Zillah sprang auf, überzeugt, daß ich mit meiner Annahme den Nagel aus den Kopf getroffen habe. »Gott steh’ uns bei!« rief die Alte. »Ich habe die Gartenthür nicht zugeriegelt!«
Sie rannte zum Zimmer hinaus, um uns, ehe es zu spät wäre, vor Raub und Mord zu schützen. Ich sah Lucilla an. Sie saß in ihrem Stuhle zurück gelehnt, mit einem verächtlichen Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht. »Madame Pratolungo,« sagte sie, »eben haben Sie zum ersten Male, seit Sie hier sind etwas Thörichtes gesprochen.«
»Nicht so rasch, wenn ich bitten darf, liebes Fräulein,« erwiderte ich. »Sie haben erklärt, daß nichts über diesen Mann bekannt sei. Nun, damit meinen Sie, nichts, was Sie befriedigt. Er ist doch vermuthlich nicht vom Himmel gefallen? Der Zeitpunkt, in welchem er hierher gekommen ist, muß doch bekannt sein. Und ebenso, ob er allein oder in Gesellschaft hergekommen ist. Ferner, wie und wo er eine Wohnung im Dorfe gefunden hat. Bevor ich zugeben kann, daß ich mit meiner Vermuthung auf ganz falscher Fährte bin, muß ich hören, was die Leute in Dimchurch bis jetzt über diesen Mann in Erfahrung gebracht haben. Wie lange ist er schon hier?«
Lucilla schien sich anfänglich wenig für die rein praktische Auffassung der Frage, wie ich sie eben entwickelt hatte, zu interessieren.
»Er ist jetzt seit einer Woche hier,« warf sie nach lässig hin.
»Kam er, wie ich, über die Hügel her?«
»Ja.«
»Natürlich mit einem Führer?«
Bei dieser Frage richtete sich Lucilla plötzlich in ihrem Stuhle auf. »Mit seinem Bruder« antwortete sie. »Mit seinem Zwillingsbruder, Madame Pratolungo.
Jetzt richtete auch ich mich in meinem Stuhle auf .
Das Auftreten feines Zwillingsbruders in der Geschichte war schon an und für sich eine Verwickelung. Da waren also zwei entwichene Verbrecher statt eines!
»Wie fanden sie den Weg hierher? war meine nächste Frage.
»Das weiß niemand.«
»Wohin gingen sie zunächst, als sie herkamen?«
»In die »Gute Hand,« das kleine Wirthshaus im Dorfe. Der Wirth erzählte Zillah, die beiden Herren sähen sich merkwürdig ähnlich. Es sei unmöglich, sie von einander zu unterscheiden, die Aehnlichkeit sei selbst für Zwillinge erstaunlich. Sie kamen früh Morgens an, als die Schenkstube noch leer war und hatten eine lange vertrauliche Unterhaltung mit einander. Als diese vorüber war, klingelten sie dem Wirth und fragten ihn, ob er ein Schlafzimmer im Hause übrig habe. Sie werden selbst gesehen haben, daß die »Gute Hand« nur eine Bierschenke ist. Der Wirth hatte ein Zimmer übrig, ein elendes Stübchen, das kein Schlafzimmer für einen Gentleman war. Einer der Brüder miethete gleichwohl das Zimmer.«
»Und was wurde aus dem anderen Bruder?«
»Der ging noch an demselben Tage sehr ungern fort. Sie nahmen den zärtlichsten Abschied von einander. Der Bruder, welcher heute Abend mit uns gesprochen hat, bestand auf der Abreise des Anderen, sonst würde ihn dieser nicht verlassen haben. Sie vergossen beide Thränen —«.
»Sie haben noch etwas Schlimmeres gethan,« sagte die alte Zillah, die in diesem Augenblicke wieder ins Zimmer trat. »Ich habe unten alle Thüren und Fenster festgeschlossen. Er kann jetzt nicht hinein, liebes Kind, wenn er es auch versucht..
»Wieso haben sie denn noch etwas Schlimmeres gethan?« fragte ich.
»Sie haben sich geküßt,« sagte Zillah mit dem Ausdruck des tiefsten Widerwillens.
»Vielleicht sind es Fremde?« schlug ich vor. »Haben sie ihre Namen genannt?«
»Der Wirth fragte den Zurückbleibenden nach seinem Namen,« erwiderte Lucilla. »Er nannte sich »Dubourg«.
Diese Antwort bestärkte mich in meiner Vermuthung »Dubourg« ist in Frankreich ein so gewöhnlicher Name wie »Jones« oder »Thompson« in England. Gerade so ein Name, wie ihn ein Mann, der nicht gekannt sein will, sich bei uns beilegen würde. Sollte dieser Verbrecher ein Landsmann von mir sein? Nein, er