Die Blinde. Уилки Коллинз
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Blinde - Уилки Коллинз страница 6
Kaum hatte ich diese Frage gethan, als wieder an die Thür geklopft wurde Zillah flüsterte mir eifrig zu: »Machen Sie keinen Gebrauch von dem, was ich Ihnen gesagt habe. Sie werden ja selbst sehen. Ich habe nur im Interesse meiner jungen Herrin mit Ihnen gesprochen.« Sie humpelte fort und öffnete die Thür, und da stand Lucilla mit ihrem zierlichen Gartenhute auf dem Kopfe, meiner wartend.
Wir traten durch unsern eigenen Eingang in den Garten und gelangten durch eine Pforte in der Mauer in das Dorf.
Nach der Warnung, die ich von der Amme er erhalten hatte, durfte ich nicht daran denken, irgend welche Fragen an Lucilla zu richten, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, gleich am ersten Tage, wo ich in unsere kleine Familie eingetreten war, Unheil anzurichten. Ich hielt meine Augen weit offen und harrte der Dinge, die da kommen würden. Ich beginn übrigens gleich bei unserm Fortgehen einen Verstoß, ich bot Lucilla meine Hand, um sie zu führen. Sie brach in lautes Lachen aus.
»Liebe Madame Pratolungo,« ich kenne den Weg besser als Sie. Ich streife hier überall in der Gegend umher, ohne einen andern Führer als den da.« Da bei hielt sie einen zierlichem elfenbeinernen Spazierstock, an welchem eine hellseidene Troddel befestigt war, empor. Mit ihrem Spazierstock in der einen, ihrer Medizinflasche in der andern Hand und ihrem kecken Hütchen auf dem Kopfe, gab sie das reizendste Bild ab, das ich seit lange gesehen hatte. »Sie müssen mich führen, liebes Fräulein!« sagte ich, indem ich ihren Arm ergriff. Wir gingen in das Dorf. Nichts was auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit einer mysteriösen Gestalt gehabt hätte, begegnete uns in der Dämmerung. Die wenigen vereinzelten Arbeiter welche ich bereits gesehen hatte, sah ich wieder, sonst nichts. Lucilla verhielt sich schweigend, argwöhnisch schweigend, wie ich nach dem, was Zillah mir gesagt hatte, annahm. Ihr Blick war, wie ich mir einbildete, der einer Person, welche mit gespannter Aufmerksamkeit auf etwas horcht. Als wir vor dem Häuschen der gichtkranken Frau angelangt waren, hielt sie an und trat ein, während ich draußen auf sie wartete. Die Einreibung dauerte nicht lange. Lucilla war gleich wieder da und sie ergriff jetzt meinen Arm von selbst. »Mögen Sie noch etwas weiter gehen?« fragte sie. »Es ist so angenehm und kühl um diese Zeit des Abends.«
Was es auch sein mochte, woraus sie es abgesehen hatte, jedenfalls suchte sie dieses Etwas jenseits des Dorfes. In der feierlichen friedlichen Dämmerung verfolgten wir die einsamen Windungen des Thales, durch welche mein Weg mich am Morgen geführt hatte. Als wir dem kleinen einsam gelegenen Häuschen, welches ich bereits als »Browndown« kennen gelernt hatte, gegenüber anlangten, fühlte ich, wie ihre Hand unwillkürlich meinen Arm fester drückte. »Aha,« dachte ich bei mir,« hat Browndown etwas damit zu thun?«
»Sieht die Landschaft heute Abend sehr öde aus?« fragte sie, indem sie ihr Stöckchen in die Luft schwang.
Der wahre Sinn dieser Frage, wie ich sie auffaßte, war: »Sehen Sie irgend jemand, der aus dem Hause kommt?« Indessen kam es mir nicht zu, ihrer Frage einen besonderen Sinn unterzulegen, bevor sie noch den Augenblick für gekommen gehalten hatte, mir ihr Geheimniß anzuvertrauen. Ich antwortete nur: »Mir erscheint die Aussicht sehr schön, liebes Fräulein.«
Sie schwieg wieder und versank in ihre Gedanken. Wir bogen in eine neue Windung des Thales ein und hier endlich kam uns eine menschliche Gestalt, die Gestalt eines einzelnen Mannes von der andern Seite entgegen.
Als wir einander näher kamen, bemerkte ich, daß es ein in ein helles Jagdröckchen gekleideter Herr war, der einen kegelförmigen italienischen Filzhut auf dem Kopfe trug. Als er uns noch ein wenig näher gekommen war, sah ich, daß er jung, und bei noch größerer Annäherung, daß er schön, wenn auch von etwas weibischer Schönheit war. Alsbald vernahm Lucilla seine Fußtritte, erröthete und preßte wieder unwillkürlich ihre Hand auf meinen Arm. Hier war also endlich der geheimnißvolle Gegenstand, von welchem Zillah mit mir gesprochen hatte! Ich habe, ich nehme keinen Anstand, es auszusprechen, ein gutes Auge für Mannesschönheit. Ich sah ihn an, als er an uns vorüberging. Nun kann ich feierlich versichern, daß ich keine häßliche Frau bin. Gleichwohl sich ich, als sich unsere Augen begegneten, wie sich das Gesicht des fremden Herrn plötzlich zu einem Ausdruck verzog, der mir deutlich sagte, daß ich einen unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Nicht ohne Schwierigkeit, denn meine Begleiterin hielt meinen Arm fest und schien geneigt, still zu stehen, beschleunigte ich meine Schritte, so daß ich rasch an ihm vorüber kam wobei ich, glaube ich, nicht verfehlte, ihm durch meinen Gesichtsausdruck zu erkennen zu geben, daß ich die Veränderung seines Gesichtsausdrucks bei meinem Anblick als eine Impertinenz betrachtete. Dem sei übrigens wie ihm wolle, nach einer kurzen Weile hörte ich seine Schritte hinter uns; der Mann war umgekehrt und war uns gefolgt. Er trat an Lucilla’s andere Seite und zog den Hut.
»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er. »Sie haben mich eben angesehen.«
Bei dem ersten Wort, das er sprach, fühlte ich, wie Lucilla zusammenfuhr. Ihre auf meinem Arme liegende Hand fing in Folge einer mir unbegreiflichen Aufregung zu zittern an. In der zwiefachen Bestürzung über Lucilla’s Erregung und der so unerwartet gegen mich erhobenen Beschuldigung, einen Mann dadurch, daß ich ihn angesehen hatte, beleidigt zu haben, erlitt ich den merkwürdigsten Verlust, der einer Frau begegnen kann, den Verlust der Sprache .
Er ließ mir keine Zeit, wieder zu mir zu kommen. Er fuhr ohne weiteres mit dem, was er zu sagen hatte, fort, indem er im Ton eines vollkommen wohl erzogenen Mannes, ohne irgend etwas Unheimliches im Blick oder etwas Sonderbares in seinem Benehmen zu zeigen, sprach:
»Entschuldigen Sie, wenn ich es wage, eine sehr sonderbare Frage an Sie zu richten:
»Waren Sie zu fällig am 3. vorigen Monats in Exeter?«
Ich hätte weniger oder mehr als eine Frau sein müssen, wenn ich jetzt nicht den Gebrauch meiner Zunge wiedergefunden hätte.«
»Ich bin in meinem Leben nicht in Exeter gewesen,« antwortete ich. »Darf ich Sie nun meinerseits fragen, warum Sie diese Frage an mich richten?«
Anstatt mir zu antworten, sah er Lucilla an.
»Verzeihen Sie mir abermals. Vielleicht daß diese junge Dame —?«
Er stand offenbar im Begriff zu fragen, ob Lucilla in Exeter gewesen sei, als er plötzlich inne hielt. In dem aufregenden Interesse, mit welchem der ganze Vorgang sie erfüllte, hatte sie ihm ihr volles Gesicht zugekehrt. Ihre Augen hatten noch Ausdruck genug, um ihre eigene traurige Geschichte in ihrer stummen Sprache zu erzählen. Als der Fremde das Schicksal dieser Augen in ihnen las, nahm sein Blick, der noch eben etwas scharf Forschendes gehabt hatte, einen, tief betrübten Ausdruck an. Er zog wieder den Hut und verneigte sich gegen mich in der ehrerbietigsten Weise.
»Ich habe,« sagte er sehr ernst, »Ihre und der jungen Dame Verzeihung zu erbitten. Bitte, verzeihen Sie mir. Mein sonderbar es Benehmen findet seine Entschuldigung in etwas, was ich mir selbst nicht zu erklären weiß. Ich fühlte mich unglücklich, als Sie mich ansahen. Ich kann nicht sagen warum. Guten Abend.«
Wie Jemand, der verwirrt und verschämt ist, wandte er sich rasch ab und ging seines Weges. Ich kann nur wiederholen, daß in seinem Benehmen nichts Sonderbares oder Beunruhigendes lag. Man kann den Mann, wie er sich uns präsentirte, gerechter Weise und ohne Uebertreibung nur als einen vollkommenen Gentleman im Vollbesitz seines Verstandes bezeichnen. Ich sah Lucilla an. Sie stand, ihr blindes Antlitz gen Himmel gerichtet, selbstverloren, wie ein verzückter Mensch.
»Wer ist der Mann?« fragte ich.
Meine Frage schien sie plötzlich aus« ihrem Himmel zu reißen und wieder auf die Erde zu bringen. »O,« sagte sie in vorwurfsvollem Tone, »wir klang seine Stimme noch im Ohr und nun ist sie verklungen.
Wer ist Er?« fügte sie nach einer kurzen Pause meine Frage wiederholend hinzu. »Das weiß niemand.