Grace Unplugged. Melody Carlson
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»Hm, ich denke schon.«
»Und gerade trifft mich das richtig – dass ich eigentlich gar nicht mehr hier sein sollte.« Er wandte sich ihr zu. »Allein die Drogen hätten mir eigentlich schon den Rest geben müssen.«
»Aber das haben sie nicht.« Schläfrig lächelte sie ihn an. »Denn Gott hatte noch etwas mit dir vor, Johnny Trey.«
Er nahm sie in die Arme. »Und dafür bin ich dankbar.«
»Mach dir keine Sorgen um Mossy«, sagte sie ruhig. »Der kommt schon klar.«
»Du hast recht. Das war schon immer so.«
Am nächsten Nachmittag ging Grace in den Buchladen und suchte nach Rachel. Sie hatte ihre Freundin vorher angerufen und gesagt, dass sie dringend reden müsse, also hatte Rachel angeboten, ihre Pause mit Grace zu verbringen. »Solange dir klar ist, dass ich pünktlich zurück an die Arbeit muss«, hatte Rachel ihr eingeschärft. »Meine Pause dauert nur zwanzig Minuten.«
»Rachel ist hinten im Pausenraum«, sagte Lindy, die Kassiererin, zu Grace.
»Danke.« Grace eilte durch den Laden und fand Rachel mit einer Limo und in ein Magazin vertieft vor. »Du hast die Pause schon ohne mich angefangen?« Stirnrunzelnd sah sie ihre Freundin an.
»Tut mir leid, aber wir müssen die Pause eben zu einer bestimmten Zeit nehmen.« Sie lächelte entschuldigend. »Was ist los, Drama-Queen?«
Grace widerstand der Versuchung, zu streiten. Stattdessen erzählte sie Rachel schnell alles über den gestrigen Besuch von Mossy. »Ich konnte es nicht glauben«, sagte sie. »Er hat den weiten Weg auf sich genommen, um meinen Vater zu sehen. Und er arbeitet für Sapphire Music. Das ist auch die Plattenfirma von Renae Taylor, weißt du? Mossy erzählt meinem Vater also, dass sein einziger Hit Misunderstood gerade ein großes Comeback feiert, weil ein Schwede damit bei Idol gewonnen hat.«
»Ein Schwede hat bei American Idol gewonnen?« Rachel war skeptisch.
»Die schwedische Version von American Idol, Mensch!«, korrigierte Grace. »Jedenfalls macht er meinem Vater ein Wahnsinnsangebot – serviert es ihm quasi auf einem Silbertablett: ›Du kannst aufnehmen, was du willst, Mann, unterschreib einfach gleich hier.‹«
»Echt?« Rachel bot Grace von ihren Chips an.
Grace winkte ab. »Und mein Vater lehnt das Angebot ab! Einfach so. Mossy hat ihn gebeten, noch mal darüber nachzudenken, aber nein. Mein Vater hat sich entschieden. Er will keinen Plattenvertrag.«
»Aber warum nicht? Ich dachte, dein Vater will sowieso ein Worship-Album aufnehmen? Warum nicht einfach mit diesem Mossy?«
Grace seufzte. »Weil sie keine christlichen Lieder wollen.«
»Oh.« Rachel nickte wissend. »Na ja, dann kann ich deinen Vater aber total verstehen. Er hat die richtige Entscheidung getroffen.« Am liebsten hätte Grace ihre Freundin angeschrien. Warum machte Rachel das? Warum schlug sie sich immer auf die Seite ihres Vaters? Wessen beste Freundin war sie eigentlich? »Ich verstehe wirklich nicht, worüber du dich so aufregst, Grace.«
Und Grace verstand wirklich nicht, warum Rachel so schwer von Begriff war. Aber irgendwie musste sie es Rachel doch erklären können. Sie musste Rachel dazu bringen, sich wie eine Freundin zu verhalten – mitfühlend und verständnisvoll für ihre Sicht der Dinge. »Mossy haut also wieder ab, und mein Vater fängt eine Zehn-Stunden-Predigt an über Beweggründe und Versuchung und wie leer die Welt für ihn war, als er damals Musik gemacht hat. Und dann erzählt er, dass jeder eine andere Berufung hat und wie sehr ihn sein jetziges Leben erfüllt und so weiter. Als ob das Ganze vor allem als perfekte Lektion für mich gedacht wäre!«
»Aber was ist daran falsch?«
Grace rollte mit den Augen. »Nichts! Außer, dass ich das alles schon tausendmal gehört hab. Er hat es in jeder Gemeinde gesagt, in der wir je gespielt haben! Meine Güte, ich war doch dabei! Und trotzdem tut er so, als hätte ich das alles noch nie gehört.«
»Oh.« Mit einem fürsorglichen Blick stellte Rachel ihre Limo ab. Als würde sie es endlich verstehen. »Aber du musst schon zugeben, dass es ganz schön cool ist, wie oft der Song von deinem Vater angeklickt wurde.«
Grace schüttelte nur den Kopf.
»Sorry.« Rachel klang, als müsse sie sich verteidigen. »Ich finde es cool.«
»Meinetwegen.«
»Ich meine, Misunderstood ist schon so alt. Und jetzt feiert es voll das Comeback. Das ist bestimmt ein cooles Gefühl.«
»Aber was bringt das schon?«, wollte Grace wissen. »Mein Vater hat abgelehnt. Er ist so ein Langweiler. Weißt du, was er zu Mossy gesagt hat?«
»Natürlich nicht. Ich war ja nicht dabei, Grace.«
»Er hat zu ihm gesagt, wenn Misunderstood so erfolgreich ist, dann soll Sapphire doch einfach jemand anders suchen, der ein Remake macht. Ist es zu fassen? Gibt einfach so seinen einzigen richtigen Hit weg. Als ob es ihm total egal wäre.«
»Was hat der Typ darauf geantwortet?«
Aber Grace war schon gar nicht mehr bei der Sache. Plötzlich sah sie die Antwort auf dieses Dilemma klar und deutlich vor sich – wie auf dem Werbeplakat für ein Rockkonzert. »Was?« Sie schaute Rachel wieder an, die auf eine Antwort zu warten schien.
»Was hat dieser Mossy gesagt, als dein Vater meinte, jemand anderes solle doch Misunderstood noch mal aufnehmen?«
»Ich weiß es nicht mehr.«
Rachel schüttete den letzten Rest Limo in sich hinein und zeigte dann auf die Uhr an der Wand. »Auch recht, denn meine Pause ist in diesem Moment auch offiziell vorbei. Bis bald!«
Grace blieb noch im Pausenraum sitzen. Der verrückte Gedanke wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wer sagte denn, dass es nicht klappen könnte?
Plötzlich fiel Grace ein, dass heute Montag war. Ihre Eltern hatten heute Abend Hauskreis, also wäre sie ganz allein zu Hause. Was wiederum bedeutete, dass sie so viel Krach – oder vielmehr: Musik – machen konnte, wie sie wollte. Ihr Plan nahm konkrete Formen an.
Wieder zu Hause, verbrachte sie einige Zeit in ihrem Zimmer, um alles vorzubereiten und aufzubauen. Sie würde heute Abend etwa zwei bis drei Stunden Zeit haben, um es perfekt hinzubekommen. Als sie den Eindruck hatte, dass alles bereit war – insofern sie überhaupt wusste, was das hieß –, ging sie nach unten, um ihrer Mutter mit dem Abendessen zu helfen. Sie spielte die perfekte Tochter und plauderte mit ihrer Mutter sogar über die Kurse, die sie in Monroe vielleicht belegen würde – als hätte sie wirklich vor, dorthin zu gehen. Als ihr Vater nach Hause kam, wirkte alles wie bei der perfekten christlichen Familie, die zu einem netten Abendessen zusammenkommt. Ihre Eltern hatten natürlich keine Ahnung, dass Grace die Minuten zählte, bis sie endlich allein zu Hause war.
»Ich mach die Küche«, sagte sie zu ihrer Mutter, als sie