Das Judentum. Michael Tilly

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Das Judentum - Michael  Tilly marixwissen

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Kommentierungen biblischer Bücher, halachische und philosophische Schriften, ein hebräisches Wörterbuch, ein Gebetbuch (vgl. Kap. 3, Der synagogale Gottesdienst) für Wochentage, Sabbate und Feste, das als das erste erhaltene jüdische Gebetbuch überhaupt gilt, zahlreiche synagogale Dichtungen sowie Streitschriften gegen die Karäer (vgl. Kap. 1, Mittelalter).

      Der Kulturkreis des babylonischen Judentums erstreckte sich bis in die Gebiete des heutigen Afghanistan und Zentralasien. Babylonische Juden zogen entlang der Seidenstraße bis in den fernen Osten, wo sie sich in Kolonien niederließen. Seit dem 7. Jahrhundert gelangten viele Juden aus Babylonien in die ebenfalls islamisch dominierten Länder Nordafrikas und nach dem Sieg der Mauren über die Westgoten (711) bis nach Spanien und in Teile Südfrankreichs. Mit dem sefardischen Judentum im Einflussbereich des Islams, das die Traditionen des babylonischen Judentums fortsetzte (vgl. Obd 20), und dem aschkenasischen Judentum in den Ländern nördlich der Alpen (Gen 10,3; Jer 51,27), in dem sich bald bedeutende Zentren jüdischer Gelehrsamkeit herausbildeten, entstanden zwei jüdische Strömungen mit jeweils eigenständiger religiöser Tradition und Kultur. Sefardische und aschkenasische Juden unterscheiden sich bis heute durch unterschiedliche halachische Traditionen und liturgische Formen, Gebete, Melodien und Aussprachetraditionen des He­bräischen. Die aschkenasische Tradition blieb vor allem in den osteuropäischen Gemeinden lebendig. Bedeutende sefardische Gemeinden gibt es heute vor allem in den U.S.A., Israel, Frankreich und England.

      Mit dem Niedergang der rabbinischen Schulen Babyloniens im 11. Jahrhundert und dem gleichzeitigen Erstarken des Judentums im Westen Europas, auf der Iberischen Halbinsel, z. B. in Sevilla, Granada und Córdoba (vgl. Kap. 1, Spanien und Südfrankreich) oder in den Rheinstädten, z. B. Speyer, Worms und Mainz (vgl. Kap. 1, Das Frankenreich und Deutschland), verlagerte sich auch die kulturelle Prägung der jüdischen Religion.

      Die Chasaren

      Dem von einer jüdischen Dynastie beherrschten Reich der Chasaren zwischen Wolga und Don kam zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert eine wichtige Mittlerrolle zwischen den verschiedenen Kulturkreisen zu. Das ausgedehnte Chasarenreich entstand auf der Basis eines losen Zusammenschlusses halbnomadischer Turkstämme unter der Führung des Khagans, der als göttlich beauftragter Garant für das Wohlergehen seines Volkes zu sorgen hatte. Mit dem Zusammenschluss der Stämmeverbände ging die wachsende außenpolitische Bedeutung des Reiches und des chasarischen Söldnerheeres einher. Das Judentum fand zunächst allein Eingang in die schmale städtische Oberschicht, während in der Mehrheit der Bevölkerung die schamanistisch geprägten traditionellen Religionen dominant blieben. Grundlage der chasarischen Ökonomie war zwar die Landwirtschaft, aber auch dem Fernhandel, insbesondere auf der Nordroute der Seidenstraße, kam eine große wirtschaftliche Bedeutung zu.

      Die Oberschicht des Chasarenreiches favorisierte die jüdische Religion vor allem aus politischen Beweggründen, denn die Annahme des Christentums oder des Islams wäre einer Unterordnung unter eine der beiden benachbarten Mächte gleichgekommen. Vor allem machtpolitische Gründe waren auch für die sukzessive Verdrängung der nichtrabbinischen Strömungen innerhalb des chasarischen Judentums verantwortlich. Die Bedeutung des Judentums als Religion der Herrschenden im Chasarenreich begünstigte seine Ausbreitung. Jüdische Gemeinden entstanden und wuchsen nicht nur in den urbanen Zentren des Reiches, sondern auch entlang der Fernhandelswege. Sein fehlender innerer Zusammenhalt und die zunehmende äußere Bedrohung durch Byzanz und Islam, die ihre machtpolitischen Einflusssphären auszuweiten trachteten, führten schließlich zur Eroberung des Chasarenreiches durch eine Allianz unter der Führung des russischen Fürsten Swjatoslaw. Nach dem Vordringen der muslimischen Choresmier und dem erzwungenen Übertritt des Chasarenherrschers zum Islam war die Geschichte der jüdischen Dynastie auf dem Thron des Chasarenreiches an ihrem Ende angelangt.

      Spanien und Südfrankreich

      Als römische Bürger hatten sich zahlreiche Juden im Gebiet des heutigen Spaniens und Portugals angesiedelt. Überall auf der Iberischen Halbinsel entstanden seit der Antike jüdische Gemeinden. Die christlichen Herrscher waren zunächst relativ tolerant gegenüber ihren jüdischen Untertanen; Misshandlungen und Verfolgungen waren selten. Erst mit dem Übertritt des Westgotenkönigs Rekkared I. († 601) vom arianischen Christentum zur römischen Kirche (587) verschlechterte sich die Lage der Juden und es begannen Verfolgungsmaßnahmen gegen sie. Bereits zwei Jahre nach Rekkareds Übertritt wurde angeordnet, dass Juden in seinem Reich fortan keine christlichen Ehefrauen, Konkubinen oder Sklaven mehr haben durften. Unter König Sisebut († 621), der um die Einheit seines Staatsvolkes auch in Glaubensfragen bemüht war, kam es im Jahre 613 zu zahlreichen Zwangstaufen und zur Vertreibung der nicht bekehrungswilligen Juden.

      Nach der arabischen Invasion Südspaniens kamen viele Juden zusammen mit den maurischen Eroberern auf die Iberische Halbinsel, wobei sie nicht nur die babylonisch-jüdische religiöse Tradition, sondern auch die arabische Wissenschaft (z. B. Astronomie, Geographie, Mathematik, Medizin) und die griechische Philosophie (insbesondere Aristoteles) mitbrachten. Als unter einem »Schutzvertrag« (»Dhimma«) stehend (vgl. Kap. 1, Die östliche Diaspora) wurden sie auch im islamischen Spanien toleriert, besaßen eine eigene Gerichtsbarkeit und genossen Religionsfreiheit. Jüdische Höflinge, die sogar reiten durften und keine Signalkleidung tragen mussten, begleiteten muslimische Herrschaftsträger. Gebildete Juden an den Höfen der Kalifen der maurischen Kleinstaaten Spaniens dienten den muslimischen Herrschern als Ärzte, spezialisierte Handwerker, Finanzberater, Gelehrte, Schriftsteller, Übersetzer, Sekretäre, Militärs oder Minister, um deren politische und wirtschaftliche Macht zu festigen und auszuweiten.

      Unter maurischer Herrschaft begann das »goldene Zeitalter«, eine mehrere Jahrhunderte andauernde kulturelle Blütezeit für das Judentum des Westens. Spanien wurde rasch zu einem anerkannten Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit. Unter arabischem Einfluss wurden nun erstmals Aussprache, Grammatik und Vokabular der hebräischen Sprache in wissenschaftlicher Weise bearbeitet.

      Die spanischen jüdischen Gemeinden strebten nach Unabhängigkeit von den gaonäischen Schulen Bagdads (vgl. Kap. 1, Die östliche Diaspora) und nabelten sich allmählich von den ehemals dominierenden babylonischen Lehrautoritäten ab. In spanischen Städten entstanden eigenständige Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und Kultur, lehrten bedeutende Rabbinen. Zwischen den jüdischen Gemeinden überall im Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs und in der arabischen Welt bestanden starke Netzwerke in Gestalt grenzüberschreitender familiärer Beziehungen. Einige spanische Juden erlangten hohes Ansehen und politischen Einfluss durch die hierdurch erleichterte Anbahnung und Organisation von internationalen Handelsbeziehungen. Die aller­meis­ten Angehörigen der jüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel lebten jedoch als einfache Bauern oder Handwerker. Ein blühendes Kulturleben beschränkte sich auf die schmale jüdische Oberschicht.

      Das Vordringen der radikalmuslimischen Almohaden aus Nordwestafrika und der anwachsende Druck durch die beginnende Reconquista, die christliche Rückeroberung Spaniens von Norden her, führten seit 1031 zum Niedergang des Kalifats von Córdoba. Viele Juden, unter ihnen die Familie des bedeutenden Philosophen Moses Maimonides (vgl. Kap. 2, Maimonides), flohen in die unter christlicher Herrschaft stehenden Territorien, wo sie zunächst aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Beziehungen zum islamisch dominierten Teil der Iberischen Halbinsel gebraucht wurden, um zwischen den beiden Machtbereichen zu vermitteln.

      Während die spanischen Juden im christlichen Spanien zunächst noch geduldet wurden, nahm die Toleranz gegenüber Juden im islamischen Spanien nun ein jähes Ende. Im Jahre 1066 kam es in Granada, das in maurischem Besitz geblieben war, zu gewaltsamen Aktionen der muslimischen Bewohner der Stadt gegen die jüdische Bevölkerung. Die Überlebenden wurden aus dem Emirat von Granada vertrieben.

      Im 13. Jahrhundert nahm der Druck auch im christlichen Teil des Landes zu. Die auf dem 4. Laterankonzil am 11. November 1215 verabschiedete Bestimmung, dass fortan alle Juden eine allgemein verbindliche besondere Tracht oder ein Abzeichen in Signalfarbe zu tragen hatten, durch die sie sich

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