Das Judentum. Michael Tilly

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Judentum - Michael Tilly страница 9

Das Judentum - Michael  Tilly marixwissen

Скачать книгу

Alexandria lebte bald nach der Gründung der hellenistischen Metropole im Jahre 331 v. Chr. die größte und einflussreichste jüdische Gemeinschaft außerhalb des Mutterlandes. Gegen Ende der ptolemäischen Epoche waren zwei der fünf Stadtbezirke Alexandrias mehrheitlich von Juden bewohnt; die Zahl der jüdischen Bewohner der Großstadt belief sich auf ca. 300.000 (Jerusalem hatte dagegen gegen Mitte des ersten Jahrhunderts höchstens 100.000 Einwohner). Die im Jahre 115 ­zerstörte monumentale alexandrinische Hauptsynagoge galt als das nach dem Jerusalemer Tempel größte religiöse Bauwerk des antiken Judentums. Eingebunden in das Verwaltungssystem der ägyptischen Ptolemäer, waren die ägyptischen Juden mit bestimmten Selbstverwaltungsrechten (Versammlungsfreiheit, Regulierung interner Vertragsangelegenheiten und Streitfälle) ausgestattet. Damit waren sie zwar in ihren inneren Angele­genheiten weitgehend autark und gegenüber der unterworfenen einheimischen Bevölkerung sozial privilegiert, jedoch nicht der griechisch-makedonischen städtischen Oberschicht gleichberechtigt. Die Juden im ptolemäischen Alexan­dria zählten bis auf wenige Ausnahmen nicht zu den Vollbürgern der Stadt.

      Die Toragebote galten auch für das hellenisierte alexandrinische Diasporajudentum als verbindliche Lebensnorm. Ihre Erfüllung war Ausdruck des eigenen Erwählungsbewusstseins und zugleich Unterscheidungsmerkmal von der paganen Umwelt. Diese betonte Toraorientierung ermöglichte den ägyptischen Juden die Wahrung der eigenen Gruppenidentität trotz aller Akkulturation im Alltag, trotz der latenten Aggression seitens der minderprivilegierten einheimischen Bevölkerung und trotz des latenten Assimilationsdrucks und der Konformitätserwartungen der hellenistischen Eliten. Mit der »Septuaginta« (»Siebzig«), der angeblich von siebzig bzw. zweiundsiebzig jüdischen Gelehrten auf der Alexandria vorgelagerten Insel Pharos verfertigten Übersetzung der Tora ins Griechische, der Alltags- und Verkehrssprache des alexandrinischen Diasporajudentums, wurde die Aufwertung der identitätstiftenden schriftlichen Basis seiner Selbstverwaltung und der Bewusstwerdung des kollektiven Selbstbildes in seinem Verhältnis nach außen entscheidend vorangetrieben.

      Mit der römischen Eroberung Ägyptens im Jahre 30 v. Chr. wurde Alexandria zur zweitgrößten Stadt im Imperium Romanum. Die von den Römern angestrebte Verständigung mit der griechisch-makedonischen Oberschicht Ägyptens brachte für das ägyptische Judentum eine Verschlechterung seiner rechtlichen und politischen Situation mit sich. Garant der Sicherheit des jüdischen Politeumas war nun allein die römische Ordnungsmacht, die ihrerseits den griechischen Bürgern wichtige Privilegien wie die Aufstellung eines eigenen Stadtrates versagte. In den folgenden Jahrzehnten nahmen die Spannungen zwischen Teilen des hellenistischen Polisbürgertums und dem jüdischen Ethnos immer mehr zu.

      Die strittige Frage nach der gesellschaftlichen Position des ägyptischen Judentums ist der wesentliche Grund für die blutigen antijüdischen Tumulte in Alexandria im Jahre 38. Flaccus, der römische Statthalter von Ägypten, ging auf die Forderungen der Judenfeinde ein, sprach allen Juden Alexandrias das Bürgerrecht ab und erklärte sie fortan zu Fremden und Ausländern. In den Synagogen der Stadt befahl er Kaiserstatuen aufzustellen. Er ließ ein Ghetto errichten und ergriff keine Maßnahmen gegen die brutale Verfolgung der alexandrinischen Juden durch den entfesselten Mob.

      Unter seinem Nachfolger Pollio scheint es keine weiteren Judenverfolgungen mehr gegeben zu haben. Doch die Streitigkeiten zwischen der nichtjüdischen Majorität und den Juden in Alexandria dauerten an. Kaiser Claudius (41–54) erließ unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt im Jahre 41 ein Edikt, durch das den alexandrinischen Juden zwar alle ihre früheren Privilegien erneut verbürgt wurden, durch das aber die Verbesserung ihres politischen Status eine kategorische Ablehnung erfuhr.

      Kurz nach dem Ausbruch des jüdischen Krieges im Jahre 66 eskalierte der schwelende Konflikt zwischen Juden und Griechen in Alexandria erneut. Beide Parteien nutzten die vermeintliche Ablenkung bzw. Schwächung der Römer in Alexandria durch den Ausbruch des Aufstandes in Judäa, um alte Rechnungen mit ihren Gegnern zu begleichen. Der römische Präfekt Tiberius Julius Alexander versuchte zunächst vergeblich, den Konflikt durch Verhandlungen zu beenden, und setzte schließlich die beiden in Alexandria stationierten Legionen ein, um die Stadt gewaltsam zu befrieden. Nach dem Abzug der römischen Truppen wütete der alexandrinische Mob weiter und zwang viele Überlebende dazu, die Stadt zu verlassen.

      Die Auswirkungen der Einnahme Jerusalems und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch Titus im Jahre 70 waren auch in Ägypten zu spüren. Die von den ägyptischen Juden alljährlich entrichtete Schekelsteuer (vgl. Ex 30,11–16; Neh 10,33), die für den Unterhalt des Jerusalemer Tempels bestimmt war, wurde von den Römern in eine an den Tempel des Jupiter Capitolinus in Rom zu entrichtende jährliche Kopfsteuer, den Fiscus Iudaicus, umgewandelt. Zugleich kamen mit den Flüchtlingen und Kriegsgefangenen aus Judäa auch Gruppen von jüdischen Eiferern nach Ägypten und verbreiteten hier ihre militant-apokalyptische Ideologie. Dafür, dass Rom den zelotischen Einfluss in der Provinz Aegyptus als Sicherheitsrisiko betrachtete, spricht die Schließung des jüdischen Tempels in Leontopolis. Kaiser Vespasian (69–79) schien zu fürchten, dass sich hier eine neue jüdische Aufstandsbewegung formieren könnte.

      Im Jahre 113 eskalierten die Spannungen zwischen dem jüdischen Ethnos und den hellenistischen Polisbürgern, deren Verhältnis von tiefsten gegenseitigen Ressentiments gekennzeichnet war, von neuem. Neben den bestehenden Konflikt, der seine Wurzeln in der speziellen Situation der Stadt hatte, traten nun auch jüdische Hoffnungen auf eine baldige radikale Umgestaltung der Welt durch Gottes Eingreifen. Fanatisierte ägyptische Juden begannen einen Vernichtungskrieg mit dem Ziel der Eroberung, zumindest der Zerstörung der nichtjüdischen Territorien. Ebenso wie in anderen westlichen Reichsteilen, der Kyrenaika, in Mesopotamien und auf Zypern, kam es in ganz Ägypten zu jüdischen Terroraktionen gegen öffentliche Einrichtungen und Tempel.

      Die Unruhen in Ägypten drohten die Versorgung der römischen Legionen mit Getreide zu gefährden. Kaiser Trajan beauftragte den Flottenbefehlshaber und Feldherrn Marcius Turbo damit, die Aufstände möglichst rasch niederzuschlagen; im Sommer des Jahres 116 gelang es ihm, die Ordnung im Wes­ten wiederherzustellen. Die von den Römern entwaffneten ägyptischen Juden wurden nun ihrerseits verfolgt. Griechen und Ägypter rächten sich an der jüdischen Bevölkerungsgruppe Ägyptens, die sie unterschiedslos für die Auseinandersetzungen verantwortlich machten.

      Das einstmals blühende ägyptische Judentum, dessen Haupt­charakterzug in der tiefgreifenden und fruchtbaren Symbiose von biblischer und hellenistischer Kultur bestand, erholte sich nie wieder von dieser Katastrophe. Die eigenständige kulturelle und religiöse hellenistisch-jüdische Tradition aufrechtzuerhalten und weiterzuführen, war den ägyptischen Juden fortan nur noch in sehr begrenztem Umfang möglich. Die Rabbinen (vgl. Kap. 2, Exkurs: Der Rabbiner) griffen die hellenistisch-jüdischen Traditionen nicht auf und führten sie nicht weiter. Erst gegen Ende des zweiten Jahrhunderts ist wieder die Existenz vereinzelter jüdischer Ansiedlungen in Ägypten epigraphisch oder papyrologisch belegt.

       Mittelalter

      Palästina

      Nachdem der Sassanidenkönig Chosrau II. (588–628) nach seinem siegreichen Vormarsch durch Kleinasien und Syrien im Jahre 614 Jerusalem erobert hatte, übergab er die Stadt zunächst den hier lebenden Juden. Man vertrieb die verhassten Unterdrücker und übernahm ihre Kirchen. Nur drei Jahre später arrangierten sich die Perser jedoch mit der noch immer mehrheitlich christlichen Stadtbevölkerung und setzten die jüdischen Führer wieder ab. Als der byzantinische Kaiser Herakleios (610–641) Jerusalem schließlich zurückeroberte (628), rächte er sich an den Verrätern, indem er sie vertreiben ließ und das alte Dekret Hadrians (vgl. Kap.1, Exkurs: Qumran) erneuerte.

      Nach den Verfolgungen der byzantinischen Zeit wurde die nach langer Belagerung der Stadt erfolgte Einnahme Jerusalems durch die Araber im Jahre 638 von den wenigen in der Stadt verbliebenen Juden als Befreiung gefeiert. Zwar hatte Sophronius, der Patriarch von Jerusalem, bis zuletzt versucht, in seinen Kapitulationsbedingungen das Wohnen von Juden in der heiligen Stadt zu verhindern,

Скачать книгу