Das Judentum. Michael Tilly

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Das Judentum - Michael  Tilly marixwissen

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unter Christen wohnen. Die verheerende Pestepidemie der Jahre 1348–1358 löste zahlreiche lokale Judenverfolgungen in dem Gebiet aus. Im Jahre 1391 kam es zunächst in Andalusien und Kastilien, dann auch in Aragón, Katalonien und auf den Balearen zu judenfeindlichen Ausschreitungen, Verfolgungen und Zwangstaufen. Viele Juden flohen wieder zurück in den islamischen Einflussbereich und nach Nordafrika; nicht wenige wanderten weiter bis in die Gebiete der heutigen Türkei und Griechenlands, wo sie ihre sefardischen Traditionen fortsetzen konnten.

      In der Stadt Tortosa fand in den Jahren 1413 und 1414 eine Zwangsdisputation zwischen christlichen Magistern und Rabbinern aus dem Bereich der Krone Aragóns statt. Von den Christen festgelegte »Gesprächsthemen« waren u. a. der Vorwurf des jüdischen Wuchers und der Erweis der Messianität Jesu aus dem Talmud. Den beteiligten jüdischen Gelehrten wurde dabei keine gleichberechtigte Stellung oder gar die Möglichkeit zur Verteidigung ihrer Positionen zuerkannt. Im Anschluss an die Disputation wurden restriktive Maßnahmen gegenüber den jüdischen Gemeinden erlassen. Es kam zu zahlreichen Konversionen unter den verunsicherten spanischen Juden. Die unter Zwang Getauften erfuhren aber auch als Angehörige christlicher Gemeinden keine gesellschaftliche Anerkennung oder gar Gleichberechtigung. Als »Marranen« (»Schweinekerle«) blieben sie ausgestoßen und als angebliche »Geheimjuden« überdies der kirchlichen Inquisition verdächtig. Abtrünnigen Getauften drohte die Todesstrafe.

      Als Vorabbildung einer zentralen Vorstellung des neuzeitlichen Antisemitismus (vgl. Kap. 1, Deutschland) kann die während dieser Zeit entstandene und in Spanien bis in die Neuzeit hinein anzutreffende Behauptung gelten, das »jüdische Blut« auch eines getauften Konvertiten verbiete seine gesellschaftliche Gleichberechtigung und sei ein Grund, seinen sozialen Aufstieg zu verhindern. An Christen mit jüdischem Familienhintergrund wurden in Spanien jahrhundertelang keine Kirchenämter vergeben.

      Im Jahre 1480 begann die Inquisition unter dem ehemaligen Beichtvater der Königin Isabella, Thomas de Torquemada (1420–1498), auch getaufte Juden zu verfolgen, die unter dem Verdacht standen, auch als Christen weiterhin heimlich ihrem alten Glauben anzuhängen. Drei Jahre darauf wurden die Juden aus Andalusien ausgewiesen. Im Jahre 1491 kam es zur öffentlichen Verbrennung von Marranen unter dem Vorwurf angeblicher Hostienschändung – man nahm an, dass die Juden die Hinrichtung Jesu an Hostien, die sie aus den Kirchen gestohlen hatten, symbolhaft wiederholten – und (besonders um die Osterzeit) des Ritualmordes an Christenkindern. Unmittelbar nachdem im Jahre 1492 die letzte maurische Bastion in christliche Hand gefallen und die Reconquista abgeschlossen war, erließ Ferdinand II. von Aragón am 30. März auf Vorschlag der spanischen Inquisition die Anordnung, dass jeder der ca. 200.000 spanischen Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, Kastilien und Aragón unverzüglich zu verlassen hatten. Vier Jahre später erfolgte die Vertreibung der Juden auch aus Portugal. Hunderttausende Juden flohen von der Iberischen Halbinsel entweder in den islamisch dominierten Raum oder nach Norden, in die Niederlande, nach Flandern und Norddeutschland. Spanischstämmige sefardische Juden aus Amsterdam gehörten zu den ersten Siedlern in den holländischen Kolonien in der Neuen Welt.

      Edikt über die Ausweisung der Juden

      Da wir darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass es in unseren Königreichen einige schlechte Christen gibt, die sich dem Judentum zugewandt haben und von unserem heiligen katholischen Glauben abgefallen sind, wofür der Hauptgrund im Umgang von Juden mit Christen liegt, haben wir in den Cortés, die wir in der Stadt Toledo im Jahre 1480 abgehalten haben, angeordnet, dass sich die besagten Juden in allen Städten, Ortschaften und Plätzen unserer Königreiche und Gebiete in Judenvierteln und an eigenen Orten absondern müssen, wo sie leben und wohnen sollen, in der Hoffnung, dass diese ihre Absonderung dem Übel abhelfen werde. Weiter haben wir untersucht und Befehle erteilt, die Inquisition in unseren besagten Königreichen einzusetzen, was bekanntlich schon seit zwölf Jahren geschieht, wodurch viele schuldige Personen entdeckt wurden, wie allgemein wohl bekannt... und da uns von den Inquisitoren und vielen anderen weltlichen, religiösen und kirchlichen Personen mitgeteilt wurde, dass großer Schaden entstanden sei und immer noch entstehe, und es heißt, dass dieser anscheinend von der Teilnahme, Gesellschaft und dem weiteren Austausch herrührt, die sie mit Juden unterhielten und noch unterhalten, die sich anscheinend auf jede Art und Weise darum bemühen, unseren heiligen katholischen Glauben zu untergraben und gläubige Christen dazu veranlassen, sich davon zurückzuziehen und sich von ihm zu trennen und sie zu ihren schädlichen Meinungen und Glauben anziehen und pervertieren, indem sie sie in die Zeremonien und Bräuche ihrer Religion einführen und auch Zusammenkünfte abhalten, bei denen sie sie lehren, was sie gemäß ihrer Religion glauben und befolgen sollen… und obwohl wir von dem größten Teil dieser Tatsachen schon vorher Kenntnis hatten und wussten, dass all diese Kränkungen und Unannehmlichkeiten nur ein Unterbinden jeglichen Umgangs besagter Juden mit Christen und ihre Verbannung aus allen unseren Königreichen sichere Abhilfe schaffen kann, haben wir uns damit begnügt, ihnen zu befehlen, alle jene Städte, Ortschaften und Plätze in Andalusien zu verlassen, in denen sie augenscheinlich den größten Unfrieden angerichtet haben, in der Annahme, dass dieses ausreichen würde und dass jene in anderen Städten, Ortschaften und Plätzen aufhören würden, das gleiche zu tun und anzurichten.

      Auch in der südfranzösischen Provence, einer der ersten und am stärksten romanisierten Regionen des Westens, waren Juden bereits seit der Spätantike ansässig. Schon Bischof Gregor von Tours (538–594) erwähnte die Anwesenheit einer größeren jüdischen Gemeinde in der Region. Vor allem innerhalb der südfranzösischen Städte bildeten sich nach und nach jüdische Ansiedlungen, deren geschlossenes Wohnumfeld das kommunale Leben und auch das Halten der Toragebote erleichterte. Im 12. und 13. Jahrhundert genossen die überwiegend in den östlichen Teilen der Region ansässigen Juden in der Provence zumeist obrigkeitlichen Schutz und eine bemerkenswerte Freiheit, wobei auch dem Erwerb von Grundstücken und Immobilien durch Juden zu ihrer Nutzung und zu ihrem Besitz keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Erst die Pest machte dieser Blütezeit des südfranzösischen Judentums im 14. Jahrhundert ein Ende. Sie zog mit dem Untergang der ländlichen Gemeinden Südfrank­reichs eine geographische Verengung des jüdischen Siedlungsraums und einen demographischen Niedergang nach sich.

      Der Sozialverband der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden, auch in Spanien und Südfrankreich, war zugleich Solidargemeinschaft und Kontrollinstanz; hier wurden Feste gefeiert und Gericht gehalten und hier fand die Sozialisation der jüdischen Kinder statt; jeder religiös volljährige Jude ging zweimal am Tag in die Synagoge zum gemeinschaftlichen Gebet (vgl. Kap. 3, Der synagogale Gottesdienst). Eines der grundlegenden Prinzipien der Autonomie dieser jüdischen Gemeinden war das Recht ihrer Mitglieder, bestimmte interne Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage des Talmuds (vgl. Kap. 2, Der babylonische Talmud) und der Tora (vgl. Kap. 2, Die Tora) zu klären und sich hier nur vor den eigenen Richtern (»Dajanim«) und Gerichten verantworten zu müssen. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wurde dafür zunehmend die Einrichtung des rabbinischen Gerichts (»Bet Din«) genutzt. Dieses Gericht befand sich – ebenso wie andere jüdische Gemeindeeinrichtungen wie z. B. das Ritualbad (vgl. Kap. 3, Speise- und Reinheitsgebote) oder die Schule – in einer größeren Siedlung zumeist in der engeren Umgebung der örtlichen Synagoge (vgl. Kap. 3, Die Synagoge).

      Eine solche jüdische Gemeinde wurde von einem ernannten oder gewählten Gremium (»Parnasim«) unter der Führung eines Gemeindevorstehers (»Rosch ha-Kahal«) geleitet. Dieses Leitungsgremium sorgte für die rituellen, gesellschaftlichen und politischen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und übte dabei zumeist eine strenge Sozialdisziplinierung aus. Wer sich seinen Anordnungen und Entscheidungen dauerhaft widersetzte, konnte dafür mit dem Ausschluss aus dem Gemeindeverband mitsamt seinen sozialen Sicherungssystemen bestraft werden. Die Gemeindeleitung ernannte und kontrollierte die verschiedenen Bediensteten; sie sorgte für den Friedhof (vgl. Kap. 3, Der jüdische Friedhof), die Synagoge, das Gericht, das Armenwesen und für andere Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft. Sie sammelte auch die obrigkeitlichen Steuern ein, denn die jüdischen Gemeinden in der Provence waren einer einheitlichen Steuerpolitik durch die christliche Obrigkeit unterworfen, die sich an der Gesamtheit der geduldeten »ungläubigen« Untertanen orientierte. Da diese Steuererhebung gemeinschaftlich erfolgte, war nicht der einzelne Jude, sondern die Gesamtgemeinde

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