Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Freddy!!!« Nataschas gellender Schrei hallte durch den kleinen Saal. Sie fiel neben ihrem Mann auf die Knie. Dass ihr schöner Rock schmutzig wurde, kümmerte sie nicht.
Sofort war Dr. Schreiner auf Manfreds rechter Seite. Behutsam drehte sie ihn auf den Rücken und fühlte den Puls.
»Er hat das Bewusstsein verloren.«
»Ich rufe einen Krankenwagen.« Schon zückte Dr. Norden sein Mobiltelefon und drückte die Taste, unter der die Nummer der Behnisch-Klinik eingespeichert war.
Fassungslos kniete Natascha neben ihrem frisch angetrauten Ehemann. Tränen liefen ihr über das schmale Gesicht, aus dem jede Farbe gewichen war.
»Das ist alles meine Schuld«, stammelte sie und sah Verena hilflos dabei zu, wie sie Manfred in die stabile Seitenlage brachte. »Warum nur musste ich auf der Trauung bestehen? Ich hätte doch wissen müssen, wie schwach er ist …«
Beschwichtigend legte Verena Schreiner die Hand auf ihren Arm.
»Alles hat seinen Sinn, auch wenn wir ihn in den entscheidenden Momenten nicht erkennen können«, versuchte sie, die aufgeregte Braut zu beruhigen, als auch schon das Martinshorn gedämpft durch das ehrwürdige Gemäuer schallte.
Sichtlich erleichtert stürzte der schockierte Standesbeamte hinter Dr. Norden nach draußen, froh, der schrecklichen Situation entrinnen zu können. So etwas hatte er noch nie erlebt. Und wollte es tunlichst auch nicht mehr.
Nur wenige Minuten später war Manfred Holler auf dem Weg in die Klinik. Da Dr. Norden und Dr. Schreiner den Krankentransport begleiteten, war kein Platz mehr für Natascha.
»Ich muss zu Freddy!«, weinte sie und starrte hilflos dem Wagen nach, wie er mit Blaulicht die belebte Straße entlangfuhr und schließlich um eine Ecke verschwand. »Ich will bei ihm sein, wenn …«
»Im Augenblick können Sie für Ihren Mann nichts tun«, unterbrach Felicitas Norden die unglückliche Braut mit sanfter Stimme. Tröstend legte sie ihr einen Arm um die Schultern. »Mein Mann und Frau Dr. Schreiner mit ihrem Team werden alles tun, damit Ihr Mann den Eingriff gut übersteht.«
»Aber nach der Operation?«, beharrte Natascha in ihrer Verzweiflung. Ihre Vernunft schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Doch Fee war erfahren genug, um dieses Phänomen zu kennen und entsprechend damit umgehen zu können.
»Nach der Operation wird Manfred auf die Intensivstation verlegt und engmaschig überwacht werden. Er wird sehr erschöpft sein und Sie aufgrund der starken Medikamente wahrscheinlich gar nicht erkennen«, erklärte sie behutsam.
Diese vernünftigen Worte ließ sich Natascha durch den Kopf gehen.
»Dann …, dann sollte ich jetzt heimfahren?« Undenkbar, jetzt alleine in der Wohnung zu sitzen und auf Nachricht aus der Klinik zu warten. Verzweifelt blickte sie auf ihren Brautstrauß hinab. Obwohl die Blumen noch frisch waren, schienen auch sie die Köpfe hängen zu lassen.
Felicitas brauchte die arme Natascha nur anzusehen um zu wissen, dass sie im Moment unmöglich allein sein konnte. Blitzschnell traf sie eine Entscheidung.
»Was halten Sie davon, wenn Sie mit zu uns kommen?«, machte sie einen herzlichen Vorschlag. »Wir kochen uns eine schöne Tasse Tee ,und Sie erzählen mir, wie Sie und Manfred sich kennengelernt haben«, fuhr sie fort. »Vielleicht sind auch ein paar unserer Kinder da. Dési liebt es, von unserem Aufenthalt im Orient zu erzählen.«
»Sie waren im Orient?« In Nataschas tieftraurigen Augen flackerte vages Interesse auf.
In diesem Moment wusste Fee, dass sie gewonnen hatte.
»Sogar ein paar Monate lang«, erwiderte sie so unbeschwert wie möglich und hakte sich bei Natascha unter, um sie zum Wagen zu führen. »Wir haben unglaubliche Dinge dort erlebt und auch einige tragische Geschichten, die aber allesamt gut ausgegangen sind.« Sie hielt Natascha die Tür auf und wachte darüber, dass sie nicht vergaß, sich anzuschnallen. »Erst gestern haben wir eine E-Mail mit vielen tollen Fotos von Scheich Ahmed, seiner wunderschönen Frau Leila und ihrer süßen Tochter Nasya bekommen.« Die Erinnerung daran zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. »Wenn Sie die Bilder sehen, werden Sie kaum glauben, dass die beiden wochenlang mit dem Tod gerungen haben«, fuhr Fee fort, und das Herz ging ihr auf, wenn sie an die freundschaftlichen Zeilen voller Wärme und Zuneigung dachte, die Ahmed verfasst hatte.
Seine weisen Worte waren fürwahr wie geschaffen dafür, anderen Menschen Mut zu machen und sich ihrem vermeintlichen Schicksal nicht kampflos zu ergeben. Diese Botschaft wollte Fee auch Natascha zuteil werden lassen, die schon jetzt nicht mehr ganz so mutlos wirkte wie noch Minuten zuvor.
*
Der Operationssaal war vorbereitet worden, und Manfred Holler wurde auf den Operationstisch gelegt. Eine Ärztin leitete die Anästhesie ein und der Chirurg Dr. Hartmann wartete, bis der auf der Seite liegende Patient tief und fest schlief. Gemeinsam mit seiner Kollegin Verena Schreiner hatte er die Vorgehensweise des Eingriffs diskutiert, und sie assistierte ihm.
Auch Dr. Norden war als Assistent mit im Operationssaal.
»Wie geht es ihm?«, fragte er nach eine Weile.
»Keine Probleme«, bestätigte die Anästhesistin nach einem Blick auf die Geräte, die die Vitalfunktionen des Patienten überwachten.
»Gut, dann weiter«, murmelte Dr. Hartmann. »Halten Sie bitte die Klemme, Frau Kollegin? Dieses Ding sitzt verdammt tief. Ich komme nicht richtig dran.«
»Natürlich.« Beherzt griff Verena zu, und gemeinsam beugten sie sich über die Operationswunde.
Während sich Falko Hartmann durch Gewebe- und Muskelschichten arbeitete und den glücklicherweise gutartigen Tumor freilegte, herrschte angestrengtes Schweigen.
»Ah, da haben wir den Übeltäter ja«, seufzte er nach einer gefühlten Ewigkeit erleichtert.
»Glauben Sie, dass Sie ihn komplett entfernen können?«
»Wir müssen vorsichtig vorgehen.« Dr. Hartmann bedeutete einer OP-Schwester, ihm den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
»Die Verletzung eines wichtigen Blutgefäßes kann die Versorgung des Rückenmarks beeinträchtigen«, erklärte Verena nervös. Es wäre ihr besser ergangen, wenn sie selbst das Skalpell geführt hätte. So aber war sie zum Zuschauen verbannt.
Falko Hartmann erkannte ihre schwere Lage und lächelte ihr aufmunternd zu. Das war allerdings nur an den Fältchen zu erkennen, die seine Augenwinkel kräuselten.
»Keine Sorge. Behutsam entfernte er Stück für Stück des entarteten Gewebes, bis er sicher sein konnte, alles entfernt zu haben. Es war anstrengende Präzisionsarbeit, die eine ruhige Hand und höchste Konzentration erforderte.
Beschämt wandte sich Dr. Schreiner ab, um eine Gewebeprobe für den Transport ins Labor vorzubereiten.
»Schon gut. Ich wollte ja nur wissen, ob Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben«, rettete sie sich mit einem Scherz und schickte eine Krankenschwester mit der Probe