Jane Eyre. Шарлотта Бронте
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Ich weiß nicht mehr, mit welchem Empfinden ich auf den stillen, einsamen Friedhof mit seinem beschriebenen Leichenstein sah, auf jenes Tor, die beiden Bäume, den niedrigen Horizont, der durch eine zerfallene Mauer begrenzt war, auf die schmale Mondessichel, deren Aufgang die Stunde der Abendflut bezeichnete.
Die beiden Schiffe, welche auf regungsloser See von einer Windstille befallen werden, hielt ich für Meergespenster.
Über den Unhold, welcher das Bündel des Diebes auf dessen Rücken fest band, eilte ich flüchtig hinweg; er war ein Gegenstand des Schreckens für mich.
Und ein gleiches Entsetzen flößte mir das schwarze, gehörnte Etwas ein, das hoch auf einem Felsen saß und in weiter Ferne eine Menschenmasse beobachtete, die einen Galgen umgab.
Jedes Bild erzählte eine Geschichte: oft war diese für meinen unentwickelten Verstand geheimnisvoll, meinem unbestimmten Empfinden unverständlich, – stets aber flößte sie mir das tiefste Interesse ein: dasselbe Interesse, mit welchem ich den Erzählungen Bessie’s horchte, wenn sie zuweilen an Winterabenden in guter Laune war; dann pflegte sie ihren Plätttisch an das Kaminfeuer der Kinderstube zu bringen, erlaubte uns, unsere Stühle an denselben zu rücken, und während sie dann Mrs. Reeds Spitzenvolants bügelte und die Spitzen ihrer Nachthauben kräuselte, ergötzte sie unsere Ohren mit Erzählungen von Liebesgram und Abenteuern aus alten Märchen und noch älteren Balladen, oder – wie ich erst viel später entdeckte – aus den Blättern von Pamela, und Henry, Graf von Moreland.
Mit Bewick auf meinen Knien war ich damals glücklich: glücklich wenigstens auf meine Art. Ich fürchtete nichts als eine Unterbrechung, eine Störung – und diese kam nur zu bald. Die Tür zum Frühstückszimmer wurde geöffnet.
»Bah, Frau Träumerin!« ertönte John Reeds Stimme; dann hielt er inne; augenscheinlich war er erstaunt, das Zimmer leer zu finden.
»Wo zum Teufel ist sie denn?« fuhr er fort, »Lizzy! Georgy!« rief er seinen Schwestern zu, »Joan ist nicht hier. Sagt doch Mama, dass sie in den Regen hinaus gelaufen ist – das böse Tier!«
»Wie gut, dass ich den Vorhang zusammengezogen habe«, dachte ich; und dann wünschte ich inbrünstig, dass er mein Versteck nicht entdecken möge; John Reed selbst würde es auch niemals entdeckt haben; er war langsam, sowohl von Begriffen wie in seinem Wahrnehmungsvermögen; aber Eliza steckte den Kopf zur Tür hinein und sagte sofort:
»Sie ist gewiss wieder in die Fenstervertiefung gekrochen, sieh nur nach, Jack.«
Ich trat sofort heraus, denn ich zitterte bei dem Gedanken, dass der erwähnte Jack mich hervorzerren würde.
»Da bin ich, was wünscht Ihr?« fragte ich mit schlecht erheuchelter Gleichgültigkeit.
»Sag: was wünschen Sie, Mr. Reed«, lautete seine Antwort. »Ich will, dass du hierher kommst«, und indem er in einem Lehnstuhl Platz nahm, gab er mir durch eine Geste zu verstehen, dass ich näher kommen und vor ihn treten solle.
John Reed war ein Schuljunge von vierzehn Jahren; vier Jahre älter als ich, denn ich war erst zehn Jahr alt; groß und stark für sein Alter, mit einer unreinen, ungesunden Hautfarbe; große Züge in einem breiten Gesicht, schwerfällige Gliedmaßen und große Hände und Füße. Gewöhnlich pflegte er sich bei Tische so vollzupfropfen, dass er gallig wurde; das machte seine Augen trübe und seine Wangen schlaff. Eigentlich hätte er jetzt in der Schule sein müssen, aber seine Mama hatte ihn für ein bis zwei Monate nach Hause geholt »seiner zarten Gesundheit wegen«. Mr. Miles, der Direktor der Schule versicherte, dass es ihm außerordentlich gut gehen würde, wenn man ihm nur weniger Kuchen und Leckerbissen von Hause schicken wollte; aber das Herz der Mutter empörte sich bei einer so roh ausgesprochenen Meinung und neigte mehr zu der feineren und zarteren Ansicht, dass Johns blassgelbe Farbe von Überanstrengung beim Lernen und vielleicht auch von Heimweh herrühre. –
John hegte wenig Liebe für seine Mutter und seine Schwestern, und eine starke Antipathie gegen mich. Er quälte und bestrafte mich; nicht zwei- oder dreimal in der Woche, nicht ein- oder zweimal am Tage, sondern fortwährend und unaufhörlich; jeder Nerv in mir fürchtete ihn, und jeder Zollbreit Fleisch auf meinen Knochen schauderte und zuckte, wenn er in meine Nähe kam. Es gab Augenblicke, wo der Schrecken, den er mir einflößte, mich ganz besinnungslos machte; denn ich hatte niemanden, der mich gegen seine Drohungen und seine Tätlichkeiten verteidigte; die Dienerschaft wagte es nicht, ihren jungen Herren zu beleidigen, indem sie für mich gegen ihn Partei ergriff, und Mrs. Reed war in diesem Punkte blind und taub: sie sah niemals, wenn er mich schlug, sie hörte niemals, wenn er mich beschimpfte, obgleich er beides gar oft in ihrer Gegenwart tat: häufiger zwar noch hinter ihrem Rücken.
Aus Gewohnheit gehorchte ich John auch dieses Mal und näherte mich seinem Stuhl: ungefähr zwei bis drei Minuten brachte er damit zu, mir seine Zunge so weit entgegenzustrecken, wie er es ohne Gefahr für seine Zungenbänder bewerkstelligen konnte; ich fühlte, dass er mich jetzt gleich schlagen würde, und obgleich ich eine tödliche Angst vor dem Schlage empfand, vermochte ich doch über die ekelerregende und hässliche Erscheinung des Burschen, der denselben austeilen würde, meine Betrachtungen anzustellen. Ich weiß nicht, ob er diese Gedanken auf meinem Gesichte las, denn plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, schlug er heftig und brutal auf mich los. Ich taumelte; dann gewann ich das Gleichgewicht wieder und trat einige Schritte von seinem Stuhl zurück.
»Das ist für die Frechheit, dass du vor einer Weile gewagt hast, Mama eine Antwort zu geben«, sagte er, »und dass du gewagt hast, dich hinter den Vorhang zu