Wilderer und Jäger Staffel 1. Anne Altenried
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»Wo bleibst denn so lang, Kind?«, fragte der Jäger unwirsch. »Die Mutter wartet schon sehnsüchtig aufs Medikament.«
»Von zwei Betrunkenen bin ich aufgehalten worden, die ziemlich zudringlich waren«, berichtete sie und deutete auf den Bauernsohn. »Wenn der Mangold-Severin net zufällig dahergekommen wär, hätt ich wohl viel Ärger mit ihnen gehabt.«
»Hm!« Der Forstmann kraulte seinen graumelierten Kinnbart. »Da sind wir ja dem jungen Mangold sehr verpflichtet. Will er mit mir ein Glaserl Wein trinken und sich die Hand schütteln lassen?«
Der Blick aus den grünen Mädchenaugen ruhte auf dem Jungbauern. Dieser nickte bereitwillig. Die Aussicht auf längeres Zusammensein mit der Jägerstochter war zu verlockend. »Gegen ein Glaserl Wein hab ich noch nie was einzuwenden gehabt«, erklärte er lachend. »Aber Dank seid ihr mir net schuldig. Jeder hergelaufene Bettelbub hätt genauso gehandelt.«
Die Rothaarige schob ihn über die Schwelle, und wenig später saß er in der guten Stube des Jägerhäusls. In drei Gläsern funkelte roter Terlaner. Doch die beiden Männer warteten mit dem ersten Schluck, bis Martha aus dem Schlafzimmer der Mutter zurückkam. Dann hoben sie zusammen mit ihr die geschliffenen Kelche.
»Ich trink«, sagte Severin, »auf die baldige Genesung der Frau Ebenhecht. Eine kranke Frau im Haus ist ein harter Schicksalsschlag. Ich weiß das, weil meine Mutter einen schwachen Magen hat, der sie oft genug ins Bett zwingt.«
»Darauf wollen auch wir trinken«, stimmte Ebenhecht zu. Sie nahmen tüchtige Schlucke und stellten die Weingläser zurück auf den Tisch.
Der blonde Besucher schaute sich in dem nicht sehr großen Raum um. Die Einrichtung war einfach, rustikal. An den Wänden hingen Hirschgeweihe, Rehkrucken und Gemskrickel. Auch ein ausgestopfter Steinadler. Alles in diesen vier Wänden strahlte Behaglichkeit aus. Starkes Neidgefühl auf Ludl stieg in Severin hoch. Dieser durfte so oft hier sein, wie er nur wollte. Hier bei ihr.
Der Blick des Jungbauern wanderte zu der Tochter des Hauses hin. Ihr fein geschwungener Mund stand halb offen und ließ zwei schneeweiße Zahnreihen erkennen. Seidige, gebogene Wimpern beschatteten die großen Augen, deren grünlicher Schimmer ihn an die jungen, leuchtenden Triebe der Tannen im Frühling erinnerten.
»Ich glaub, du bist mit dem Neudecker-Ludl gut bekannt«, sagte der Jäger und kraulte wieder seinen Kinnbart. »Seid ihr Freunde?«
Severins Mundwinkel bogen sich nach unten. »Das wohl net«, sagte er. »Wir haben uns ein paarmal getroffen. Eine Freundschaft ist net entstanden.« Er war heilfroh, dass der Jäger nicht wusste, zu welchen Vorhaben sie sich verabredet hatten.
»Ich wollt«, murmelte der hagere Waidmann, »meine Tochter tät auch so daherreden. Aber bei ihr ist’s net bloß Freundschaft. Mir scheint, sie ist ganz versessen auf den Menschen.«
Marthas Stirn rötete sich leicht. »Was hast bloß gegen ihn, Vater?«, fragte sie vorwurfsvoll. »Er verdient sich auf ehrliche Weis sein Geld und hat noch kein respektloses Wörtl gegen dich geäußert.«
Ebenhecht wiegte den Kopf hin und her. »Im Dorf wird viel geredet. Auch über ihn. Aber darauf geb ich nix. Seine Augen sind’s, die mir net gefallen. Darin liegt Falschheit.«
»Vater!« Entrüstet sprang die Rothaarige auf. »Du bist ungerecht. Davon will ich nix mehr hören.«
Severin trank sein Glas aus und erhob sich. »Für mich wird’s höchste Zeit, heimzumarschieren.« Er streckte dem Hausherrn die Hand entgegen, die dieser ergriff und fest drückte. »Ich dank dir für das gute Tröpferl, Jäger. Gut Nacht!«
»Dass du meinem Dirndl beigestanden hast, das wird net vergessen«, versicherte Ebenhecht. »Komm gut nach Haus!«
Im Vorgarten standen sich Martha und Severin gegenüber. »Träum was Schönes und denk nimmer an die Besoffenen«, empfahl der blonde Bauernsohn lachend.
»Ich wüsst net, wie ich mich besser bedanken könnt als mit einem Busserl.« Sie umfasste seinen Kopf und zog ihn zu sich herunter. Ihre weichen Lippen drückten sich auf die seinen. Dann ließ sie ihn los und hastete zur Tür.
»Dafür hätt ich sogar zehn zudringliche Bürschl verjagt«, rief er ihr vergnügt nach. Sie sah sich nicht mehr um und verschwand im Haus.
Wenig später lag er in seinem Bett und bemühte sich, an Gundi zu denken. Doch es gelang ihm nicht. Die nussbraunen Augen der Posthalterin bekamen einen grünen Schimmer, und die brünetten Haare färbten sich kupferrot. Verwirrt drehte er sich auf die Seite und schlief endlich ein.
*
Fünf Personen keuchten hinter dem Bergführer Ludl Neudecker den schräg ansteigenden Felsenpfad hinauf. Fürsorglich sah sich der Bergkundige immer wieder um und ermahnte die ihm anvertraute kleine Schar, keinen Fehltritt zu machen. Der Steig war kaum einen Meter breit. Daneben gähnte der Abgrund.
Der Sonnenball glühte gnadenlos am stahlblauen Himmel und zwang das wohlgenährte Ehepaar Tiedemann aus dem Norden des Landes, schweißüberströmt den Anstieg fortzusetzen. Das Paar wurde von den beiden halbwüchsigen Söhnen und der zwanzigjährigen Tochter Mathilde begleitet. Ludls Aufmerksamkeit galt besonders der üppigen Zwanzigjährigen, die seine freundlichen Bemühungen mit verheißungsvollen Augenaufschlägen quittierte.
Die Gruppe erreichte die untere Grenze des Firns und hielt auf einem geräumigen Felsplateau an. Viele bewundernde Ausrufe galten dem gewaltigen Bergpanorama, das sich vor den mit Ferngläsern bewaffneten Augen der Städter ausbreitete. Doch noch mehr den Gemsrudeln, die in der Nordwand standen.
Mathilde suchte die Nähe des Bergführers und drückte ihre Schulter gegen seinen Oberarm. Dabei drehte sie eifrig an der Einstellung ihres Feldstechers. »Ich sehe nur Gemsen, aber keine Steinböcke«, klagte sie.
Ludl lachte glucksend. »Und wenn Sie sich die lieben Äugerl aus dem Köpferl gucken, Dirndl, einen Steinbock werden Sie net sichten. Die Viecherl sind in unserer Gegend längst ausgestorben.« Er betrachtete die schwellenden Formen des Mädchenkörpers. »Aber es gibt trotzdem allerhand Schönes zu sehen.«
»Ich habe Hunger«, meldete sich Herr Tiedemann zu Wort.
Die Gruppe setzte sich auf den rauen Felsboden, was Mathildes Mutter einen Ächzlaut entlockte. Ludl zerrte den Rucksack mit dem Proviant von den Schultern und breitete ein Wachstuch aus, auf das er nahrhafte Dinge legte: Räucherfleisch, Butter, Käse und Brot. Alle Bergwanderer griffen bereitwillig zu. Die Mutter vertilgte am meisten. Dazu tranken sie Zitronentee, den der Bergführer in Blechbecher abfüllte.
Nach Beendigung der Vesper deutete einer der Söhne hinauf zum schneebedeckten Gipfel des Zweitausenders. »Wie lange brauchen wir noch, bis wir oben sind?«, fragte er neugierig.
Feixend schüttelte Ludl den Kopf. »Das können wir den Damen net zumuten«, erklärte er.
»Ausgeschlossen!«, ließ sich Frau Tiedemann vernehmen. »Mir graut schon vor dem Abstieg.«
Ihr Gemahl, der mit Hingabe eine dicke Zigarre paffte und blaue Wölkchen in die klare Bergluft blies, brummte: »Wer ist eigentlich auf die Schnapsidee gekommen, uns einer solchen Strapaze auszusetzen?«
»Ich«,